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Konzert im Kito Pianist Aeham Ahmad: Kunst in den Grauen des Krieges

Aeham Ahmad, syrischer Flüchtling und Pianist, begeistert im Kito Vegesack. Mit seiner Musik bringt er Schönheit in grausame Dinge und strahlt Lebensfreude aus. Ein Abend, der mehr als nur Musik bietet.
29.05.2025, 15:39 Uhr
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Von Christian Pfeiff

Ein palästinensischer Pianist und syrischer Flüchtling, der im Rahmen des Begleitprogramms der noch bis zum 24. Juni im Bürgerhaus zu sehenden Fotoausstellung „Inhabited Spaces“ ein Konzert im Kito absolviert: Bereits anhand dieser Beschreibung ist abzulesen, dass es an einem solchen Abend, angesichts eines solchen Anlasses, keineswegs ausschließlich um Musik gehen kann.

Der Symbolik seiner Person und seines Tuns ist sich Aeham Ahmad absolut bewusst: „Der 'Pianist in den Trümmern' – so ein Bild hat natürlich einen enormen Impact und wird wahrscheinlich mein Leben lang mit meinem künstlerischen Wirken verbunden sein“, weiß Ahmad, der internationale Bekanntheit erlangte, als er vor elf Jahren inmitten des Flüchtlingslagers Yarmouk öffentlich konzertierte.

Dieses Bild ging um die Welt. „Der Fotograf dieses Bildes ist hingegen nicht mehr am Leben; er wurde getötet. Das ist die traurige Ironie bei dieser Geschichte.“ Tod und Zerstörung war über lange, prägende Jahre seines Lebens ein ständiger Begleiter des Künstlers, der in dieser Phase Dinge sehen und erleben musste, die einen empfindsamen Menschen durchaus brechen könnten: „Wenn Dich die damalige syrische Geheimpolizei gefangen nahm, nahm sie Dir alles, was Du hattest – inklusive Deinem Namen. Ich weiß meine Gefangenennummer heute noch“, erzählt er auf der Bühne seinen Zuhörern.

Jedoch geht es ihm bei seinem Auftritt spürbar keineswegs darum, Betroffenheit zu erzeugen; versteht Ahmad seine künstlerische Mission doch als das komplette Gegenteil hiervon. „Ich sehe es als Teil meiner Aufgabe, Schönheit in hässliche, grausame Dinge zu bringen“, erklärt Ahmad – und strahlt sowohl auf als auch abseits der Bühne eine schiere, optimistische Lebensfreude und Positivität aus, die anlässlich des Konzerthintergrundes wohl die wenigsten der zahlreich anwesenden Besucher erwartet hätten – zumindest jene, die zuvor nicht allzu sehr mit dem Künstler und seinem Wirken vertraut waren.

Dass Ahmad Musik über alles liebt, lebt und atmet und zudem eine fundierte, stilübergreifende Ausbildung an seinem Instrument absolvierte, ist unüberhörbar: Wie ein „Grenzgänger“ im positivsten Sinne lustwandelt Ahmad auf den schwarz-weißen Tasten – und nicht nur auf diesen – zwischen Elementen aus europäischer Kunstmusik, orientalischer Tradition und jazzigen Elementen – und das alles mehr oder minder aus dem Stegreif. „Das ganze Konzert heute war mehr oder minder komplett improvisiert. Ich spiele niemals das gleiche Konzert mehrmals, auch die Stücke klingen jedes Mal etwas anders – Alles andere würde ich als eine Bürde empfinden“, erklärt er nach seinem Auftritt.

Mitunter integriert er unerwartet Variationen hierzulande gängiger Melodien in sein Spiel; improvisiert nicht nur über das finale Leitthema von Beethovens neunter Symphonie - „Freude, schöner Götterfunken“ - sondern sogar auch „Die Gedanken sind frei“. Beides singt er sogar gemeinsam mit den Anwesenden, fordert diese bei anderen Stücken immer wieder zum dreistimmigen Scatgesang auf.

Wenn er solo singt, dann auf Arabisch – ein bewusster Kontrast zu dem instrumentalen Weltbürgertum sowie ein künstlerisches Statement: „In der europäischen Wahrnehmung ist Arabisch zu einer angsteinflößenden Sprache geworden, der Sprache des IS, 'Allahu Akbar' und so weiter. Dadurch, dass ich auf Arabisch singe, möchte ich meinen Zuhörern die Schönheit und Melodik dieser Sprache demonstrieren – auch wenn mir natürlich bewusst ist, dass die wenigsten Menschen in Europa verstehen dürften, was ich da eigentlich singe.“

Zwischendrin übergibt er sein Mikrofon spontan an die sichtlich überraschte Rima Youssef: „Rima und ich haben bereits in Yarmouk in einer Band gespielt: Sie hat gesungen, ihr Mann war unser Komponist und musikalischer Leiter. Die beiden wohnen mittlerweile in Bremen und sind heute Abend hier“, erklärt Ahmad den Zuhörern – und verhalf seiner früheren Mitmusikerin für diese völlig unerwartet zu ihrem ersten öffentlichen Auftritt seit Jahren. „Ich habe seit etwa sechs Jahren nicht mehr gesungen, seit wir Syrien verlassen haben“, sagt sie später.

Dass dieses Bühnenwiedersehen und diese spontane Kooperation überhaupt möglich war, ist nicht zuletzt auch ein Verdienst von Anette Klasing, welche das Ausstellungsprojekt – und mit diesem auch das Konzert Ahmads – im Namen der Friedensstiftung „Die Schwelle“ in den Bremer Norden führte. „Dadurch, dass sich mir im Jahr 2004 – nicht zuletzt auch durch eine Freistellung seitens meines Arbeitgebers – die Möglichkeit eröffnete, für drei Jahre in Betlehem zu arbeiten, konnte ich diese Ausstellung bereits dort bewundern – und beschloss mit meinen Kollegen 2023, dieses Projekt auch nach Bremen zu holen, wo sie derzeit bereits das dritte Mal gezeigt wird“, erklärt Klasing, die zum Bremer Norden eine persönliche Bindung aufweist, begann sie hier doch bereits 1994 ihre Tätigkeit als Mitarbeiterin der Bildungsstätte Lidicehaus, welche ihren Sitz im Jahr 2007 wiederum in die Innenstadt verlagerte.

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