Bremen Stadtteile Osterholz Verden Diepholz Delmenhorst Wesermarsch Oldenburg Rotenburg Cuxhaven Bremerhaven Niedersachsen

Straßennamen im Bremer Westen Geschichte aufarbeiten – aber wie?

Umbenennung oder Informationstafeln? Auch im Bremer Westen diskutieren Bürger darüber, wie sie mit Straßennamen umgehen wollen, die sich auf die Kolonialzeit beziehen. Die Antworten sind unterschiedlich.
19.08.2024, 05:00 Uhr
Jetzt kommentieren!
Zur Merkliste
Geschichte aufarbeiten – aber wie?
Von Anne Gerling
Inhaltsverzeichnis

In Bremen wird seit Längerem kontrovers über die Umbenennung von Straßen diskutiert, deren Namen aus heutiger Perspektive als problematisch empfunden werden. Prominentestes Beispiel ist wohl die 1937 nach dem angeblichen Ort einer Schlacht im Ersten Weltkrieg benannte Langemarckstraße in der Neustadt – das Thema betrifft aber auch den Bremer Westen, wo sich die Beiräte in Walle und Gröpelingen aktuell mit mehreren Straßen beschäftigen, die an die Kolonialzeit erinnern.

Wie ist die Situation in Walle?

In Walle ist wie berichtet die Mehrheit des Stadtteilparlaments der Auffassung, dass eine Umbenennung von Karl-Peters-Straße, Columbusstraße, Nachtigalstraße und Leutweinstraße sinnvoll, angemessen und verhältnismäßig wäre: SPD, Grüne und Linke begrüßten im Mai einen Bürgerantrag der Stadtteilgruppe „Walle Entkolonialisieren“ zur Umbenennung dieser Straßen, sprachen sich jedoch dafür aus, zunächst die Anwohnerinnen und Anwohner zu befragen.

Was die Waller Ortspolitiker da noch nicht ahnten: Dass der Senat den Ortsämtern im Juli einen dreistufigen Fahrplan zu Straßenumbenennungen zukommen lassen würde, um solche Verfahren besser und einheitlich zu regeln und eine möglichst breite Bürgerbeteiligung sicherzustellen. Die Handreichung sieht drei Phasen vor: In der ersten sollen demnach die Ortsämter alle Betroffenen über die Hintergründe einer geplanten Umbenennung informieren. Die zweite Phase soll die Möglichkeit einer offenen Diskussion in einer oder mehreren Veranstaltungen bieten, und die dritte Phase zielt darauf, die Mitwirkung aller Betroffenen durch eine individuelle Befragung sicherzustellen.

Mittlerweile gibt es eine Arbeitsgruppe, die sich vorige Woche erstmals traf, um die Bürgerbefragung vorzubereiten. Dabei habe sich gezeigt, dass noch viele Fragen zu dem neuen Leitfaden mit der Senatskanzlei zu klären seien, sagt Sebastian Schmugler, der für die SPD im Arbeitskreis sitzt. Zum Beispiel, ob neben Anwohnerinnen und Anwohnern auch Grundstückseigentümer, Gewerbetreibende und Wohnungsgesellschaften befragt werden und wenn ja, in welcher Form. Oder ob auch Personen aus dem Ortsteil als Betroffene befragt werden sollen und welche Senatsressorts eingebunden werden. Aus dem ursprünglichen Plan des Beirats – einer Befragung im Oktober – werde daher wohl nichts: "Geplant ist nun, dass man bis Ende des Jahres Klarheit darüber hat, wie das Verfahren gestaltet wird und dass wir außerdem bis dahin die erste Phase hinbekommen."

Um welche Gröpelinger Straßen geht es?

In Gröpelingen beziehen sich neun Straßennamen auf die deutsche Kolonialgeschichte: Waterbergstraße, Windhukstraße, Otavistraße und Südweststraße im Ortsteil Industriehäfen sowie Kamerunstraße, Kribiweg, Togostraße, Togoplatz und Dualaweg in Oslebshausen.

Die Waterbergstraße erinnert an die Schlacht am Waterberg am 11. August 1904, die den Beginn des Völkermordes an den Herero und Nama in Deutsch-Südwestafrika – dem heutigen Namibia – markiert. Historiker sprechen von etwa 80.000 Opfern. Südweststraße, Windhukstraße und Otavistraße verweisen auf die ehemalige Kolonie Deutsch-Südwestafrika. Die zu Beginn der deutschen Kolonialzeit verwendete Schreibweise Windhuk ist heute nicht mehr üblich.

Kamerunstraße, Dualaweg und Kribiweg wiederum beziehen sich auf die deutsche Kolonie Kamerun. 1884 hatte der deutsche Generalkonsul Gustav Nachtigal mit Vertretern der Duala und anderen regionalen Herrschern Schutzverträge abgeschlossen und damit die sogenannte deutsche Schutzherrschaft über Kamerun als Deutsche Kolonie proklamiert. Kribi ist eine Stadt im Süden Kameruns, die als Siedlung deutscher Kaufleute entstand und Hauptausfuhrhafen für Kautschuk und Elfenbein war. Die Togostraße und der Togoplatz beziehen sich auf die ehemalige deutsche Kolonie Togo.

Was will der Gröpelinger Beirat?

Der Gröpelinger Beirat hat sich im Mai für eine andere Vorgehensweise als in Walle entschieden: Er wünscht sich ergänzende Informationstafeln an den Straßenschildern, um die historische Bedeutung der Straßennamen deutlich zu machen und sie „kritisch und mahnend einzuordnen“. Im Antrag der Linksfraktion, dem der Beirat geschlossen zugestimmt hat, heißt es dazu: „Die heutige Verwendung dieser Straßennamen ohne Darstellung des historischen Kontextes ist fragwürdig. Auf der einen Seite kann die Beibehaltung der Namen als Erinnerung an ein dunkles Kapitel der deutschen Kolonialgeschichte und als Mahnung dienen. Auf der anderen Seite führt die Beibehaltung der Straßenbezeichnungen ohne angemessene Reflexion und Kontextualisierung zu einer Verharmlosung der Verbrechen gegen die Herero und der Kolonialgeschichte Deutschlands und Bremens insgesamt.“ Die Gröpelinger Ortspolitiker wollen sich jetzt um fachkundige Hilfe bei den Formulierungen für die ergänzenden Texttafeln bemühen.

Die Situation in Gröpelingen sei mit der in Walle nicht vergleichbar, unterstreicht dabei Dieter Winge, Sprecher der Linksfraktion im Gröpelinger Beirat: „Hier geht es um Ortsnamen – das ist etwas völlig anderes als Straßen, die nach Verbrechern benannt wurden, an deren Händen Blut klebt. Ich glaube, dass man sich jeden einzelnen Fall angucken muss. Wir haben hier eine eigene Problematik und müssen da auch eine eigene Bewertung vornehmen.“

Zur Startseite
Mehr zum Thema

Das könnte Sie auch interessieren

Rätsel

Jetzt kostenlos spielen!
Lesermeinungen (bitte beachten Sie unsere Community-Regeln)