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Migranten in Bremen Bremen-Kattenturm: Wie die Integration von Geflüchteten gelingen kann

Wie können Geflüchtete und Migranten besser in die deutsche Gesellschaft integriert werden? Antworten gibt Sandra Ahlers, die seit vielen Jahren im Armutsquartier Kattenturm arbeitet. Ein Interview.
11.01.2024, 05:00 Uhr
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Bremen-Kattenturm: Wie die Integration von Geflüchteten gelingen kann
Von Karin Mörtel

Frau Ahlers, Sie arbeiten seit vielen Jahren als Quartiersmanagerin im Ortsteil Kattenturm. Dort leben besonders viele Menschen, die als Geflüchtete nach Bremen gekommen sind. Wie äußert sich das im Stadtteil?

Sandra Ahlers: Hier wohnen Menschen aus vielen verschiedenen Kulturen in den Nachbarschaften zusammen. Das mag für manche überraschend sein, aber es ist überwiegend ein sehr friedliches Miteinander. Zwar gibt es – wie in anderen Stadtteilen auch – gelegentlich kulturell bedingte Irritationen und Streit, aber nicht in einem auffälligen Ausmaß. Und die Gesprächsbereitschaft ist groß, um die Konflikte beizulegen. Eines muss klar sein: Ohne Hilfe ist es für Menschen aus anderen Ländern sehr schwierig, bei uns Fuß zu fassen. Wir als Akteure im Stadtteil sind daher gefordert, diesen Menschen das Ankommen in unserer Gesellschaft zu ermöglichen. 

Wo hakt es denn besonders bei der Integration?

Hilfe beim Ankommen ist gefragt im ganz normalen Alltag, in der Kinderbetreuung, beim Spracherwerb und der Arbeitssuche. Denn durch die häufig schwierige finanzielle Lage vieler Familien und Einzelpersonen, aber auch durch mangelnde Sprachkenntnisse und fehlende Informationen darüber, wie das Leben in unserer Gesellschaft funktioniert, häufen sich natürlich auch die Alltagsprobleme. Wenn es also beispielsweise nicht ausreichend Kitaplätze wie in Obervieland gibt, haben die Kinder eher Startschwierigkeiten in der Schule und die Eltern keine Möglichkeit, sich auf das Arbeitsleben vorzubereiten oder Zeit für Sprachkurse zu finden. Und aus meiner Sicht müssen wir in Zukunft noch viel genauer darauf blicken, was die Frauen mit Migrationshintergrund brauchen.

Was brauchen die Frauen denn?

Weniger zentrale und starre Hilfsangebote, sondern Anlaufstellen mit niedrigschwelligen, flexiblen Angeboten direkt im Quartier. Das Jobcenter hat das erkannt und ist schon im Quartier vertreten. Frauen sind durch den Familienalltag weniger mobil als die Männer. Und viele brauchen zunächst eine vertrauensvolle Umgebung und verlässliche Bezugspersonen, um ihre Potenziale entdecken und entfalten zu können. Ein gutes Beispiel dafür, wie das gelingen kann, ist das Freiraum-Projekt "Frauenkreativlabor" in den vergangenen Jahren gewesen: Eine Kombination aus Kinderbetreuung, Spracherwerb, Beratung sowie Vorbereitung auf das Arbeitsleben über eine Nähwerkstatt. Momentan muss das Projekt aber leider pausieren und wir kämpfen noch für eine Weiterfinanzierung nach der erfolgreichen Pilotphase. Ich habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass das gelingen kann.

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Ist die fehlende Finanzierung häufig der Knackpunkt, weshalb gute Ansätze scheitern?

Ja, das ist leider so. Wir müssten eigentlich dringend von der Projekteritis wegkommen und für bewährte Hilfsangebote eine verlässliche Dauerfinanzierung hinbekommen. Mir ist klar, dass das für Bremen angesichts der Haushaltslage schwer zu stemmen ist, daher sehe ich hier auch den Bund in der Pflicht. Auch das Kita-Einstiegshaus, das im Jahr 2022 in Kattenturm geöffnet hatte, war sehr erfolgreich. Dort wurde vielen Kindern, die keinen Kitaplatz bekommen haben, und deren Eltern über Sprachkurse und Beratung die Integration sehr erleichtert. Und dann fehlte wieder das Geld, um weiterzumachen. Das im Stadtteil vorgesehene Lernhaus könnte diese Lücke füllen, doch wann das stehen wird, ist leider nach elf Jahren Planung immer noch unklar. Und selbst die bereits mit Preisen ausgezeichneten Sprach- und Kulturmittler, die seit Jahren auf Anfrage bei Alltagsproblemen und Behördengängen helfen, haben noch keine dauerhafte Finanzierung in Aussicht. Daher können sie nicht so ohne Weiteres ihr Angebot auf den Gesundheitssektor ausweiten, obwohl das politisch absolut gewollt wäre. Aber überwiegend ehrenamtlich ist diese Aufgabe nicht zu stemmen.

Muss die Politik also umdenken?

Das Geld ist die eine Sache, da ist es manchmal schwer, mit anzusehen, wofür Mittel ausgegeben werden und wo gespart wird. Es wäre aber auch wichtig, dass Politikerinnen und Politiker begreifen, wie breit das Thema angelegt ist. Das klingt vielleicht lapidar, aber Integration ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die macht nicht vor Ressortgrenzen halt. Es geht nicht nur um Einzelaspekte wie Kinderbetreuung, Sprache, Qualifizierung, Arbeit oder kulturelle Hürden, sondern alles greift ineinander und bedingt einander. Es braucht den gemeinsamen Willen, einen guten Plan für alle zu entwickeln, und zwar gemeinsam mit den Migrantinnen und Migranten. Denn sie sind ein Teil unserer Gesellschaft, auf den sich die Politik noch mehr zubewegen muss.

Und wenn das gelingt? Was ist Ihre Vision?

Unsere Gesellschaft könnte von den Migranten durch eine verstärkte Integrationsanstrengung viel mehr profitieren. Wir dürfen nicht den Blick und die Angebote ausschließlich auf die gut ausgebildeten Akademiker ausrichten, die teilweise viel selbstständiger ihren Weg in unsere Gesellschaft finden. Es gibt auch die Kfz-Mechaniker und andere Menschen mit handwerklichen und weiteren Fähigkeiten, die wir dringend brauchen und anerkennen müssen angesichts des Fachkräftemangels. Das wäre ein wichtiger Schritt. In der Pflege, in der Gastronomie und im Handwerk könnten noch deutlich mehr der Migrantinnen und Migranten ankommen. Aber nur, wenn wir ihnen den Zugang zu unserer Gesellschaft erleichtern, ihnen passgenaue Möglichkeiten der Qualifizierung bieten und Hürden abbauen, anstatt sie aufzubauen.

Kattenturm ist einer der Ortsteile Bremens mit einem deutlich überdurchschnittlichen Migrationsanteil und übernimmt damit auch eine größere Integrationsleistung als weite Teile der restlichen Stadt. Sorgt das für schlechte Stimmung vor Ort?

Nein, keineswegs. In Kattenturm sind die Menschen seit vielen Jahren gewohnt, mit kulturellen Unterschieden umzugehen und sich aufeinander einzustellen. Durch unsere Quartiers- und Netzwerkarbeit ist es gelungen, da auch alle mitzunehmen. Aber es gibt schon eine Erwartungshaltung an die Politik, dass man im Gegenzug auch eine angemessene Unterstützung im Stadtteil erhält, um das dauerhaft leisten zu können. Sei es beim Kitaausbau oder anderen Fragen. Das läuft leider immer noch wie eine Achterbahn, da es vonseiten der Politik mal mehr und mal weniger verlässliche Planungen gibt. Wir brauchen da aber dringend Kontinuität, denn das Thema Integration und die damit verbundenen Veränderungen in unserer Gesellschaft werden uns dauerhaft begleiten. Die geplante städtebauliche Aufwertung von Kattenturm-Mitte und das Lernhaus sind daher wichtige Signale an den Stadtteil. Die dürfen gerne zügig sichtbar werden.

Das Gespräch führte Karin Mörtel.

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Zur Person

Sandra Ahlers

ist Sozialarbeiterin und arbeitet seit 14 Jahren als Quartiersmanagerin über das Amt für Soziale Dienste im Ortsteil Kattenturm in Obervieland.

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