Mit einem offenen Lächeln steht Svitlana Zhuravlova in der Tür des Klassenzimmers und begrüßt ihre Schüler. Noch vor Kurzem hat sie sich zusammen mit ihren Kindern und ihrem Mann vor einem Raketenangriff in der Ukraine in Sicherheit bringen müssen. Wie sie ihre Flucht erlebt und binnen vier Wochen einen Job in Vegesack gefunden hat.
Rund drei Monate sind nach dem Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine vergangen. In den ersten Kriegstagen dachte die zweifache Mutter Svitlana Zhuravlova noch nicht an Flucht. Die diplomierte Deutschlehrerin, die bis zur Flucht im Goethe-Institut in Kiew arbeitete, schildert die Nacht, die sie umstimmte. In dieser Nacht sei es zu einem Raketenangriff auf die Zivilbevölkerung gekommen. „Wegen der Kinder hatten wir wirklich Angst.“ Die Familie musste schnell Schutz suchen und fand ihn im eigenen Garten.
Unterirdisches Versteck
„Wir haben eine Wärmepumpe, zu der im Garten eine unterirdische Anlage gehört. Hier passen drei Personen gerade so hinein.“ Die Familie quetschte sich zu viert in den engen Raum. Svitlana Zhuravlova denkt mit Schrecken an den Beschuss: „Es war so laut.“
Am nächsten Tag stieg die Mitarbeiterin des Goethe-Instituts zusammen mit ihren zu der Zeit zwölf und 17 Jahre alten Söhnen in einen von fünf Sonderzügen für Geflüchtete von Kiew nach Polen. „Das war der einzige Fluchtweg, der Luftraum war geschlossen, die Landstraßen waren zum Teil zerstört. Viele passten nicht mehr in die Züge. Es herrschte Panik“, beschreibt sie. Die Züge seien derart voller Menschen gewesen, dass sie sich nicht bewegen konnten.
Ehemann bleibt zurück
„Die Entscheidung, unsere Heimat zu verlassen, fiel uns wirklich schwer“, sagt sie rückblickend. Der Gedanke an ihren Mann, den sie zurücklassen musste, bewegt die 47-Jährige sichtlich. „Er verteidigt Kiew und Vororte mit der Waffe.“
Hinter der polnischen Grenze seien die Menschen noch im Zug versorgt worden. „Wir bekamen nicht erst die notwendigen Formulare, sondern Wasser und Babynahrung durchs Fenster gereicht.“ In Sonderzügen ging es weiter nach Warschau, wo Kollegen des dortigen Goethe-Instituts die diplomierte Deutschlehrerin in Empfang nahmen. „Ich war am Ende meiner psychischen und körperlichen Kräfte. Während der ganzen Fahrt hatte ich Angst, dass wir bombardiert werden.“
Freundin hilft auf der Flucht
Dass sie letztlich nach Bremen kam, habe sie einer langjährigen Freundin zu verdanken. „Sie hatte mich nach Beginn des Krieges gesucht, aber als ich ihre Mail entdeckte, war ich schon auf der Flucht.“ Die Bremer Lehrerin richtete zusammen mit Kollegen eine ehemalige Hausmeisterwohnung in Vegesack für die Familie her. „Sie haben für uns sogar Verpflegung besorgt.“
Ihr jüngster Sohn konnte bereits vier Tage nach der Ankunft die Vorklasse für Geflüchtete des Vegesacker Gymnasiums besuchen und ihr ältester Sohn lernt ganz in der Nähe: am Vegesacker Schulzentrum. Die Schulleiterin des Gymnasiums, Heike Ohler, und der Schulleiter des Schulzentrums, Peter Kaus, hätten sich sehr um ihre Familie gekümmert: „Wir wurden wärmstens aufgenommen.“
Dass die Ukrainerin selbst so schnell einen Job fand, hat mit ihrem Sprachvermögen zu tun: Bei der Anmeldung ihrer Kinder seien ihre guten Deutschkenntnisse aufgefallen. Es folgte ein Gespräch mit Schulleiter Peter Kaus. „Und dann bekam ich das Angebot, hier in der Berufsschule zu unterrichten.“ Kaus habe sie bei der Bewerbung und allen Formalitäten unterstützt.
Schulklasse dreht ein Video
Durch die Hilfe und Offenheit der Bremer schaffe sie es, den psychischen Stress des Krieges und der Flucht zu verarbeiten. „Wir haben von heute auf morgen schreckliche Sachen erlebt. Ich hätte nie gedacht, dass die Kinder und ich den Klang der ballistischen Raketen kennenlernen werden.“
In Vegesack habe sie neue Kraft tanken können. „Ich will hier nicht von Steuergeld leben, ich bin dankbar, dass ich hierher flüchten durfte. Ich bin eine ausgebildete Person und möchte mich sofort integrieren und die Gesellschaft hier unterstützen.“
Die Schulglocke bimmelt. Die Pause ist vorbei. Der erste Schüler erscheint an der Tür. Seit Mai unterrichtet Svitlana Zhuravlova neun ukrainische Geflüchtete. Gerade erstellt ihre Klasse ein Video über sich: „Es sind fast alles Jugendliche, die sich in der Ukraine mit ihrem Abschluss beschäftigt haben und sich jetzt neu orientieren müssen.“ Innerhalb weniger Tage hätten die Heranwachsenden gelernt, sich auf Deutsch vorzustellen. Svitlana Zhuravlova: „Das ist ein Riesen-Erfolg, wenn wir berücksichtigen, dass es Kriegsflüchtlinge sind, die weit weg von ihrem Zuhause sind. Ich hoffe, dass ich ihnen eine Stütze bin.“