Selma Acar kann nicht schwimmen, würde es aber gerne lernen. Wenn man sie denn ließe. Sechsmal war ihre Klasse zum Unterricht im Vegesacker Freizeitbad – Selma keinmal. Die Achtjährige hat Epilepsie. Sie braucht jemanden im Wasser, der auf sie aufpasst. Doch die Behörde hat Selmas Mutter mitgeteilt, was sie immer wieder Eltern mit Kindern erklären muss, denen es so geht wie der Drittklässlerin: Dass sie momentan keine speziell ausgebildete Begleitperson hat. Dabei gibt es einen Nordbremer, der alle Qualifikationen hat. Und schon einem anderen Mädchen half, das Schwimmen zu lernen.
Katibe Acar sagt, alles probiert zu haben: Sie sprach mit Lehrern, Eltern, Ärzten, war bei der Caritas, beim Roten Kreuz, bei der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft – und alle, erklärt die Mutter, wussten nicht, wie sie helfen sollten. Oder wer hätte helfen können. Schon gar nicht so schnell. Als die Vegesackerin viele fragte, was sie tun sollte, hatte Selma bereits die erste Doppelstunde im Freizeitbad verpasst. Statt im Wasser wie die anderen ist sie zu Hause am Schreibtisch. Der Unterricht hört für sie jeden Dienstag früher auf. Seit den Sommerferien geht das jetzt so.
Dass ihre Tochter nicht dabei sein darf, wenn alle anderen Unterricht in den Becken bekommen, kam für die Mutter nach eigenem Bekunden überraschend. Sie glaubte, alles dafür getan zu haben, dass Selma das Schwimmen in der Schule lernt. Schließlich, meint sie, hatten die Pädagogen doch gleich bei der Einschulung das ärztliche Attest bekommen – und wussten deshalb, was das Mädchen hat und was es braucht, wenn es die Kontrolle über ihren Körper verliert. Selma bekam ihren ersten Krampfanfall, da war sie noch ein Kleinkind. Der letzte Vorfall, sagt die Mutter, ist jetzt ein Jahr her.
In der Hoffnung, dass ihre Tochter nicht noch mehr Schwimmstunden verpasst, kam Katibe Acar das zweite Mal mit zum Freizeitbad – um von den Mitarbeitern zu erfahren, dass Selma trotzdem nicht ins Wasser darf. Die Mutter hat nicht, was alle Begleitpersonen beim Unterricht in den Becken brauchen: das Abzeichen der Rettungsschwimmer. Das haben zwar alle Bademeister, nur sind es beim Schulschwimmen nicht so viele, dass eine Eins-zu-eins-Betreuung möglich wäre. Und eine Lehrkraft, die über die gesonderte Ausbildung verfügt, gibt es nicht an jeder Grundschule.
Obwohl Selmas Fall eben kein Einzelfall im Bremer Norden ist. Auch Felix Scheuerl sollte anfangs nicht das Schwimmen lernen, jedenfalls nicht in der Schule. Auch Mia Sophie Biskup musste eine Zeit lang in der Klasse bleiben, während die anderen in den Becken übten. Das eine ist jetzt Jahre her, das andere Monate. Beide Male sprangen Fremde ein, um den Unterricht doch noch zu ermöglichen. Bei Felix war es eine Leistungsschwimmerin aus Vegesack und bei Mia Sophie ein Sportlehrer, der aus dem Iran geflüchtet ist. Und der könnte jetzt auch Selma helfen.
Kourosh Hamlehbar hat immer gesagt, dass die Behörde mit ihm rechnen kann, wenn es weitere Kinder gibt, die im Wasser jemanden an ihrer Seite brauchen. Nur hat sie sich nicht mehr bei ihm gemeldet, nachdem er Mia Sophie ein halbes Jahr lang beim Schwimmen begleitet hat – und dafür sorgte, dass sie jetzt sicherer im Wasser ist als je zuvor. Dabei wollte das Ressort eigentlich seinen Pool an Rettungsschwimmern ausbauen, um auf Schüler, die im Becken betreut werden müssen, vorbereitet zu sein. So hat es jedenfalls Maike Wiedwald im Februar erklärt.
Und erklärt das auch jetzt. Nach Angaben der Sprecherin von Bildungssenatorin Sascha Aulepp (SPD) ist die Situation momentan genau so, wie sie damals war: Es gibt mehr Kinder, die Hilfe beim Schwimmunterricht brauchen, als Helfer da sind. Anfang des Jahres war Wiedwald bremenweit auf sechs Grundschüler gekommen, die nicht allein ins Wasser durften – und auf halb so viele Begleitpersonen, die sofort bereitgestanden haben. Jetzt kommt sie auf fünf Mädchen und Jungen, für die Schwimmassistenzen gesucht wurden – und auf drei, die bisher gefunden wurden.
Wiedwald sagt, dass die Behörde in Selmas Fall immer wieder versucht hat, eine Lösung zu finden – und mittlerweile optimistisch ist, nach den Herbstferien eine zu haben. Vielleicht aber auch schon vorher. Die Behördenmitarbeiterin kündigt an, dass jetzt passieren soll, was noch nicht geschehen ist: den iranischen Sportlehrer zu fragen, ob er zur Verfügung steht. Warum das bisher ausgeblieben ist, darüber kann Wiedwald nur spekulieren. Was sie weiß, ist nur: Die Kontaktaufnahme ist fest geplant.