Birken, weiter Horizont und hoher Himmel. Wer an Worpsweder Kunst denkt, dem kommen wahrscheinlich diese Motive in den Sinn. „Worpswede ist für Kunstfreunde der Inbegriff der Landschaftsmalerei um 1900“, sagt Katja Pourshirazi. Die Leiterin des Vegesacker Overbeck-Museums hat eine Ausstellung vorbereitet, die dieses zeigt. Aber nicht nur. „Der Ort hat noch mehr zu bieten als eine ruhmreiche Vergangenheit“, fügt sie hinzu. „Bis heute leben und arbeiten Künstlerinnen und Künstler am Weyerberg und setzen sich in ihren Werken mit unserer Gegenwart auseinander.“ Vier dieser Künstler – Viktoria Diehn, Christoph Fischer, Franziska Hofmann und Christine Huizenga – werden ihre Werke unter dem Titel „Jetztzeit“ vom 10. Oktober bis 9. Januar im Overbeck-Museum zeigen. In Kombination mit den Bildern des Künstlerpaares Fritz und Hermine Overbeck ist eine gleichsam harmonische wie auch kontrastreiche Ausstellung gelungen. Auf die Besucher wartet ein spannender Gang durch vier Ausstellungsräume.
Allein das Museum im Alten Packhaus in Vegesack ist mehr als einen Blick wert. Seine Räume stellen den stimmigen Rahmen für diese Mischung aus Früher und Heute, wobei sich in den aktuellen Werken nicht selten auch Anklänge an die typische Landschaftsmalerei der alten Maler finden – und zum Teil auch umgekehrt. Wo die früheren und die heutigen Bilder nebeneinander hängen, offenbart sich oft eine frappierende Nähe. Der erste Raum der Ausstellung ist zunächst eine klassische Overbeck-Schau. „Das ist das, was wir beim Gedanken an Worpswede erwarten“, erläutert die Museumsleiterin. Die Birken, den Horizont, die Hamme und das Moor. Drei Schritte weiter – und hinter dem Betrachter liegen hundert Jahre. In Raum Nummer zwei fallen die feinen aktuellen Collagen von Christine Huizenga ins Auge. Die Künstlerin hat Kartonstreifen auf Holz aufgetragen und dann bemalt. Viele kleinformatige Werke bilden so eine große Collage, von der in ihren hellen, teils erdigen Tönen, eine sanfte Stimmung ausgeht. Gut möglich, dass man in den senkrecht verlaufenden Streifen auch Worpsweder Birken erkennt.
Dazu gesellen sich die Skulpturen des Bildhauers Christoph Fischer, der sich für diese Ausstellung auf das Thema Boot konzentriert hat. „Wir haben lange keine Skulpturen mehr gehabt und stellen sie jetzt erstmals seit vielen Jahren wieder aus“, erzählt Katja Pourshirazi. Christoph Fischers Boote greifen die Thematik der Balance und der Tiefe auf. Dazu passt ein Bild von Fritz Overbeck, das einen segelnden Torfkahn zeigt. Der Künstler sei mit diesem Werk nicht zufrieden gewesen, erläutert Katja Pourshirazi. Deshalb habe er Striche über das Bild gezogen und ihm den Titel „Malheur mit Boot“ gegeben.
Menschen, die übers Meer flüchten – dieser Gedanke geht einem beim Thema Boot unwillkürlich auch durch den Kopf. Spätestens im dritten Raum, wo Christoph Fischers Skulptur „Übervolles Boot“ zu sehen ist. In dem großen Saal treffen Vergangenheit und Jetztzeit direkt aufeinander, zeigt sich Alt und Neu besonders kontrastreich. Die früheren Worpsweder Maler seien sehr auf die Landschaft fokussiert gewesen. Internet und Nachrichtenflut hatten sie noch nicht bekümmert. „Aber heute können wir das gar nicht mehr ausblenden.“ Entsprechend präsentieren sich die Jetztzeit-Werke. „Damaskus" und „Kinder von Aleppo“ lauten Titel der großformatigen Bilder von Franziska Hofmann. Aus ihren urbanen grafischen Arbeiten spricht die Hektik unserer Zeit. Dazu kommen die abstrakten Werke von Viktoria Diehn, die sich mit Umweltverschmutzung, Tierversuchen und Antisemitismus auseinandersetzt. Die Ausstellung setzt dazu ein Bild von Hermine Overbeck, das mit einem „sehr modernen Bildausschnitt“ überrascht. Im vierten und letzten Raum zeigt sich noch einmal das Panorama künstlerischer Auseinandersetzung und bietet auf einen Blick 125 Jahre Worpsweder Kunst.