Der Senat zieht Konsequenzen aus den erbitterten Diskussionen um Straßenumbenennungen: Um das Verfahren besser zu regeln und eine möglichst breite Bürgerbeteiligung sicherzustellen, sollen sich die Ortsämter künftig an einen dreistufigen Fahrplan halten. Dazu gehört auch eine schriftliche Anwohnerbefragung. Eine entsprechende Mitteilung hat die Senatskanzlei am Dienstag den Ortsamtsleitern zugestellt, das Papier legt dem WESER-KURIER vor. Die Überschrift lautet: "Angemessenes Verfahren für die Durchführung einer dialogorientierten Umbenennung von Straßen." Wie berichtet, gibt es seit geraumer Zeit einen erbitterten Streit um die Umbenennung der Langemarckstraße in Georg-Elser-Allee.
Gilt das neue Verfahren ab sofort?
Offenbar ja. Im Anschreiben an die Ortsämter heißt es, das neue Verfahren „sollte im Weiteren Berücksichtigung finden“. Das klingt so, als seien damit nicht nur Straßenumbenennungen gemeint, die in Zukunft auf der Tagesordnung stehen könnten, sondern auch Fälle, die aktuell die Gemüter erhitzen. Das würde konkret die Langemarckstraße und vier Straßen in Walle betreffen, die nach Protagonisten der Kolonialgeschichte benannt sind: Es handelt sich um die Columbus-, Leutwein-, Nachtigal- und Karl-Peters-Straße. Im Streitfall Langemarckstraße hatte der Senat dem Ortsamt bereits Ende Mai zur Auflage gemacht, bei der Bürgerbeteiligung nachzubessern. Das Rathaus möchte zum Schreiben an die Ortsämter keine offizielle Stellungnahme abgeben.
Worin bestehen die drei Phasen der Bürgerbeteiligung?
In der ersten Phase sollen die Ortsämter alle Betroffenen über die Hintergründe einer geplanten Umbenennung informieren. Die zweite Phase soll die Möglichkeit einer Diskussion in einer oder mehreren Veranstaltungen bieten. Erklärtes Ziel ist eine „möglichst offene Meinungs- und Willensbildung bei allen daran Beteiligten“. Auch das zuständige Fachressort sowie möglicherweise vorhandene Initiatoren einer Straßenumbenennung sollen dabei zu Wort kommen. Die dritte Phase zielt darauf, die Mitwirkung aller Betroffenen durch eine individuelle Befragung sicherzustellen. In kleinen Straßen wäre eine persönliche Ansprache an der Haustür denkbar. Bei Straßen mit mehr als 300 Anwohnerinnen und Anwohnern soll die Befragung „möglichst postalisch erfolgen, um zumindest alle gemeldeten Personen zu erreichen“. In Anlehnung an das kommunale Wahlrecht sollen alle Anwohner ab dem 16. Lebensjahr mitreden dürfen..
Wie genau soll die individuelle Befragung aussehen?
Die Betroffenen werden über den Inhalt der Befragung informiert und über die möglichen Konsequenzen. Zugleich sollen die Möglichkeiten und Grenzen der Beteiligung klar definiert werden. Dazu zählen auch die gesetzlichen Rahmenbedingungen. Die Anwohner erhalten einen Ankreuzbogen inklusive Rückumschlag – und damit die Möglichkeit zur Abstimmung. Ferner wird den Ortsämtern nahegelegt, eine Abstimmungsfrist zu nennen. Nicht ganz klar ist, ob der Personenkreis der Adressaten über die Anwohner hinausgeht. Der Ablaufplan spricht abwechselnd von Betroffenen und Anwohnern, einmal auch von Beteiligten. Es bleibt offen, ob darunter auch Anlieger zu verstehen sind, also zum Beispiel ansässige Unternehmer, die nicht vor Ort wohnen.
Sind die Ergebnisse verbindlich?
Nicht unbedingt. Schon bei den Diskussionsveranstaltungen sind die Ortsämter angehalten, den Rahmen und den Gestaltungsspielraum bei der Beteiligung an der Straßenumbenennung unmissverständlich zu kommunizieren. In der Phase der individuellen Befragung differenziert die Senatskanzlei zwischen den Ergebnissen der Bürgerbeteiligung und der getroffenen Entscheidung, die nach Gesetzeslage nur der Beirat fällen kann. Das Votum der Bürger und die letztendliche Entscheidung können also, müssen aber nicht übereinstimmen. Dem Vernehmen nach sind übergeordnete Gründe denkbar, die ein Anwohnervotum aushebeln könnten. Wörtlich heißt es in dem Papier: „Die Ergebnisse der Bürgerbeteiligung und die getroffene Entscheidung sind zum Abschluss zu kommunizieren.“
Was bezweckt der Ablaufplan?
Bislang gibt es für die Ortsämter keine detaillierten Vorgaben zum Ablauf bei Straßenumbenennungen. Eine kurze Orientierung stellt das Amt für Straßen und Verkehr (ASV) bereit. Mit dem jetzt erstellten Plan will die Senatskanzlei den Ortsämtern einen Leitfaden für das Vorgehen bei Straßenumbenennungen an die Hand geben. Laut Anschreiben kommt die Senatskanzlei damit „vielfachen Aufforderungen“ zur schriftlichen Fixierung nach. Dabei dient das 2018 vom Senat beschlossene Leitbild für Bürgerbeteiligung als Richtschnur. Eingeflossen sind auch Erfahrungswerte. Die konkrete Umsetzung der Bürgerbeteiligung bleibt aber Sache der Ortsämter.