Am 30. Oktober 2001 hielt Gerd Meyer es nicht mehr aus. Erst die jahrelangen Jugoslawien-Kriege, dann der Nato-Einsatz gegen die Taliban im Afghanistan. Der langjährige Friedensaktivist und Leiter des Gustav-Heinemann-Bürgerhauses in Bremen-Vegesack griff zum Telefon. Er rief neun Personen an. So berichtet es Gerd-Rolf Rosenberger heute. Er war damals neben verschiedenen politischen Aktivisten, Gewerkschaftern und Pastoren einer der Angerufenen. Meyer habe zu ihm gesagt: Wir müssen etwas unternehmen, so geht es nicht weiter. Daraufhin hätten sich alle gemeinsam getroffen und für den 9. November 2001 eine Friedenskundgebung in Vegesack geplant.
60 Menschen setzten an diesem Tag ein Zeichen gegen die Kriegseinsätze und für Frieden in der Welt. Und weil die Veranstaltung so erfolgreich war, wiederholten die Organisatoren sie schon eine Woche später mit immerhin noch 40 Teilnehmern. Bei diesen zwei Kundgebungen blieb es jedoch nicht. Etwas war ins Rollen gekommen. Vor Kurzem hat die Initiative "Nordbremer Bürger gegen den Krieg" jetzt ihre 1100. Friedenskundgebung in der Vegesacker Innenstadt abgehalten. Sie war ohne Unterbrechung seit dem 9. November 2001 jede Woche mindestens einmal auf der Straße.
Auf gut 21 aktive Mitglieder ist die Nordbremer Bewegung inzwischen angewachsen und für die meisten von ihnen ist sie ein Vollzeitjob. Nicht nur, weil der Großteil sich im Rentenalter befindet, sondern auch, weil jeder von ihnen sich auf seine Art aus voller Überzeugung für den Frieden einsetzt – das wird bei einem Ortsbesuch schnell klar.
Regelmäßig gibt es Kundgebungen und Mahnwachen
Eines der bekanntesten Gesichter der Bewegung ist heute Gerd-Rolf Rosenberger. Der ehemalige Altenpfleger und langjährige Aktivist ist in seinem Element, das merkt man schnell. Er lässt keine Möglichkeit aus, auf die historischen und politischen Zusammenhänge der verschiedenen Kriegsschauplätze der Welt hinzuweisen. "Wir waren schon immer politisch aktiv für den Frieden", sagt er und meint damit auch die sechs weiteren Aktivisten, die sich an diesem Tag in der Vegesacker Fußgängerzone zusammen mit ihm und einem großen Transparent eingefunden haben – nicht für eine Kundgebung, sondern für eine Mahnwache. Denn die Initiative veranstaltet inzwischen nicht mehr nur ihre freitäglichen Friedenskundgebungen.
Jeden Dienstagvormittag gibt es eine Mahnwache am Sedanplatz, zusätzlich wird sich um die Pflege von 56 Stolpersteinen, einer KZ-Gedenkstätte und zwei historischen Wegen in Bremen-Blumenthal gekümmert. Auch prominente Gesichter wie Sahra Wagenknecht, den PDS-Politiker Gerhard Zwerenz und den Juristen und Aktivisten Heinrich Hannover hätten sie in den vergangenen Jahren nach Bremen-Nord geholt. "Für uns ist das schon eine Art Fulltime-Job", gibt Rosenberger zu. "Aber wir machen das gerne."
Während er zusammen mit seiner Frau die Aktionen der Initiative organisiert sowie Unterschriften und in großem Umfang Spenden für verschiedene Organisationen und Projekte sammelt – mal mehr, mal weniger mit Friedensbezug –, haben seine Mitstreiter ihre ganz eigenen Schwerpunkte. Einer engagiert sich zusätzlich im Vereinsvorstand des Gustav-Heinemann-Bürgerhauses, die andere hat ein Antikriegsbuch bei einem Bremer Verlag veröffentlicht.
Gemeinsam haben sie dabei, dass sie in ein sehr politisches Umfeld hineingeboren wurden. Rosenbergers Vater war Sozialdemokrat, sein Vater bei der ehemaligen KPD, er selbst ist Kriegsdienstverweigerer. Auch Folkert Gerrelts, frisch gebackener Rentner und noch recht neu in der Initiative, hat KPD-Verbindungen in der Verwandtschaft. Heide Marie Voigt erzählt von Streitgesprächen mit ihrem Vater am heimischen Esstisch, bei denen es um Russland und den Einsatz junger Soldaten an der Front ging. Eine Unterhaltung mit den Aktivisten wirkt schnell nicht nur wie ein Crashkurs in Geschichte, sondern auch wie eine Zeitreise im Eiltempo.
Natürlich sei man heute auch gegen das 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen für die Bundeswehr und gegen Taurus-Lieferungen an die Ukraine. Die deutschen Militärausgaben wären besser im sozialen Bereich aufgehoben und die Kriege der Welt ließen sich praktisch auf einen Schlag beenden, wenn man sich mal vernünftig an den Verhandlungstisch setzen würde. "Wir sind gegen alle Kriege auf diesem Planeten", macht Rosenberger es kurz.
Auch nach der 1100. Kundgebung ist der Wunsch nach einer Welt ohne Krieg ungebrochen bei den Aktivisten. Sie wollen weiterhin "bei Wind und Wetter" ihre Mahnwachen und Kundgebungen im Bremer Norden abhalten. "So lange wir leben, werden wir das weitermachen", unterstreicht Gerd-Rolf Rosenberger ernst. Oder halt, bis der letzte Krieg beendet ist.