Bremen Stadtteile Osterholz Verden Diepholz Delmenhorst Wesermarsch Oldenburg Rotenburg Cuxhaven Bremerhaven Niedersachsen

Startchancen-Programm Wie ein Förderprogramm in Bremen aus den Startlöchern kommt

Endlich mal Unterricht in überschaubarer Größe: An der Lerntherapie an einer Oslebshauser Grundschule nehmen sechs Kinder in zwei Dreier-Gruppen teil. Das Startchancen-Programm macht es möglich.
26.11.2024, 05:00 Uhr
Jetzt kommentieren!
Zur Merkliste
Wie ein Förderprogramm in Bremen aus den Startlöchern kommt
Von Frank Hethey

Für ein paar Gefühle ist noch Platz im Nomenhaus. „Was ist denn ein Gefühl?“, will Lerntherapeutin Andrea Mierig von ihren drei Schützlingen wissen. Joel muss nicht lange grübeln, der Finger des Achtjährigen schnellt hoch. „Wut ist ein Gefühl“, sagt der Drittklässler. „Trauer und Freude auch.“ Alles Wörter, die großgeschrieben werden und deshalb mit Fug und Recht einen Platz im Nomenhaus beanspruchen können, wie das große vorgedruckte Haus auf dem Arbeitsblatt heißt. Natürlich dürfen sich auch Menschen im Nomenhaus zu Hause fühlen. Cathy fällt dazu ein weiteres Namenswort ein, ein Körperteil. „Finger“, sagt die Neunjährige und schreibt das Wort auf ihr Arbeitsblatt – allerdings mit einem kleinen Rechtschreibfehler. „Wenn man ein a am Ende hört, ist es meistens ein e-r“, sagt Mierig.

Wie immer ist die Lerngruppe in der Grundschule Auf den Heuen in Oslebshausen überschaubar. Auf der einen Seite des Tisches sitzt Mierig, Leiterin des Duden Instituts für Lerntherapie in Bremen. Ihr gegenüber haben drei Kinder Platz genommen: außer Joel und Cathy auch noch Annabell, eine Zehnjährige aus der vierten Klasse. Seit den Herbstferien kommen sie zweimal wöchentlich für anderthalb Stunden in den lichtdurchfluteten Raum, der eigentlich mal als kleiner Essensraum gedacht war, nun aber den Schülerinnen und Schülern vorbehalten ist, die am Startchancen-Programm teilnehmen. Neben dem regulären Unterricht geht es jetzt montags und mittwochs zu Frau Mierig – drei M’s, das kann man sich gut merken. An diesem Montag gibt es noch einen Ehrengast: Bildungssenatorin Sascha Aulepp (SPD) will sich zum Auftakt ihrer „Startchancen-Tour“ ein Bild davon machen, wie das Programm vor Ort aus den Startlöchern gekommen ist.

Lesen Sie auch

Im Spätsommer ist das Startchancen-Programm bundesweit angelaufen. Bund und Länder haben insgesamt 20 Milliarden Euro in die Hand genommen, um Kindern und Jugendlichen bessere Zukunftsperspektiven zu bieten. „Jedes Kind, unabhängig von seiner Herkunft, soll die bestmöglichen Chancen auf eine erfolgreiche Zukunft haben“, sagt Aulepp. Im Fokus steht vor allem die Stärkung der Grundkompetenzen in Deutsch und Mathematik. Auf Bremen entfallen 100 Millionen Euro, über einen Zeitraum von zehn Jahren stehen jährlich knapp zehn Millionen Euro zur Verfügung. In den Genuss dieser Fördergelder kommen im Land Bremen 43 Schulen, davon 33 in der Stadt Bremen. Zum Vergleich: Nach Zahlen des Bundesbildungsministeriums gibt es in Hamburg 90 und in Berlin 59 Startchancen-Schulen. Bundesweit nehmen 2125 Schulen teil, bis zum Schuljahr 2026/27 sollen es rund 4000 sein.

Zwölf der stadtbremischen Startchancen-Schulen liegen im Bremer Westen, darunter die Grundschule Auf den Heuen. Zu den Gründen für den erhöhten Förderbedarf zählt Schulleiterin Annika Dittmer unter anderem schwierige Einkommens- und Familienverhältnisse. Die Wahl des Duden Instituts fiel nicht schwer. Mit den Bremer-Lese-Intensiv-Kursen (BLIK) von Andrea Mierig habe man gute Erfahrungen gemacht, sagt Dittmer. „Das führen wir jetzt weiter, bloß viel optimierter.“ Besonders für die Mini-Lerngruppen kann sie sich begeistern. „Die Lerntherapie kommt jetzt ganz wenigen Kindern im ganz kleinen Setting zugute.“ Ihre Hoffnung: dass am Ende auch diese Kinder fit in die fünfte Klasse gehen können.

Um festzustellen, welche Kinder überhaupt Förderbedarf haben, hat das Duden Institut zunächst ein Auge auf deren Lernvoraussetzungen geworfen. Im zweiten Teil ging es dann um den aktuellen Lernstand. Das Ergebnis: 20 der 88 Dritt- und Viertklässler haben Nachholbedarf, weil sie nicht auf dem Stand ihrer Mitschüler sind. „Es gibt immer gute Gründe, dass bestimmte Kinder nicht so gut sind wie andere Kinder“, sagt Mierig. Cathy, Annabell und Joel gehören zu den ersten sechs Kindern, die elf Wochen lang immer montags und mittwochs zu Frau Mierig pilgern dürfen. Haben sie ihre Lernziele erreicht, kommen die nächsten Kinder an die Reihe.

Lesen Sie auch

Doch in der Lerntherapie des Duden Instituts erschöpft sich das Startchancen-Programm an der Grundschule Auf den Heuen nicht. Auch die Finanzierung des Instrumentalunterrichts für Geige, Cello und Gitarre speist sich aus dem Förderprogramm. „Wir sind schließlich eine Schule mit Musikprofil“, sagt Dittmer. Hinzu kommt als dritter Bestandteil das Storytelling – eine professionelle Erzählerin stattet der Schule regelmäßig einen Besuch ab. „Dafür hätten wir sonst kein Geld“, betont die Schulleiterin. Damit sind aber noch nicht einmal sämtliche verfügbaren Mittel verausgabt. „Es gibt noch ein bisschen Luft nach oben“, freut sich Dittmer.

Für Annabel hat die Lerntherapie schon einen ersten zählbaren Erfolg gebracht. Die Zehnjährige hat sich unlängst den ersten Harry-Potter-Band vorgenommen – den „Stein der Weisen“, ein Wälzer von mehreren Hundert Seiten. „Bis jetzt habe ich immer nur so Kinderbücher gelesen“, sagt sie.

Zur Startseite
Mehr zum Thema

Das könnte Sie auch interessieren

Rätsel

Jetzt kostenlos spielen!
Lesermeinungen (bitte beachten Sie unsere Community-Regeln)