Bremen Stadtteile Osterholz Verden Diepholz Delmenhorst Wesermarsch Oldenburg Rotenburg Cuxhaven Bremerhaven Niedersachsen

Kriminalität Polizei und Wirtschaftsrat uneins: Ist Bremen-Nord sicher?

Wie sicher ist der Bremer Norden? Um diese Frage kreiste ein Dialogforum des Wirtschafts- und Strukturrats Bremen-Nord. Der Verein, die Handelskammer, Polizei und Unternehmer haben unterschiedliche Ansichten.
30.10.2024, 18:09 Uhr
Jetzt kommentieren!
Zur Merkliste
Von Philipp Tappe
Inhaltsverzeichnis

"Wir haben unter unseren Mitgliedern eine Umfrage gemacht: Für die meisten sind die Standortfaktoren Sicherheit, Sauberkeit und öffentliche Ordnung am wichtigsten", sagt Olaf Orb, Geschäftsführer für Standortpolitik von der Handelskammer Bremen (IHK). Die hatte mit dem Wirtschafts- und Strukturrat Bremen-Nord (Wir) zum Dialogforum "Sicherheit in Bremen Nord – ein wesentlicher Standortfaktor für Unternehmen!" im Vegesacker Geschichtenhaus eingeladen.

Warum ist Wir und IHK das Thema so wichtig?

Die Handelskammer beobachte im Bremer Norden soziale Verelendung, eine wachsende Drogenszene, mehr Beschaffungskriminalität und mehr Straftaten von jungen Männern. Das sagt zumindest Orb, der auch die daraus resultierenden Probleme für die Wirtschaft skizziert: teure Einbruchschäden, etwa indem Türen oder Fenster aufgehebelt werden, steigende Versicherungsprämien. "Potenzielle Kunden gehen aus Angst vielleicht nicht mehr einkaufen", so der Geschäftsführer. Und was sagt der Wirtschafts- und Strukturrat? Der Vorsitzende Rainer Küchen äußerte sich in seiner Begrüßungsrede so: "Ohne dass ich Gewalt erlebt habe, fühle ich mich subjektiv unsicherer als früher."

Welche Lösungsvorschläge haben die Wirtschaftsverbände?

Doch wie wird Bremen-Nord sicherer und sauberer? Orb berichtet vom Runden Tisch im vergangenen Jahr: Dort hat die IHK mit Mitgliedern des Bremischen Senats, verschiedenen Unternehmen sowie Wirtschafts- und Branchenverbänden Maßnahmen beschlossen, die Kriminalität und Verschmutzung – allerdings in der Bremer Innenstadt – bekämpfen sollen: etwa mit mehr Streifen des Ordnungsdienstes. Außerdem soll gegen organisiertes Betteln und offenen Drogenhandel vorgegangen werden. "Wir als IHK werden die Verwaltung unterstützen, Drogenkonsumräume zu finden", sagt Orb und führt an: "Denn der öffentliche Raum gehört uns. Und nicht den Drogensüchtigen, mit denen wir allerdings einen angemessenen Umgang finden müssen." Des Weiteren fordert der Geschäftsführer, dass der Staat bei Wiederholungstätern klare Kante zeigen müsse. Küchen beklagt: "Ich habe den Eindruck, dass gewisse Delikte, die im Strafgesetzbuch stehen, nicht mehr geahndet werden." Verkürzte Strafverfahren seien nämlich möglich, Bremen mache davon aber keinen Gebrauch. "Die Mittel in der Justiz sind da, aber das Personal fehlt."

Wie sicher ist Bremen-Nord – statistisch gesehen?

"Wir haben im Bremer Norden keine Hotspots, keine No-Go-Areas. Nicht in der Grohner Düne, nicht in Lüssum, nicht in Marßel", erklärt Jan Müller, Abteilungsleiter der Polizei Bremen Nord-West. Dass die Kriminalität steige, sei nicht verwunderlich: Immer mehr Menschen ziehen in die hiesigen Stadtteile – unter anderem viele junge Männer, die statistisch gesehen öfter Straftaten begehen als der Durchschnitt. Außerdem habe Kriminalität immer Wellenbewegungen. "Während Corona gab es beispielsweise nur wenige Wohnungseinbrüche, da die Leute zu Hause blieben." Trotzdem: Vergangenes Jahr ist die Kriminalitätsrate in Bremen-Nord leicht gestiegen.

Wie sicher fühlen sich die Menschen in Bremen-Nord?

Über 95 Prozent der Bremer fühlen sich tagsüber sicher, mehr als 76 Prozent auch nachts. Das geht aus einer Sicherheitsbefragung im Land Bremen 2022 hervor, die Kriminologe Fynn Kunkel auf dem Dialogforum vorstellte. Etwa jeder zweite Befragte wurde im Jahr 2021 Opfer einer Straftat, am häufigsten von Diebstahl, am seltensten von Raub. "Erst bei der nächsten Befragung können wir die Daten einschätzen", so Kunkel. Die Daten für Bremen-Nord unterscheiden sich übrigens nicht erwähnenswert vom Durchschnitt.

Wie erleben Einzelhändler die Situation?

Jeden zweiten Tag decken die Detektive ein Delikt im Edeka in der Weserstrandstraße auf, schildert Inhaberin Claudia Schwinning: "Jedes Mal stellen wir Anzeige. Und hören dann oft: "Das Verfahren wurde eingestellt, weil der Schaden zu gering war. Oder die Täter nicht zu ermitteln waren." Ein Dieb sei von Laden zu Laden gezogen, obwohl – nachdem er beim Klauen erwischt wurde – jedes Mal die Polizei gerufen wurde. Zudem berichtet Schwinning, wie den Mitarbeitern und ihr mit Vergewaltigung oder Handzeichen, die ein Durchschneiden der Kehle symbolisieren, gedroht werden. Viele Diebstähle habe das Modehaus Leffers in Vegesack hingegen nicht zu verzeichnen, sagt Geschäftsführer Werner Pohlmann: "Was uns umtreibt: Wie schaut unsere Fußgängerzone aus?" Wenn Läden leer stehen, deswegen die Schaufenster nicht mehr geputzt sind und das Unkraut vor dem Eingang wuchert, halte das Kunden vom Shoppen ab.

Was sagen Stimmen, die nicht aus der Wirtschaft kommen?

Silke Ladewig-Makosch, Referentin der Landesfrauenbeauftragten, konzentrierte sich in der letzten Podiumsdiskussion des Abends auf die Opfer von Gewalt: "Statistisch gesehen sind Jungen – abgesehen von sexueller und häuslicher Gewalt – gefährdeter von Gewalt als Mädchen. Aber wer sagt schon einem Jungen: Geh nicht nachts alleine nach draußen, trink nicht so viel?" Für Frauen sei der gefährlichste Ort immer noch der vermeintlich geschützte Raum – beim Ehemann, Vater, Lehrer oder Trainer.

Lesen Sie auch

Zur Startseite
Mehr zum Thema

Das könnte Sie auch interessieren

Rätsel

Jetzt kostenlos spielen!
Lesermeinungen (bitte beachten Sie unsere Community-Regeln)