Bremen steht mit seinen Problemen bei der Finanzierung und Instandhaltung der öffentlichen Infrastruktur nicht alleine da: Der Sanierungs- und Investitionsstau in deutschen Städten und Kommunen, auf Landes- und auf Bundesebene wird seit einigen Jahren in schöner Regelmäßigkeit beschrieben. Zum Beispiel so: „Gerüste stützen Museumsdecken ab“ oder „Wenn die Fahrt allzu holprig wird“ oder „Schulen benötigen Milliarden“.
Städte und Regionen aus allen Himmelsrichtung sind vertreten: „Göttinger Theater sind Sanierungsfälle“ oder „Der Berliner Drei-Milliarden-Sanierungsstau“ oder „SPD: Jede vierte Brücke in Bayern ist marode“. Als im August im italienischen Genua eine Autobahnbrücke einstürzte und 43 Menschen in den Tod riss, standen deutsche Brücken im Zentrum der Aufmerksamkeit. Die Tagesschau meldete: „Jede achte Brücke in schlechtem Zustand“ (Einsturzgefahr bestehe indes nicht).
Und erst vor wenigen Tagen legte der Rechercheverbund von „Süddeutscher Zeitung“, NDR und WDR einen offenbar gewaltigen Sanierungs- und Modernisierungsstau bei den ICE der Deutschen Bahn AG offen, der sich auf Unterlagen der DB-Tochter Fernverkehr stützt. Danach weise ein großer Teil der Züge des zu 100 Prozent bundeseigenen Unternehmens technische Mängel auf.
Die staatliche Kreditanstalt für Wiederaufbau legte zum Schuljahresbeginn im Sommer das „Kommunalpanel 2018“ vor und verzeichnete einen Investitionsrückstand mit neuem Höchststand (siehe Zahlen links unten und Artikel links). Basis der Erkenntnisse war eine Befragung von Kommunen. Das Investitionsniveau sei „trotz leicht gestiegener Investitionsausgaben noch nicht zufriedenstellend“. Wachse es nicht, „würde es sieben Jahre dauern, alle Schulen und Kitas zu sanieren und ausreichend neue dazuzubauen“, stellte KfW-Chefvolkswirt Jörg Zeuner fest.
Wie kann es angehen – in einer der Nationen mit guter Konjunkturlage in den vergangenen Jahren, steigender Beschäftigung, niedrigem Zinsniveau und Steuermehreinnahmen in Milliardenhöhe? Die „Süddeutsche Zeitung“ drückt sich so aus: „Das Boomland Bundesrepublik hat zwei Gesichter, das macht die Debatte nicht einfacher. Was geschehen kann, wenn der Staat zu wenig investiert, zeigt sich im Rostgürtel der USA, wo ganze Gemeinden vor die Hunde gehen – und Trumps Wähler leben.“
Investitionen in Hähe von 180 Milliarden Euro geplant
Immer wieder werden Vorwürfe laut, dass eine schwarze Null im Bundeshaushalt, also ein finanzielles Auskommen ohne Neuverschuldung, zulasten von Investitionen in die Infrastruktur gehe. 2014 bilanzierte Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) erstmals ausgeglichene Einnahmen und Ausgaben. Letztmals hatte Bundesfinanzminister Franz-Josef Strauß (CSU) 1969 eine solche Bilanz präsentieren können, und der „Deutschlandfunk“ fragte: „Was nützt die schwarze Null im Bund, wenn eine Autobahnbrücke von Lkw gar nicht mehr und von Pkw nur noch mit Tempo 60 überfahren werden kann. Oder wenn in Schulen und Kindergärten der Putz von den Wänden bröselt und es durchs Dach regnet?“
Das Kabinett Merkel III hatte 23 Milliarden Euro an zusätzlichen Investitionen vorgesehen, für einen Zeitraum von vier Jahren. „Das ist nicht viel für eine Regierung, die eigentlich etwas gestalten will (...) Die Botschaft ist eindeutig: Solide Finanzen gehen vor, Wünsch-Dir-Was ist nicht“, so der „Deutschlandfunk“ weiter. Die neue Bundesregierung plant bis 2022 Investitionen in Höhe von 180 Milliarden Euro, 33,8 Milliarden mehr als in der vergangenen Legislaturperiode, ebenfalls ohne Neuverschuldung.
Doch es liegt nicht allein an der neuen Sparsamkeit des Bundesfinanzministeriums und der Schuldenbremse, die Bund und Länder Grenzen setzt. Investitionen scheinen auch an der Organisation zu scheitern. Das „Handelsblatt“ stellte 2016 fest: „Wolfgang Schäuble stellt Milliarden Euro für Investitionen bereit. Doch Berichte aus seinem Ministerium zeigen: Ein Großteil des Geldes bleibt liegen. Es gibt offenbar nicht genug Kapazitäten für Projektplanung und Bau.“
Der Präsident des Bundes der Steuerzahler, Reiner Holznagel, will nichts von einem Zusammenhang zwischen einer schwarzen Null und dem Investitionsstau wissen (siehe auch Artikel unten rechts). Es sei schlimm genug, dass ein ausgeglichener Haushalt – wie er gesetzlich vorgeschrieben sei – über Jahrzehnte eine Utopie gewesen sei.
Es gebe ausreichend Möglichkeiten, nötige Investitionen ohne neue Schulden zu stemmen, schon alleine durch Ausgabenkürzungen an anderer Stelle. Als goldene Regel, die von der öffentlichen Hand auch beim Abbau des Sanierungs- und Investitionsstaus beherzigt werden sollte, empfiehlt Reiner Holznagel: „Gib das Geld bitte so aus, als ob es deines eigenes wäre.“