Knapp 800 Meter Fahrradstraße sollen im Ellener Feld, genauer in der Straße Große Vieren, entstehen. Die Aussicht auf die Veränderungen vor der eigenen Haustür hat bei einigen Anwohnern aber eher zu Befremden als zu Begeisterung geführt. Der Beirat Osterholz ist von der Idee dagegen mehrheitlich überzeugt und hat am Ende der jüngsten Sitzung für die Pläne gestimmt.
Die geplante Fahrradstraße im Ellener Feld ist Teil eines ganzen Maßnahmenpakets, das den Fuß- und Fahrradverkehr in und um das neu entstehende Quartier Ellener Hof an der Ludwig-Roselius-Allee stärken soll. Dafür haben die Stadt Bremen und die Bremer Heimstiftung Bundesmittel eingeworben. Diese müssen allerdings bis Januar 2021 ausgegeben werden. Bisher wurde aus diesen Mitteln unter anderem der fahrradfreundliche Umbau der Kreuzung an der Düsseldorfer Straße finanziert. Aktuell werden die Bushaltestellen barrierefrei umgebaut.
Kurzfristig soll nun außerdem der Radverkehr auf den Großen Vieren Vorrang bekommen. Dass die Bevölkerung zu einem vergleichsweise späten Zeitpunkt in die Diskussion einbezogen wurde, bedauerte Ortsamtsleiter Ulrich Schlüter und begründete dies unter anderem mit den Schwierigkeiten, öffentliche Sitzungen während der Corona-Krise abzuhalten. „Wir wollen aber zumindest in der Endphase die Bevölkerung zu Wort kommen lassen.“ Erst nach der Diskussion werde es eine Entscheidung über einen möglichen Beschluss geben.
Roter Asphalt mit Vorfahrt
Svenja Sadid vom Amt für Straßen und Verkehr (ASV) stellte das Vorhaben vor. „Geplant ist eine Fahrradstraße, wo Tempo-30 gilt und wo nebeneinander fahren erlaubt ist.“ Abzweigende Straßen würden eine sogenannte Hochpflasterung bekommen und der Straße Große Vieren untergeordnet, auf der künftig Radfahrer Vorfahrt haben. Damit würde die bisher geltende Rechts-vor-Links-Regelung aufgehoben. Statt tristem Grau sollen eine rote Asphaltdecke sowie Schilder auf die besondere Straße, die erste ihrer Art in Osterholz, hinweisen. Die Einfärbung wird witterungsbedingt erst im Laufe des kommenden Jahres möglich sein.
Es könnte aber nicht bei dieser einen Fahrradstraße in Osterholz bleiben. Für die Straßen Am Hallacker und Ellener Dorfstraße solle geprüft werden, ob auch dort Fahrradstraßen Sinn machten und möglich seien, so Svenja Sadid. Nach zwei Jahrzehnten als Ortsamtsleiter antizipiert Ulrich Schlüter offenkundig häufig gestellte Fragen von Anwohnern. So ergänzte er: „Die Parkplätze vor den Wohnungen werden erhalten bleiben und sie werden auch weiter dort Autofahren können und auch Lieferverkehr wird möglich sein.“
Deutliche Kritik an den Plänen kamen von Reinald Last (Linke). „Uns liegt immer noch keine Verkehrszählung vor“, monierte er eingangs. „Und grundsätzlich stellt sich die Frage, ob diese Fahrradstraße erforderlich ist, und genau dafür braucht man die Zahlen.“ Er habe bisher bei dem derzeitigen Verkehr auf der Großen Vieren nicht nachvollziehen können, warum dort eine Fahrradstraße nötig sei. Er befürchte außerdem, dass bei einer Änderung der Vorfahrtsregel nicht nur Fahrradfahrer schneller vorankommen, sondern auch Autos schneller durch die Straße fahren könnten.
„Die Einengungen und die Pflanzbeete werden bleiben, sodass keiner dort durchrasen kann“, erklärte Sadid. Darüber hinaus würden die Hochpflasterungen Geschwindigkeiten raus nehmen. Die Fürsprache übernahm Beiratssprecher Wolfgang Haase (SPD). „Ich denke, es ist ein Projekt, bei dem man in die Zukunft blicken muss.“ Viele Menschen seien in der Corona-Krise aufs Rad umgestiegen und der Ellener Hof wachse und damit werde auch der Radverkehr zunehmen. „Wenn die Fahrradstraße da ist, hätte man eine Verbindung von der Düsseldorfer Straße bis zur Osterholzer Heerstraße.“
Darüber hinaus sollen zukünftig Radpremiumrouten durch oder nach Osterholz führen – unter anderem die D.20 von der Gartenstadt Vahr nach Osterholz. „Es wird sich fahrradmäßig etwas tun“, ist sich Haase sicher. An die mit der Fahrradstraße fremdelnden Anwohnern sagte er: „Diese Verbindung hätte Vorteile für ganz Osterholz und ich denke, keine Nachteile für die Anwohner.“ Dass der Radverkehr dann mehr Rechte habe, sei richtig, denn: „Ein Fahrrad hat keine Knautschzone.“
Ähnlich argumentierte Ralf Dillmann. „Wir hätten damit eine Achse, die für den zukünftigen Verkehr wichtig werden wird.“ Es gebe keine Nachteile für die Anwohner. „Letztlich handelt es sich um eine Straßensanierung.“ Das sehen die Anwohner allerdings anders. „In meinen Augen wird es dort schlimmer werden“, sagte ein Anwohner. „Die Fahrradfahrer machen sich breit und die Autofahrer dahinter sind genervt.“ Das könne zu gefährlichen Situationen führen. Sein Fazit: „In Straßen, wo schon Tempo-30 gilt, braucht man eigentlich keine Fahrradstraße.“
Uneingeschränkt glücklich zeigte sich auch nicht der Allgemeine Deutsche Fahrradclub (ADFC). „Wir hatten vorgeschlagen, in dem Bereich eine Fahrradzone einzurichten“, sagte Stefan Matthaeus vom ADFC. Nach einer von der CDU-Fraktion beantragten Beratungspause stimmte der Beirat über einen von Wolfgang Haase eingebrachten Beschlussvorschlag ab, der die Pläne des ASV unterstützt. Bei neun Ja-Stimmen und fünf Nein-Stimmen votierte der Beirat für den Beschluss. Damit kann Osterholz erste Fahrradstraße kommen.
Fahrradstraße und Fahrradzone
Fahrradstraßen sind dem Radverkehr vorbehalten. Andere Fahrzeuge dürfen diese Straßen nur nutzen, wenn dies durch Schilder angezeigt wird. Die Höchstgeschwindigkeit beträgt 30 Kilometer pro Stunde, Fahrradfahrer dürfen dort nebeneinander fahren. Kinder unter acht Jahren, Fußgänger und Inline-Skater müssen den Gehweg oder Seitenstreifen benutzen. Das Inlineskaten kann mit einem Schild zulässig sein. In der Regel ist eine Fahrradstraße vorfahrtsberechtigt. Für die Gestaltung einer Fahrradstraße gibt es in Deutschland keine einheitlichen Vorgaben. Häufig werden Piktogramme, Schilder oder auch farbiger Asphalt oder rote oder blaue Farbe verwendet. Eine Fahrradzone – die erste Deutschlands entstand in Bremen in der Alten Neustadt – umfasst ein ganzes Wohnquartier, in dem die Regeln zur Fahrradstraße Anwendung finden. In Bremen gibt es derzeit 18 ausgewiesene Fahrradstraßen.