Vom Halbgruppen-Unterricht hat das Gymnasium an der Hamburger Straße wieder Abstand genommen. Bei einer Elternbefragung hatten sich zwar zwei Drittel für eine Teilung der Schulklassen ausgesprochen. „Das wäre eine Grundlage gewesen, einen Antrag auf Halbgruppen-Unterricht zu stellen“, sagt Schulleiterin Claudia Dreyer. Doch dann verschwand die Idee ganz schnell wieder in der Schublade, weil die Bildungsbehörde mitteilte, Maßnahmen seien nur zu ergreifen, wenn 25 Prozent der Schülerschaft in Quarantäne sind oder die Personaldecke der Lehrkräfte so ausgedünnt ist, dass ein regulärer Unterricht nicht mehr gewährleistet werden kann. „Bei uns war dieser Fall aber nicht gegeben“, so Dreyer.
Doch sind damit Halbgruppen in Bremen wirklich ein für allemal vom Tisch? Nicht unbedingt, wenn es nach den Verlautbarungen der Bildungsbehörde geht. „Problematisch ist die Forderung nach kleineren Gruppen an sich nicht“, betont Ressortsprecherin Annette Kemp. Zumal die 25-Prozent-Regel auch nur als Orientierung zu verstehen sei, nicht als strikte Vorgabe. Danach wehrt sich die Behörde vor allem gegen eine generelle Einführung halber Gruppen an sämtlichen Schulen. Denn: „Die pauschale Forderung nach Halbgruppen ist eine undifferenzierte Antwort auf ein sehr differenziertes Pandemiegeschehen an unseren Schulen.“ Laut Bildungsbehörde hängt es vielmehr von den Verhältnissen an den einzelnen Einrichtungen ab, welche Schritte sich im Einzelnen empfehlen.
Zu den maßgeblichen Faktoren gehörten die Infektionslage, die Quarantänezahlen, die fachliche und räumliche Situation sowie die technische Ausstattung. Deshalb gebe es unterschiedliche Maßnahmen an unterschiedlichen Schulstandorten. „Es werden Gruppen reduziert, manchmal auch der Ganztag, es werden Schwerpunkte gesetzt“, so Kemp. „Wir haben tolle Schulen, die Hybrid- und Distanzunterricht anbieten.“
Dass der Halbgruppen-Unterricht im Reaktionsstufenplan erst als Stufe 2 und damit als vorletzte Eskalationsstufe vorgesehen ist, darf man offenbar nicht zu eng sehen. Der Stufenplan ist Kemp zufolge nicht an die Inzidenz geknüpft und kann deshalb über die „ganze Breite“ genutzt werden. Soll heißen: Jeder Schule ist es gestattet, wie aus einem Baukasten einzelne Elemente aus dem Stufenplan zu verwenden. Eben auch den Halbgruppen-Unterricht, wenn es die Gegebenheiten vor Ort erfordern.
25-Prozent-Regel setzt hohe Messlatte für Gegenmaßnahmen
Unterdessen plädiert Uni-Professor Hajo Zeeb für unmissverständliche Vorgaben. „Klarheit und Verlässlichkeit zumindest über einige Wochen wären schon gut“, sagt der Abteilungsleiter am Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie – BIPS. Dass sich nach den neuesten Quarantäne-Regeln (wir berichteten) nur noch ein Bruchteil der Schüler und Lehrer isolieren muss, zugleich aber die 25-Prozent-Regel eine hohe Messlatte für Gegenmaßnahmen setzt, hält Zeeb für einigermaßen schwierig. „Das beißt sich ein bisschen“, lautet seine Diagnose.
Der Grund ist einfach. „Eine so hohe Quarantäne-Zahl wird man vermutlich so schnell nicht erreichen“, sagt Zeeb. „Die 25-Prozent-Regel würde nur bei großen Ausbruchsfällen zur Anwendung kommen, das muss man klar sagen.“ Von Ausbrüchen spricht man, wenn sich mehr als zwei Schüler infizieren. Doch bei den bisherigen zehn Ausbrüchen an Bremer Schulen sei die 25- Prozent-Grenze noch nicht einmal annähernd erreicht worden. Einmal ganz abgesehen davon, dass es für eine solche Festlegung keine wissenschaftlich stichhaltige Begründung gebe. „Die 25 Prozent sind eine politisch gesetzte Zahl.“
Derweil schwelt der Streit weiter, ob Halbgruppen nun besser oder schlechter für die Schülerinnen und Schüler sind. Halbgruppen-Unterricht bedeute immer einen Verlust von Bildungszeit, selbst bei der besten technischen Ausstattung, befindet Ressortsprecherin Kemp. „Gerade diejenigen Schülerinnen und Schüler, die im häuslichen Umfeld keine guten Arbeitsbedingungen haben, bleiben zurück. Dadurch vertiefen sich Chancenungleichheit und soziale Spaltung.“
Eine andere Auffassung vertritt Ingrid Brücker-Götz, Leiterin der Oberschule an der Helgolander Straße. „Halbgruppen werden sogar intensiver betreut“, sagt sie. Die Schüler könnten mehr Fragen stellen und bearbeiteten zuhause über die Lernplattform „itslearning“ ihre Aufgaben. „Halbgruppen-Unterricht stellt deshalb in dieser Zeit die richtige Lösung für unsere Schülerinnen und Schüler dar.“
Ob sich an diesen Vorgaben nach der Videokonferenz zwischen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und den Regierungschefs der Länder an diesem Mittwoch etwas ändert, erscheint fraglich. Das regionale Prinzip wird im gemeinsamen Papier der Bundesländer noch einmal bekräftigt. Weitergehende Maßnahmen, wie sogenannter Hybridunterricht, soll nur in „besonderen Infektionshotspots“ schulspezifisch umgesetzt werden. Explizit genannt werden dabei die „älteren Jahrgänge“. Ein einheitliches Vorgehen schlagen die Länder dagegen bei den Quarantäne-Regeln vor. Wird ein Schüler positiv getestet, soll eine festgelegte Gruppe von Mitschülern sofort in eine fünftägige Quarantäne geschickt werden.