Plötzlich kommt ein älterer Herr vorbei und verteilt Getränke: „Dass es noch Leute gibt, die für Ordnung sorgen, finde ich gut“, sagt der Mann, der seinen Namen lieber nicht nennen möchte und zügig weitergeht. Und zurück bleiben sieben Leute in gelben Westen, die sich erfreut an Wasser und Apfelschorle laben.
„Pusdorf räumt auf“ steht auf den gelben Westen, und wenn sich schon nicht ganz Woltmershausen an diesem Sonnabendmorgen auf dem Pusdorfer Marktplatz getroffen hat, so sind es doch diese sieben Menschen aus dem Stadtteil, die sich gerade daran machen, mit Abfallzange und Handschuhen in brütender Hitze die Dötlinger Straße ein wenig sauberer zu hinterlassen. „Das allermeiste sind Kippen“, sagt Andrea Herdey von der Initiative, „wenn wir einen Kilometer laufen, haben wir zwei Kaffeedosen voll. Kippen sind das Allerschlimmste.“ Denn die insgesamt 7000 Schadstoffe in einer Zigarette bleiben im Filter hängen, und wenn die Zigarettenstummel in eine Pfütze gelangen, lösen sich die giftigen Stoffe und treten ins Wasser über. Zudem setzt die Zerfaserung des Filters Mikroplastik frei. Neben dem wöchentlichen Aufsammeln von Müll verteilt die Gruppe dann auch kleine Taschenaschenbecher, um die Motivation, aufgerauchte Zigaretten nicht einfach in der Natur zu entsorgen, zu steigern.
Die Müll-Funde reichen von Batterien bis Avocados
Was auch gefunden wird, zählt Mitsammler Christian Gellert auf: „Kleidungsstücke, kleine Elektrogeräte, Verpackungsmüll, Capri-Sonnentüten, Kronkorken, kleine Wodkaflaschen – es ist alles dabei." Und wo sie schon mal dabei sind, zählen sie weitere skurrile und erschreckende Beispiele auf: „Wir haben mal eine Tasche gefunden, und da lag ein halbverwestes Tier drin“, erinnert sich Andrea Herdey. Mitstreiterin Karin Amelung denkt mit mehr als nur Verwunderung an diesen Fund: „Wir haben auch schon mal eine Kuhklaue gefunden“, aber auch Geld, Batterien, Kondome, ein ganzes Mofa in der Weser am Spiel- und Wassergarten, kistenweise Avocados und Weintrauben – „die waren noch gut!“ – oder sogar mal einen Dildo. „Und des Öfteren Einkaufswagen und nach der Wahl Wahlplakate." Auch ein Mobiltelefon habe sie mal gefunden und einen Autoschlüssel: „Das habe ich dann gepostet, und als die Besitzer Handy und Schlüssel abgeholt haben, waren beide happy.“

Der Eimer mit den Zigarettenkippen ist schnell voll.
Happy sind die Aktiven der Initiative "Pusdorf räumt auf" angesichts der scheinbar ständig sich erneuernden Müllmengen aber eher nicht: „Ich habe mich immer über Müll im Stadtteil geärgert und dann habe ich die Leute in den gelben Westen gesehen“, erzählt Andrea Herdey. Seitdem ist sie dabei, denn, so findet sie: „Da hilft kein ,Danke‘, da muss man mitmachen.“ Und auch Gertrud Wink, die seit nahezu fünf Jahren wöchentlich die gelbe Weste überstreift, hat sich über den Müll geärgert, über den sie auf dem Weg zur Haltestelle laufen musste: „Das macht mir Spaß“, sagt sie dennoch über ihre sonnabendliche Aktivität, „wir haben auch unterwegs viele Gespräche. Und es gibt auch Leute, die uns Kaffee anbieten, dann setzen wir uns auch mal.“ Kaffee haben Traudel Jahn und Werner Traugott zwar nicht dabei, doch Werner Traugott sammelt selbst jeden Tag vor seiner Haustür in der Woltmershauser Straße: „Das ist schlimm, was die Leute so hinschmeißen“, wundert er sich und fragt: „Warum tun die das?“ Und Traudel Jahn sagt: „Ich rauche und habe immer einen kleinen Aschenbecher in der Handtasche dabei.“
Der erster Aufruf ging über soziale Netzwerke
Ein tolles Team seien sie, meint Karin Amelung, die "Pusdorf räumt auf" ins Leben gerufen hat. Damals, im November 2018, sei sie bei der Umweltinitiative "Bremen räumt" auf dabei gewesen: „Ich habe dann bei Facebook gefragt, wer mit mir Woltmershausen aufräumen möchte, und irgendwann kam dann 'Pusdorf räumt auf'.“ Die eine oder andere Ecke sei auch seitdem sauberer geworden, da bewege sich etwas, doch sie sagt auch: „Die Gleichgültigkeit hat sich verstärkt.“ Christian Gellert ergänzt: „Ich mag die couragierten Frauen in der Gruppe einfach. Sie schaffen ein Angebot, das man nicht ablehnen kann – hier ist jeder willkommen.“

Die Anwohner Traudel Jahn und Werner Traugott ärgern sich auch über Müll.
Melina ist mit elf Jahren die Jüngste in der Gruppe: „Ich sehe, wie viel Müll im Stadtteil liegt, und ich finde die Aktion sehr schön“, sagt sie. „Die Leute werfen ihren Müll einfach hin, ohne zu wissen, was sie damit der Natur antun.“ Doch nein, so ganz stimme das nicht: „Manche wissen es nicht, den anderen ist es egal. Das finde ich ganz schlimm. Viele denken, so eine kleine Kaugummipackung richtet nichts an. Aber das tut es.“
Seit Beginn des Sommers ist auch Olaf Schnur dabei: „Seit 2010 hat sich das mit dem Müll kontinuierlich gesteigert“, erzählt er, und auch der illegal abgelegte Müll werde mehr, so seine Beobachtung. Den Vergleich mit der Vergangenheit stellt auch Gertrud Wink an: „Ich lebe seit acht Jahren hier, vorher habe ich in Worpswede gewohnt. Dort haben wir einmal im Jahr Müll gesammelt, hier einmal in der Woche.“ Christian Gellert meint, das sei schon fast so eine Art Guerillaschauspiel und es werde immer das gleiche Stück aufgeführt – Titel: „Werft euren Müll hier nicht hin!“
Bei großen Mengen werden die Profis gerufen
Bei größeren Müllmengen muss auch die kleine Gruppe passen, dann meldet sie die Funde den Apps „Müllweg.de“ oder „Mängelmelder.de“, doch heute bleibt es bei vielen Kippen. Ein großer und inzwischen getrockneter Farbklecks im Gebüsch ist auch dabei, ein schmuddeliges Kleidungsstück in Grau, ein altes Fahrradschloss, Scherben, Papier, Plastik und was sonst noch so wegwerfbar ist. „Und gerade in Mode: Einkaufswagen“, erzählt Olaf Schnur, „die Leute fahren den Einkauf mit dem Wagen nach Hause und entsorgen dann einfach den Einkaufswagen.“
Nach etwas mehr als einer Stunde und knapp 250 Metern beendet die Gruppe ihr Tagwerk, der von der Bremer Stadtreinigung (DBS) gespendete Bollerwagen ist gut gefüllt. Mit der Ausbeute sind die sieben Aktiven der Initiative zufrieden, und sie verabreden sich gleich wieder für die nächste Woche. Denn nicht nur Andrea Herdey findet: „Es gibt so viel zu tun! Das Schlimmste ist, nichts zu tun.“