Sie tragen Namen wie Anita, Wilde Hilde, Johnny, Kleine Inge oder White Lady. Ihr Entstehungsort: Die wohl kleinste Werft Niedersachsens. „Die Werft“ – so lautet denn auch der Titel der aktuellen Ausstellung im Vegesacker Geschichtenhaus. Gezeigt werden Schiffsskulpturen und Grafiken von Ulrich Schmied.
Im Sommer 2024 hat der Schmied und Eisenskulpteur sein neues Projekt „Die Werft“ ins Leben gerufen. Seitdem sind in seiner Werkstatt in Hilgermissen gut 100 Schiffe vom Stapel gelaufen. Seine Kreativität kennt dabei keine Grenzen – von Segelschiffen über Ozeandampfer bis hin zu Ruderbooten ist alles dabei. Das Vegesacker Geschichtenhaus sei der perfekte Ausstellungsort: „Umgeben von so viel Schiffbau-Geschichte – einen besseren Ort gibt es nicht.“ Ulrich Schmied deutet lachend zum Fenster in Richtung Weser. „Die drei wichtigsten Werften Deutschlands – Lürssen, Abeking & Rasmussen und Ulrich Schmied – zurzeit alle in Sichtweite.“ Das Interesse an maritimen Themen sei groß, „und Küsten gibt es ja überall auf der Welt. Da habe ich beschlossen, meine eigene kleine Werft zu eröffnen. In dieser Werft bin ich alles selbst: Schiffskonstrukteur, Schweißer, Werftbesitzer, Bootsverkäufer und Kapitän.“
Die ausgestellten Schiffsskulpturen bestechen durch eine filigrane Leichtigkeit, die man dem Material Eisen kaum zutraut – sei es das Stelzenboot in edlem Schwarz und Gold, schnittige bunte Segler, die so wirken, als könne ein zarter Windhauch sie vorantreiben oder ein Ruderboot mit vergoldeten Ruderblättern; fast ein kleines Stillleben. Viele der Kunstwerke weisen originelle, auch humorvolle Elemente auf, denn Ulrich Schmied baut seine Schiffe aus fast allem, was er in die Hände bekommt: Eisen, Werkzeuge, Schrott, auch Holz oder ein Stück einer alten Axt. Und so werden Gewindeschneider zu Masten, eine Schraubenmutter zum Steuerstand und Spiralbohrer zu Passagieren. Einige Schiffe sind mit leuchtenden Farben besprüht, aber auch Rost, der eine ganz eigene Poesie entwickeln kann, wird in den künstlerischen Prozess mit einbezogen.
Schiffsbauer-Gen im Blut
Gut 50 seiner bislang 100 Schiffsskulpturen sind in Vegesack zu sehen. „Die anderen sind schon verkauft. Es ist ein ständiges Kommen und Gehen“, so der Künstler. Das Schiffbauer-Gen liegt ihm quasi im Blut: „Schon mein Ur-Ur-Großvater Karl hat Kurenkähne auf der Nehrung gebaut“, erzählt Ulrich Schmied. Sein Vater war Künstler, und so hatte er bereits früh den Wunsch, ebenfalls Künstler zu werden. Sein Vater habe entgegnet: „Erst lernst du ein Handwerk, dann kannst du Künstler werden.“ 1980 begann Ulrich Schmied als 17-jähriger eine Lehre als Schmied in verschiedenen Werkstätten. Pflicht und Kür zugleich, denn das „archaische Handwerk“ des Schmieds faszinierte ihn. „Eisen nach meinen Vorstellungen zu formen – das gefällt mir.“ Schon wenige Jahre später schuf er erste Skulpturen. Der gebürtige Niedersachse hat sich mit fast allen Künstlern, die Eisen geschmiedet und Stahl geformt haben, auseinandergesetzt. Unter anderem war „Schmiedepapst“ Alfred Habermann sein Lehrmeister bei einer Weiterbildung als Schmied in der Denkmalpflege in Venedig, für die er 1990 ein Stipendium erhalten hatte.
Schmied war und ist für ihn nicht nur Beruf, sondern Berufung – und wurde zu seinem Namen. „Schmied ist seit 40 Jahren mein Künstlername“, so Ulrich Schmied. Allerdings belässt er es nicht bei seiner Schmiedekunst, sondern betätigt sich auch als Maler und Grafiker und schreibt Kurzgeschichten und Fabeln zu seinen Arbeiten. Demnächst soll zu den Skulpturen seiner „Werft“ auch Seemannsgarn gesponnen werden – ein Kunstkatalog ist geplant. Schließlich möchte „Die Werft“ sich auch auf Boots- und Kunstmessen vorstellen. „Von Schifffahrt und dem ,großen Schiffbau‘ habe ich so gut wie keine Ahnung“, gesteht Ulrich Schmied freimütig. „Kein einziges meiner Schiffe kann schwimmen, die würden alle direkt untergehen.“ Aber das Schwimmen und Fahren ist auch nicht ihre Aufgabe – sie sollen die Betrachter erfreuen und zu Fantasiereisen einladen. Und vielleicht resultieren daraus für den „Werftbesitzer“ auch echte Reisen. Ulrich Schmied wird mit seiner „Werft“ im Januar 2026 bei der Bootsmesse in Düsseldorf dabei sein, außerdem wird es möglicherweise in einigen Jahren eine Ausstellung auf Long Island/New York geben. „Ich bin sehr gespannt, wo meine kleine Werft mich noch hinführen wird“, so Ulrich Schmied. Von Vegesack in die weite Welt – wer weiß?