„Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne“ schrieb einst Hermann Hesse und schuf mit diesem Vers ein geflügeltes Wort. Einen solchen Zauber hätten sich die Planer für den Nachfolger der Strandlust in Bremen-Vegesack auch gewünscht. Davon ist allerdings nichts zu spüren. Vielmehr formiert sich neben der leisen Mehrheit auch lautstarker Protest. Das ist verständlich und überraschend zugleich.
Der Bremer Vulkan und die Bremer Wollkämmerei (BWK) standen einst für Wirtschaftskraft, Arbeitsplätze und Wohlstand. Sie prägten das Selbstverständnis des Bremer Nordens. Und wer hart arbeitet, der darf auch feiern. Auch das geschah am Weser-Ufer: 122 Jahre lang in der Strandlust. Der Vulkan schloss 1997 endgültig die Werfttore, 2009 folgte die BWK in Blumenthal. Ein Schlag ins Kontor für den Bremer Norden und dessen Selbstverständnis. Als 2020 auch die Strandlust endgültig schließen muss, sagte der damalige Pächter Philipp Thiekötter: „Schlimm für die Mitarbeiter, schlimm für mich, das ist für ganz Vegesack schlimm.“ Damit sprach er vielen wohl aus der Seele. Schließlich verbinden zahlreiche Bremen-Norder schöne Erinnerungen mit der Strandlust: Hochzeiten, Bälle oder schöne Stunden im Biergarten mit Blick auf die Weser und die dicken Pötte. Insofern ist der Protest verständlich.
Er ist aber auch überraschend. Denn die Strandlust spielt in den Erinnerungen der Menschen eine viel größere Rolle als sie in den Freizeitplanungen zuletzt gespielt hat. Vordergründig mag das mit Corona zu tun haben. Ab März 2020 wurde das große Haus an der Weser wegen der Pandemie von einer Storno-Welle überzogen: Privatfeiern, Firmenveranstaltungen, Zimmerbuchungen und Tischreservierungen – alles abgesagt. Von 70 Hochzeiten mit 100 Gästen sei eine übrig geblieben, klagte damals der Pächter in dieser Zeitung. Zur ganzen Wahrheit gehört aber auch ein Sanierungsstau des in die Jahre gekommenen Hotels. Der damalige Insolvenzverwalter Christian Kaufmann taxierte ihn in Millionenhöhe. Es spricht einiges dafür, dass Corona letztlich ausschlaggebend für das Aus der Strandlust war, aber nicht ursächlich. Denn der Besucheransturm blieb auch aus als die Traditionsgastronomie im vergangenen Jahr einen Comeback-Versuch startete. Mit überschaubarem Erfolg.
Vegesack sollte seine neue Visitenkarte nicht schon vorab schlecht reden
Der Investor Max Zeitz wird das Hotel demnächst abreißen und an gleicher Stelle Wohnungen bauen. In einem Solitärgebäude wird es auch ein gastronomisches Angebot geben. Das ist in einem sogenannten Letter of Intent festgeschrieben. In einem Gestaltungswettbewerb werden ab Sommer mindestens acht Architekturbüros Entwürfe erarbeiten, was auf dem Strandlust-Areal entstehen soll.
Das Vorhaben muss einem nicht gefallen. Wer trennt sich schon gern von lieb gewonnenem? Doch noch gibt es überhaupt keine Pläne, sondern nur grobe Projektskizzen. In die Kategorie Hilferuf fallen daher wohl die polemisch überspitzten Visualisierungen, die seit kurzem in Vegesack plakatiert sind. Sie zeigen an der Stelle der Strandlust am Fähranleger ein an ein Parkhaus erinnernden Klotz. So soll gegen das Vorhaben in letzter Sekunde mobil gemacht werden. Das ist nicht sehr redlich. Schließlich bemüht sich das Bauamt, die Bürgerinnen und Bürger einzubinden. Es weiß um die emotionale Bindung Vegesacker an die Strandlust und versucht, diese in die Planungen einfließen zu lassen. Ob das gelungen ist, wird sich erst mit Abschluss des Architekturwettbewerbs Ende des Jahres sagen lassen.
Die Herausforderung für Bauamt und Investor wird sein, die Kritiker des Vorhabens zu überzeugen. Denn so wenig der Vulkan und die BWK wiederauferstehen wird, ebenso wenig wird die Strandlust bestehen bleiben. Die Tage des Hotels am Weserufer sind gezählt. Und das nicht erst seit ein paar Wochen. Doch so wie in Blumenthal auf dem BWK-Gelände das Kämmereiquartier mit Berufsschulcampus entsteht, so entwickelt sich auch in Vegesack Neues: das Speicherquartier auf dem ehemaligen Haven Höövt und die neue Strandlust. Was Vegesack nicht verdient hat, ist, dass die neue Visitenkarte schon vorab schlecht geredet wird. Wenn dem neuen maritimen Vegesack schon kein Zauber vergönnt sein soll, dann doch wenigstens eine faire Chance.