Der Frühstückstisch im Franziskanerinnen-Konvent im Schnoor ist mit einem Sonnenblumensträußchen sparsam dekoriert, Symbol für Frieden und Nächstenliebe. Ordensschwester Deodata Weber hat je ein Glas selbst gemachte Holunder-Konfitüre und Honig, ein Geschenk von Gemeindemitgliedern, die eigene Bienenvölker haben, aufgetischt. "Den Holunder pflückt Schwester Francis immer am Stadtwerder", erzählt Schwester Deodata, die uns in ihrer schwarzen Ordenstracht die Tür geöffnet hat. Einziger Schmuck um ihren Hals: ein Kreuz. In der einen Ecke des kleinen, anheimelnden Raumes steht eine Madonnenskulptur, neben dem Fenster hängt das Kreuz aus San Damiano in Assisi.
Es ist 10 Uhr. Normalerweise hat die Nonne um diese Zeit anderes zu tun als zu frühstücken. Das hat sie eigentlich lange erledigt: Nach der Morgenandacht in der kleinen Kapelle oben im fünften Stock schon um 7.15 Uhr nehmen die fünf Ordensschwestern des Konvents normalerweise ein bescheidenes Frühstück im Parterre ein. Schweigend. "Wir lassen damit das Morgengebet ausklingen", erklärt Schwester Deodata. Gebetet wird vier Mal am Tag. Um 9.15 Uhr wird die Messe in der katholischen Propsteikirche St. Johann gefeiert. Für den Frühstückstermin mit dem Stadtteil-Kurier bricht Deodata das sonst übliche morgendliche Schweigen.
Das ewige Treueversprechen
Die 48-Jährige ist seit 27 Jahren Nonne. Als Franziskanerin hat sie das Gelübde der Armut, des Gehorsams und der Keuschheit abgelegt. Bis zu acht Jahren hat eine Novizin Zeit, sich zu prüfen, bis sie die ewige Profess, das ewige Treueversprechen gegenüber Gott ablegt. Schwester Deodata hat mit dieser Entscheidung keine Sekunde gehadert. Natürlich hätte sie sich gut vorstellen können, selbst eine große Familie zu haben, so wie sie es von Haus aus gewohnt ist. Mit vier Geschwistern wuchs sie in einem katholischen Elternhaus in Meppen auf. "Wir haben immer gebetet", sagt sie, und aus diesem sehr persönlichen Zwiegespräch mit Gott heraus habe sie auch die Entscheidung getroffen Nonne zu werden. Obwohl sie sich unter dem Leben im Kloster zunächst nicht viel vorstellen konnte. Aber: "Gott hat für jeden von uns einen Plan", ist sie überzeugt.
Die Franziskanerinnen haben gerade so viel, wie sie zum Leben brauchen. Das genügt ihnen. Ihre Mission: den Armen zu helfen, so wie es in der Bibel geschrieben steht. Es sei erschreckend, wie viele Menschen in Bremen Not leiden müssten, sagt Deodata. Als sie in die Hansestadt zog, nachdem sie in Berlin elf Jahre als Ordens- und Krankenschwester tätig war, lebte sie zunächst ein Jahr in Osterholz-Tenever. Dort ist ihr Bruder, Marc Weber, Pfarrer an der katholischen St.-Raphael-Gemeinde.
Mit ihm zusammen und vielen anderen hat sie im Bremer Osten ein erfolgreiches Projekt auf die Beine gestellt: die Raphael-Oase. Als die Gemeinde der Hilferuf von Ortsamtsleiter Ulrich Schlüter erreichte, dass viele Menschen im Stadtteil nicht mehr genügend zu essen hätten, war den beiden klar: "Wir müssen etwas tun!"
"Wir werden so lange da sein, bis die Politik eine Lösung für diese Probleme gefunden hat, wir lassen die Menschen nicht allein", sagt die Ordensschwester. Sie redet nicht viel, sie packt an. Mit Nächstenliebe und dem sprichwörtlichen Gottvertrauen beschloss sie: "Wir fangen jetzt einfach an!" Im Herbst 2022 hat sie die Lebensmittelausgabe quasi aus dem Nichts ins Leben gerufen. Jeden Freitag können sich Menschen, die Hunger haben, für sieben Euro in der Gesamtschule Bremen-Ost ein Lebensmittelpaket abholen. Die Menschen müssen sparen, um ihre Mieten zu zahlen. Der Mangel an bezahlbarem Wohnraum ist ein drängendes Problem, weiß die Nonne.
"Inzwischen haben wir 40 Lebensmittelausgaben gehabt. Wir haben rund 40 Menschen, die uns helfen, und es kommen immer wieder neue hinzu. Rund 280 Menschen, Tendenz steigend, darunter viele Familien und alte Menschen, deren Rente nicht ausreicht, obwohl sie ihr ganzes Leben lang gearbeitet haben, stellen sich schon um 11 Uhr morgens an, obwohl sie wissen, dass die Lebensmittelausgabe erst um 17 Uhr beginnt", erzählt Deodata. Ihre Bedürftigkeit müssen sie nicht nachweisen. 2000 Euro kostet solch eine Essensausgabe. Zu Zweidritteln wird sie von den Spenden der Menschen finanziert, die selbst wissen, wie es ist, wenn am Monatsende das Geld nicht mehr ausreicht. Der Rest kommt von Unternehmen.
Ihr größter Herzenswunsch: Ein Transporter
Das hat inzwischen eine positive Sogwirkung entfacht, die den ganzen Stadtteil erfasst hat. Anstelle von Mutlosigkeit machte sich ein Gefühl der Solidarität breit. Eine fast familiäre Gemeinschaft sei inzwischen entstanden. "In meinen mehr als ausgefüllten Tagen bekomme ich mehr zurück als das, was ich geben kann", sagt Schwester Deodata.
Ihr neuestes Projekt: Sie ist dabei, die Behördenlotsen mit ihren Klienten zu vernetzen. "Denn viele von ihnen wissen gar nicht, welche Ansprüche auf staatliche Leistungen sie eigentlich haben", betont sie.
"Gott ist der Superheld, er kann alles machen", ist die Nonne überzeugt. Angesichts einer Welt im Dauerkrisen-Modus zitiert sie aus der Offenbarung des Johannes, dem letzten Buch des Neuen Testamentes: "Es wird einen neuen Himmel und eine neue Erde geben". Da ist sie wieder, die Zuversicht, da ist es wieder, das Gottvertrauen. Immer wieder habe sie in der Raphael-Oase glückliche, göttliche Fügungen erlebt, berichtet sie. Nun hofft Deodata auf die Erfüllung ihres größten Herzenswunsches: "Wir brauchen dringend einen Transporter, um die Lebensmittelspenden einzusammeln."
Ein Treffen mit Gott
Bei aller Wertschätzung, die sie für ihre Arbeit für die Raphael-Oase erfährt, Schwester Deodata ist es inzwischen gewohnt, auch Unschönes zu erleben. Am Verkehrsknotenpunkt Domsheide sei sie schon angepöbelt und angegriffen worden, berichtet sie. Sie beobachte besonders in den vergangenen zehn Jahren einen Werteverfall und eine Verrohung in der Gesellschaft, schildert sie. Aber es gebe auch Geschichten wie diese: "Am Pfingstsonntag stand ich am Bahnhof an einer Haltestelle und registrierte, wie ein junger Syrer ein Handy-Foto von mir machte. Er fand wohl mein Äußeres exotisch. Ich ging auf ihn zu, sprach ihn an und gab ihm ein Gebetsbild in seiner Sprache mit der Bitte um Frieden. Er fragte mich, weshalb ich so aussähe. Meine Antwort: "Ich habe mein Leben Gott geschenkt." Das ist auch die Bedeutung ihres Namens, den sie im Kloster bei den Thuiner Franziskanerinnen bekam. Deodata: "Er sah mich an und sagte unvermittelt: Kann ich mitkommen und Gott treffen? Sein Handy klingelte, er nahm ab und sagte: Ich kann jetzt nicht, ich muss Gott treffen." Sie seien gemeinsam in die Bahn gestiegen und in die Messe in der Propsteikirche St. Johann gefahren, berichtet die Nonne weiter. Dort erhielt er Kommunion und Segen. Ganz ruhig und in sich versunken sei er danach gewesen, sei immer wieder zu Betstunden gekommen und schließlich Christ geworden, erzählt Schwester Deodata.