Wäre der Zweite Weltkrieg nicht gewesen, hätte Bremen heute weitaus mehr umstrittene Denkmäler. Gar nicht einmal wegen der zahlreichen Luftangriffe, die weite Teile der Stadt in Schutt und Asche legten. Sondern weil etliche Denkmäler ab 1940 im Zuge der "Metallspende" eingeschmolzen wurden. In Bremen kostete das dem Kaiser-Wilhelm-Reiterstandbild auf dem heutigen Liebfrauenkirchhof mehr als nur den Kopf. Auch das Kriegerdenkmal in den Wallanlagen zur Erinnerung an die Bremer Gefallenen des Deutsch-Französischen Krieges von 1870/71 wanderte kurzerhand in den Schmelzofen. Verschont blieben dagegen das Bismarck-Denkmal am Dom, das Körner-Denkmal im Viertel und das Kaiser-Friedrich-Denkmal in Schwachhausen.
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Warum Kaiser Wilhelm I. im Sommer 1942 dran glauben musste, sein Sohn und kurzzeitiger Nachfolger aber nicht, lässt sich nicht mit letzter Sicherheit beantworten. Eine Rolle spielte sicherlich, dass das neo-barocke Denkmal längst nicht mehr dem Zeitgeschmack entsprach. Als im April 1940 schon mal die Sockelfiguren entfernt wurden, zitierte die "Bremer Zeitung" die NS-Größe Hermann Göring. Man könne glücklich sein, wenn "Kitsch und Schund" einer nützlichen Verwendung zugeführt würden, ließ er wissen. Und fügte drohend hinzu: "Das gleiche gilt für Denkmäler, die keinen Anspruch auf Kunstwert erheben können oder Persönlichkeiten darstellen, die nichts für das deutsche Volk getan haben." Da klingen die Vorbehalte der NS-Bewegung gegen das untergegangene Kaiserreich an, die oftmals anti-aristokratisch gefärbte Kritik an "der Reaktion".
Leiter des Focke-Museums setzte sich ein
Bei Bismarck war die Ehrfurcht wegen seiner Verdienste um die Reichsgründung offenkundig zu groß, das Reiterstandbild wurde zu seinem Schutz sogar eingemauert. Mitunter blieben Denkmäler auch verschont, weil sich ein prominenter Fürsprecher für sie einsetzte. So im Falle der Jünglingsstatue, die als Denkmal zu Ehren der im Februar 1919 gefallenen Freikorpskämpfer ab 1936 an der Südseite der Liebfrauenkirche stand und heute Teil des Lidice-Mahnmals in den Wallanlagen ist. Hätte sich der damalige Leiter des Focke-Museums, Ernst Grohne, nicht so vehement für den Erhalt der Skulptur stark gemacht, wäre sie dem Schicksal des Kaiser-Wilhelm-Denkmals kaum entronnen. Der NS-Senat rührte für den Erhalt des Freikorps-Denkmals jedenfalls keinen Finger. Das mutet nur merkwürdig an, wenn man die keineswegs durchweg euphorische Einstellung führender Nazis gegenüber den Freikorps-Verbänden außer Acht lässt. In "Mein Kampf" monierte Hitler, die freiwilligen Soldaten hätten mit ihrem Kampf gegen die Kommunisten die November-Revolution – also die Weimarer Republik – beschützt und dadurch praktisch gefestigt.
Mit unbequemen Denkmälern befasst sich das neue Heft der Schriftenreihe der Landesdenkmalpflege – wie gesagt: einer reduzierten Anzahl, da man sich zumindest über das Existenzrecht des Kaiser-Wilhelm-Denkmals und des Kriegerdenkmals keine Gedanken mehr machen muss. Dabei geht es natürlich nicht nur um Skulpturen, sondern auch um Baudenkmäler. Das prominenteste Beispiel in Bremen: der U-Boot-Bunker Valentin in Farge. Bis heute auch immer wieder im Fokus der Öffentlichkeit: das Gefallenendenkmal auf der Altmannshöhe und der "Lichtbringer" am Eingang der Böttcherstraße. Zumal bei dem 1936 angebrachten „Lichtbringer“-Relief kein Zweifel besteht, dass es als Huldigung Hitlers gedacht war.

Das 1942 eingeschmolzene Kriegerdenkmal in den Wallanlagen.
Bei diesen wie auch anderen Hinterlassenschaften aus der Vergangenheit stellt sich die Frage nach einem zeitgerechten Umgang. Für den scheidenden Landeskonservator Georg Skalecki ist klar: Auch unbequeme Denkmäler haben eine Daseinsberechtigung, die Denkmalpflege müsse deren Erhalt mit fachlicher Expertise begründen. Gerade in Zeiten eines neuen "Bildersturms" gegen Denkmäler mit rassistischem oder kolonialistischem Hintergrund. Aufklärung könne es nur durch eine differenzierte Auseinandersetzung mit authentischen Objekten geben. "Wir brauchen also die unbequemen Denkmäler als 'Stolpersteine'." Ähnlich äußert sich Uwe Bölts in seinem Aufsatz über den "Lichtbringer". Kritisch sieht der Archivar der Böttcherstraße, was die Schriftstellerin Katharina Mevissen in ihrem Lauschorte-Beitrag über den "Lichtbringer" kundtut – sie regt an, ihn gegen ein Werk von Paula Modersohn-Becker auszutauschen. Für Bölts dagegen ist das Bronzerelief "ein spannendes Zeugnis der NS-Kulturpolitik". Sein Credo: "Denkmäler sind Lernorte. An beseitigten Denkmälern kann man nichts mehr lernen."

Vom Bremer NS-Senat nicht sonderlich geschätzt: das Kaiser-Wilhelm-Denkmal auf dem heutigen Liebfrauenkirchhof, damals Kaiser-Wilhelm-Platz.
Immer wieder sehnlich erwartet wird auch das vom Staatsarchiv herausgegebene Bremische Jahrbuch. Anders als die Hefte der Denkmalpflege hat das Jahrbuch keinen Themenschwerpunkt, seine Beiträge sind chronologisch geordnet. Dabei ist es wohl eher ein Zufall, dass das Mittelalter diesmal leer ausgeht. Am weitesten zurück in die Vergangenheit greift der Aufsatz von Bettina Schleier über die Geschichte des Bremer Hebammenwesens. Mit Neugeborenen befasst sich auch Anna Leinen. In ihrem Beitrag zu den in Bremen geborenen Kindern von NS-Zwangsarbeiterinnen stellt sie die zentralen Ergebnisse ihrer unlängst abgeschlossenen Masterarbeit vor.
Damit rührt die Historikerin an ein Thema, das bisher keinerlei Forschungsinteresse hervorgerufen hat. Zu den Todesopfern gehörte laut Sterberegister das "Ostarbeiterkind Anatoli Fomin". Keine neun Monate alt, starb der Säugling am 4. September 1944 im Ostarbeiterlager Baarenplate. Als Todesursache ist ein Magendarmkatarrh vermerkt, mithin eine Infektion des Verdauungstrakts. Genannt wurden auch Lungenentzündungen oder "Lebensschwäche". Fast zynisch klingt eine "schwere Ernährungsstörung" als Grund für den Tod im Säuglingsalter – ein Hinweis auf akute Mangelernährung der "unnützen Esser", wie es NS-Jargon hieß. Dass osteuropäische Kinder besonders gefährdet waren, versteht sich fast von selbst. "Artverwandter" Nachwuchs kam weitaus besser weg. Insgesamt kommt Leinen auf 126 in Bremen geborene und gestorbene Zwangsarbeiterkinder. Das erschütternde Fazit: "Durchschnittlich wurden die hier geborenen Kinder nicht älter als 149 Tage."
Mit der Diskussion um die Schließung der Helenenstraße in den 1920er-Jahren befasst sich Yeliz Elze. Der Anlass ihrer Nachforschungen: eine ähnliche Debatte im Spätherbst 2023, deren historische Hintergründe der WESER-KURIER damals beleuchtet hat. Nach dem Ersten Weltkrieg forderten Frauenvereine wie auch liberale und sozialdemokratische Politikerinnen, die staatlich kontrollierte Bordellstraße zu schließen. Im März 1926 stellte die Bürgerschaftsabgeordnete Minna Bahnson den Antrag, die Prostitution in der Helenenstraße zu verbieten. Kurz darauf gehörte die Bordellstraße nach fast 50 Jahren der Vergangenheit an – gegen den Protest von 57 Prostituierten, ihre Eingabe an den Senat verhallte ungehört. Akribisch analysiert Yeliz Elze den Petitionstext. "Was Bremen von anderen Städten und deren Bordellstraßen unterschied, war die Selbstständigkeit, die die Bremer Prostituierten in der Helenenstraße hatten", lautet ihr Fazit. Im republikweiten Vergleich sei die Helenenstraße "eine Zuhälter-arme Bordellstraße" mit freiwillig arbeitenden Prostituierten gewesen. Freilich war die Schließung nur von kurzer Dauer, bereits im Januar 1934 eröffneten die NS-Behörden die sündige Meile wieder.
Zu den weiteren Beiträgen zählt der von Harald Wixforth über die Gründung und Anfangsjahre der Sparkasse in Bremen vor 200 Jahren sowie die Untersuchung von Christian Ostersehlte zu den beiden Bremer Fährdampfern, die von 1871 bis 1875 zwischen der Alt- und Neustadt pendelten und damit die bisherigen Ruderboote ersetzten. Allerdings bereitete der lange geplante Bau der Kaiserbrücke dem dampfgetriebenen Pendelverkehr schon bald wieder ein Ende. Hinzu kommen zwei biografische Studien. Mit dem weithin unbekannten Baumeister des Überseemuseums, Ludwig Beermann, beschäftigt sich Wolfgang Brozio. Zu dessen Direktor wurde kurz nach dem Zweiten Weltkrieg der im "Dritten Reich" als Gymnasiallehrer entlassene Alfred Nawrath ernannt, vormals Präsident der kurzlebigen "Kampfgemeinschaft gegen den Faschismus". Sein wechselhaftes Leben als Forschungsreisender, Reiseschriftsteller und Fotograf stellt Kevin Kyburz-Fischer dar.
Wer sich für Bremer Geschichte interessiert, wird in beiden Neuerscheinungen reichlich Lesestoff finden. Beide Periodika liefern alljährlich sorgsam recherchierte Einblicke in die Lokal- und Regionalgeschichte – und treten damit den eindrucksvollen Beweis an, dass historischer Forschung niemals der Stoff ausgeht. Immer wieder finden sich neue Blickwinkel, womit sich das schöne Historikerwort bewahrheitet, dass Vergangenheit mitunter schwer vorherzusagen ist. Schon jetzt darf man sich auf die nächsten beiden Bände freuen. Die Schriftenreihe der Denkmalpflege wird dann allerdings nicht mehr von Georg Skalecki betreut werden, der das Periodikum vor 21 Jahren begründete. Der Landeskonservator geht in Kürze in den Ruhestand. Gleichsam zum Abschied steuert Skalecki aus Sicht der Denkmalpflege einen Beitrag im Jahrbuch über die Rolle Bürgermeister Wilhelm Kaisens beim Wiederaufbau Bremens nach 1945 bei.