David W. (Name der Redaktion bekannt) sieht sich zu Unrecht belangt. Er ist einer von sieben Bewohnern der Weserhöfe, die über die Zentrale Fachstelle Wohnen in die Sozialwohnungen hierher an die Adresse Grünenstraße vermittelt wurden. Die Nachbarn sprechen von Bewohnern aus einem „Mieter-Obdachlosenprogramm“, die gerade ihre Chance verspielten. Denn direkt vor der Haustür liegt der Lucie-Flechtmann-Platz in der Neustadt, auf dem sich seit rund einem Jahr eine mehr oder weniger offene Drogenszene angesiedelt hat. Für die anderen im Haus ist David W. ein Teil davon. So steht es jedenfalls in der Abmahnung der Gewoba, die er bekommen hat. Demnach lasse er sogar andere Abhängige ins Haus und sei darum mitverantwortlich für Sachbeschädigungen im Treppenhaus, für Zigarettenstummel in den Ecken und geklaute Gegenstände aus den Kellern.
Wieso sich David W. als Sündenbock sieht
David W. regt das auf. Hört man ihm länger zu, ist er bei diesem Thema einfach irgendwie als Sündenbock unter die Räder gekommen. „Ja gut, ich bin ein trockener Suchtkranker. Ja gut, ich habe früher Cannabis und Amphetamine konsumiert. Aber was habe ich mit der Crack-Szene auf der Lucie zu tun? Nichts!“ Im Gegenteil, die mache ihm auch Sorgen. „Ich kann jedenfalls nicht mal eben schnell in Latschen und Jogginghose zum Aldi rüber, ohne gleich angequatscht und dazugerechnet zu werden.“ Jeder Vorfall im Haus werde ihm angelastet. Ungerecht sei das.
Man kann die Beschwerden und die Abmahnung als Indiz für die angespannte Lage unter den Anwohnern des Platzes werten. Insgesamt 80 Sozialwohnungen sind auf dem ehemaligen Jakobs-Areal entstanden. Der größere Teil mit 186 Wohnungen sind relativ teure Eigentumswohnungen auf der anderen Seite des Baublocks. Sie haben als Adresse auch nicht die Grünenstraße, sondern eher einen Blick auf die Weser und die Anschrift Am Deich – mit dem Lucie-Flechtmann-Platz und seinen Problemen im Rücken.
Udo Schmitz und die Geschichte des Platzes
Hier wohnt seit einem knappen Jahr Udo Schmitz, der jetzt eine Petition an die Bremer Bürgerschaft gestartet hat. „Gebt uns die Lucie zurück“ lautet der Titel. Schmitz beschreibt einen Platz im Niedergang, der in der Vergangenheit eigentlich eher Symbol eines großen Engagements im Quartier war. Die Mitglieder des Vereins Kultur-Pflanzen haben über Jahre hinweg eine kleine Oase geschaffen. Aus dem betonierten Platz haben sie mit viel Einsatz so etwas wie einen Grünzug gemacht, in jedem Falle eine Art selbstverwalteten Stadtgarten. Die Bürgerstiftung Bremen hat das mal mit dem Hilde-Adolf-Preis ausgezeichnet.
Vor fünf Jahren hat der Verein der Stadt sogar abgetrotzt, dass die einst flächige Versiegelung aufgebrochen wird. Bagger rückten an und haben auf etwa zwei Drittel der Fläche den Beton entfernt. Erst in diesem Jahr ist im vorderen Bereich eine neue Hügellandschaft mit verschiedenen Mikroklimazonen und neuer Bepflanzung fertiggestellt worden, gefördert von der Umweltbehörde. Dahinter erstrecken sich Hochbeete, Pflanzenkisten und Sitzgelegenheiten. Eine selbstgeschaffene Idylle mitten in der Stadt.
Wie der Platz jetzt herunterkommt
„Der Platz wird zurzeit über den Tag von 100 bis 150 suchtkranken Personen aufgesucht. Es werden offen Drogen gedealt und konsumiert. Der Platz ist vermüllt. Drogenbestecke liegen herum. Die vorhandene Bautoilette wird nicht immer genutzt, stattdessen die Notdurft in den umliegenden Hauseingängen verrichtet. Prostitution findet öffentlich statt und die Einbruchsdiebstähle in den anliegenden Wohnkomplexen sind seither sprunghaft angestiegen“, lautet die aktuelle Zustandsbeschreibung in der Petition von Udo Schmitz. Er fordert mehr Geld für die Betreuung der Suchtkranken, mehr Streetworker und vor allem kurzfristige Alternativen für die Abhängigen. Von „Toleranzorten, damit sich die Szene dorthin begeben kann,“ ist die Rede. Bis zum 18. Oktober haben sich 476 Unterzeichner diesen Forderungen angeschlossen, noch bis 20. Oktober kann man unterschreiben.
Die Einschätzung der Streetworker
Eileen Bumann widerspricht Schmitz Befunden nicht. Die Bereichsleiterin der Wohnungslosenhilfe der Inneren Mission ist für die zwei Streetworker zuständig, die auf dem Lucie-Flechtmann-Platz versuchen, irgendwie auf die Drogenabhängigen einzuwirken. „Das ist ein langwieriges Unterfangen, wir müssen erst einmal den Zugang zu den Menschen finden“, sagt sie. Die Ungeduld der Anwohner und der Geschäftsleute im Umfeld könne sie aber gut verstehen. Und den Forderungen der Petition kann sie viel abgewinnen. „Die Toleranzorte, die Ausweichmöglichkeiten brauchen wir dringend, vor allem in den jeweils betroffenen Stadtteilen“, sagt sie und verweist auf ähnliche Probleme im Grünzug in Gröpelingen oder in Vegesack. Es sei illusorisch zu glauben, die süchtigen Menschen würden allesamt in einen zentralen Anlaufpunkt kommen, etwa zum Drogenkonsumraum Friedrich-Rauers-Straße.
Wieso nicht nur Süchtige vom Hauptbahnhof dort sind
Das weiß auch Schmitz, der selber in der Sozialarbeit zu Hause ist. „Die Leute einfach nur mit viel Polizei zu vertreiben, funktioniert nicht“, sagt er. Das sehe man an den entsprechenden Aktionen am Hauptbahnhof. Nur deshalb seien die Süchtigen jetzt überhaupt in der Neustadt. Doch da widerspricht Bumann. „Die Lage auf dem Lucie-Flechtmann-Platz ist nach unserer Beobachtung nicht allein die Folge einer Verdrängung der Drogenszene vom Hauptbahnhof", sagt sie. Viele Süchtige kämen auch aus dem Stadtteil. Der Drogen- und insbesondere Crackkonsum steige derzeit einfach überall in Bremen.
Das ist auch die Einschätzung des Innenressorts. Gegen einen Verdrängungseffekt spricht aus dessen Sicht bereits, dass trotz der Maßnahmen am Hauptbahnhof, im Bahnhofsumfeld – etwa Friedrich-Rauers-Straße, am Wall, Rudolf-Hilferding-Platz – weiterhin eine Betäubungsmittelszene mit ihren Begleiterscheinungen festzustellen sei. „Dies lässt die Vermutung zu, dass die Anzahl der Konsumenten – insbesondere von Crack – stadtweit gestiegen sein könnte“, heißt es dazu.