Was bringt eine Hausaufgabenhilfe ohne jemanden, der die Aufgaben erklärt? Was ein Tischtenniskursus ohne Kursleiter? Und wie soll eine Kleiderkammer ohne Menschen funktionieren, die tatkräftig mit anpacken? Diese Fragen stellen sich zurzeit viele Einrichtungen für Geflüchtete in Vegesack. Der Grund ist Freiwilligenschwund.
Den Vegesacker Flüchtlingsunterkünften gehen die Ehrenamtlichen aus. Dabei ist der Bedarf ungebrochen. „Der Ansturm ist von uns kaum zu bewältigen“, berichtete Sybille Vollmer jetzt dem Flüchtlingsausschuss in Vegesack. Sybille Vollmer ist Initiatorin der Ökumenischen Starthilfe Grohn, die seit rund zwei Jahren gespendete Kleidung und Möbel an Geflüchtete in einem früheren Supermarkt an der Lerchenstraße in Aumund-Hammersbeck verteilt. „Es ist zum Verzweifeln, weil es zu viele Leute sind, die von Huchting wie von Osterholz-Tenever kommen und die ab neun Uhr vor der Tür stehen, egal welches Wetter ist.“
Insgesamt registrierte die Initiative fast 3600 Geflüchtete aus 34 verschiedener Nationalitäten, die sich mit Kleidung, Spielzeug, Hausrat und Möbeln eingedeckt haben. Es kämen inzwischen nicht mehr nur syrische Geflüchtete, sondern auch viele Menschen aus dem Iran und Irak, „und Westafrika ist sehr stark vertreten“.
An den Ausgabetagen warten bis zu 100 Frauen, Männer und Kinder aus ganz Bremen vor der Tür des früheren Supermarkts. „Heute gab es das erste Mal Konflikte bei der Ausgabe. Ein Mann hat eine Frau geschlagen, weil die sich angeblich vorgedrängelt hat“, sagte die Nordbremerin.
Sie könne den Unmut verstehen. Wegen der unzureichenden Helferzahl könnten immer nur 35 Personen zur gleichen Zeit ins Gebäude. „Die werden von uns abgearbeitet. Das dauert eine gute halbe Stunde. Dann kommt erst der nächste Schwung. Draußen ist es kalt, viele Kleinkinder sind dabei. Wir sind auf der Suche nach einem besseren System, aber uns fällt nichts ein.“
Während die Zahl der Besucher zunimmt, sei die Zahl der Helfer gesunken: „Wir hatten mal 40 Helfer, jetzt sind es nur noch 30.“ Viele syrische Ehrenamtliche fielen aus, weil sie inzwischen eine Arbeitsstelle gefunden haben. Im vergangenen November entschieden die verbliebenen Helfer, die Öffnungszeiten auf einen Tag in der Woche zu reduzieren. Sybille Vollmer: „Manchmal denken wir, wir können es überhaupt nicht mehr machen.“
Denn neben der Ausgabestelle organisieren Sybille Vollmer und Team auch noch Möbel-Transporte. Allein 2019 legten die Helfer mit Kirchenbus und einem Sprinter 22.000 Kilometer im Stadtgebiet zurück. „Und unser Laden ist 500 Quadratmeter groß. Der muss auch sauber gemacht werden“, berichtete Sybille Vollmer.
Andererseits gebe es großen Bedarf an der Ausgabestelle. Mit Entsetzen hätten einige Helferinnen bei der Kleiderausgabe festgestellt, dass einige Kinder ohne Unterwäsche und Strümpfe in den Laden kommen. In den meisten Wohnungen, in die die Initiative Möbel bringt, gebe es keine Küchen. Vollmer: „Im Kücheneinbau sind wir inzwischen Spezialisten.“ Die Geflüchteten, betonte sie, seien für den Einsatz der Initiative sehr dankbar. „Das ist für uns Motivation.“
Neben Freiwilligen benötigt die von den Grohner Kirchengemeinden Heilige Familie und Sankt Michael getragene Initiative auch Geldspenden. Durch die Ladenmiete hat die Initiative laut Sybille Vollmer einen Bedarf von bis zu 18.000 Euro pro Jahr. Dagegen könne sie aber nur einen städtischen Zuschuss in Höhe von 3000 Euro und private Spendengelder rechnen. Die Starthilfe sei deshalb auf jede Form der Unterstützung angewiesen. „Sie verpflichten sich bei uns zu nichts", warb sie vor dem Ausschuss. Es helfe schon, wenn jemand fünf Euro spendete oder nur mal eine halbe Stunde mit anpacke.
Haleh Soleymani, Leiterin der VHS Nord und West, sagte in der Sitzung, sie könne sich Sybille Vollmers Rede nur anschließen. „Nach wie vor ist der Bedarf an Freiwilligen immens.“ Die VHS habe ebenfalls Freiwillige verloren, benötige aber weiterhin Unterstützung. Insgesamt 13 Integrationskurse laufen derzeit an der Volkshochschule Nord. Die Hälfte der Kurse sind Alphabetisierungskurse und Zweitschriftlernkurse.
Derzeit seien zwei Drittel der Teilnehmer Geflüchtete, viele seien arabisch alphabetisiert und sprächen gut Englisch. „Wir verzeichnen erhöhte Teilnehmerzahlen von Menschen, die aus afrikanischen Ländern kommen. Eritrea, Ghana, Somalia“, sagte Haleh Soleymani. Ziel sei es, den Menschen in der Zentralen Aufnahmestelle für Asylbewerber und Flüchtlinge im Lande Bremen (Zast) schnell Kurse zuweisen zu können. Die Anträge seien kompliziert. „Es braucht viel Unterstützung“, erklärte Soleymani. „Die Papierlage muss gefiltert werden. Liegt eine Berechtigung vom Bundesamt vor? Sind die Papiere verloren gegangen?“
Auch die Arbeiterwohlfahrt verzeichnet einen Rückgang der Freiwilligenarbeit in der Zast, wo etwa 650 Geflüchtete leben. „Vor dreieinhalb Jahren hatten wir 20 Ehrenamtliche, jetzt zehn bis zwölf“, überschlug Awo-Projektkoordinatorin Silke Karsten. Damit fehlten wichtige Leute, die verschiedene Projekte an der Lindenstraße unterstützten: „Die Hausaufgabenhilfe und der Tischtenniskurs sind ausgelaufen.“ Kinderbetreuung laufe derzeit noch über eine Schülerfirma und Praktikanten aus der Oberstufe.
Nach den Worten von Silke Karsten fehlt es auch an Freiwilligen, die in der Kleiderkammer der Erstaufnahmeeinrichtung Ordnung schaffen und beim Sortieren helfen. „Wir sind gut ausgestattet“, betonte Karsten. Allerdings: „Babysachen brauchen wir massenhaft – und Kinderwagen.“ Einige Projekte in der Zentralen Aufnahmestelle scheiterten jedoch nicht am fehlenden Personal, sondern vor allem an fehlenden Sachmitteln. Silke Karsten: „In der Fahrradwerkstatt haben wir zwar engagierte Ehrenamtliche, aber wenn es keine Materialien gibt, ist das Projekt zu Ende.“
Weitere Informationen
Wer sich ehrenamtlich bei der Starthilfe Grohn, der VHS Nord oder der Zast in der Geflüchtetenarbeit engagieren möchte, kann sich an die Einrichtungen direkt oder ans Ortsamt Vegesack (Telefon 04 21 / 3 61 72 22) wenden.