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Rechtsstreit mit Signalwirkung Bremer Verwaltungsgericht entscheidet über aufgesetztes Parken

Das Verwaltungsgericht Bremen verhandelt über eine Klage gegen die Praxis des aufgesetzten Parkens, die in städtischen Wohngebieten verbreitet ist. Von dem Rechtsstreit dürfte eine Signalwirkung ausgehen.
11.11.2021, 16:51 Uhr
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Bremer Verwaltungsgericht entscheidet über aufgesetztes Parken
Von Jürgen Theiner

Es geht um Grundsätzliches in einem Prozess, der am Donnerstag vor dem Verwaltungsgericht begonnen hat. Um die Balance zwischen den Rechten von Autofahrern und Fußgängern. Und letztlich um die Frage, wo eigentlich viele tausend Autos bleiben sollen, wenn es mal vorbei sein sollte mit der Duldung des aufgesetzten Parkens in vielen Bremer Wohnstraßen.

Prozessgegner sind die Stadtgemeinde Bremen und eine Gruppe von Anwohnern dreier Wohnstraßen in Findorff (Timmersloher Straße), der Neustadt (Biebricher Straße) und dem Viertel (Mathildenstraße). Die Kläger verlangen, dass die Verkehrsbehörde gegen Autofahrer einschreitet, die ihre Fahrzeuge zum Teil auf der Straße, mit der Beifahrerseite aber auf dem Fußweg – also aufgesetzt – parken. Auf dem Gehweg bleibe zu wenig Raum für Fußgänger und spielende Kinder übrig, argumentieren die betroffenen Hauseigentümer, die sich für das Gerichtsverfahren zusammengefunden haben.

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Amt für Straßenbau und Verkehr argumentiert mit Ermessensspielraum

Einer von ihnen ist Hubertus Baumeister. Der Rechtsanwalt aus der Mathildenstraße ärgert sich schon seit vielen Jahren über die Zustände vor seiner Haustür. 2016 trat er an das Amt für Straße und Verkehr (ASV) heran, eine Behörde, die zum Ressort von Verkehrssenatorin Maike Schaefer (Grüne) gehört. Doch dort machte man ihm keine Hoffnung auf Besserung. Das aufgesetzte Parken sei zwar anerkanntermaßen unzulässig und eine Ordnungswidrigkeit. Dieser Umstand allein erzwinge jedoch noch kein Einschreiten der Behörde, es gebe Ermessensspielräume. In einem letzten Bescheid vom Mai 2019 lehnte es das ASV ab, beispielsweise Halteverbotsschilder in der Mathildenstraße aufzustellen und so der Straßenverkehrsordnung Nachdruck zu verleihen.

Nun reichte es Baumeister, er und seine Mitstreiter beschritten den Rechtsweg. Vor der 5. Kammer des Verwaltungsgerichts wurde der Sachverhalt am Donnerstag ausgiebig erörtert. Die Kläger argumentierten dabei nicht nur juristisch, sondern auch politisch. Ihr Anwalt Andreas Reich ging die Sache grundsätzlich an. Autofahrer und Fußgänger müssten sich den Straßenraum teilen. Der Gesetzgeber bestimme die notwendigen Spielregeln in der Straßenverkehrsordnung und lege fest, wo die jeweiligen Freiheiten der Verkehrsteilnehmer enden. "Wenn Autofahrer übergriffig werden, schränkt das die Rechte der Fußgänger ein", sagte Reich. Es könne nicht länger angehen, dass das ordnungswidrige aufgesetzte Parken geduldet werde und Autofahrer meinten, sie hätten darauf eine Art Gewohnheitsrecht. Kläger Baumeister legte nach: Indem Polizei und Ordnungsamt seit vielen Jahren das aufgesetzte Parken ignorierten, habe "der Innensenator durch seine flächendeckende Untätigkeit eine neue Bremische Straßenverkehrsordnung geschaffen".

Das Gericht bemühte sich um eine differenzierte Betrachtung des Sachverhalts. Zentral sei die Frage, ob die städtischen Behörden einen gewissen Ermessensspielraum beim Umgang mit dem aufgesetzten Parken haben, unterstrich Richter Jasper Lange. Ob die Verkehrsüberwacher also, salopp ausgedrückt, ein Auge zudrücken dürfen. Diesen Spielraum auf Null zu reduzieren, wie es die Kläger für richtig halten, sei nur schwer vorstellbar. Schließlich seien die Gehwege trotz aufgesetzten Parkens noch benutzbar, wenn auch eingeschränkt.

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Gut zwei Stunden lang wurden die Standpunkte zwischen den Prozessparteien ausgetauscht, dann machte die Vorsitzende der Kammer, Meike Jörgensen, diesen Vergleichsvorschlag: Die Straßenverkehrsbehörde stellt in den drei betroffenen Straßen für ein halbes Jahr Halteverbotsschilder auf. Anschließend wird ausgewertet, was diese Maßnahme gebracht hat. Die Kläger berieten sich kurz, lehnten diesen Vorschlag zur Beilegung des Konflikts dann aber ab. Aus ihrer Sicht bliebe damit weiter unklar, ob die Verkehrsbehörde zum Einschreiten gegen das aufgesetzte Parken gezwungen ist. Ebenso, wer die Einhaltung eines möglichen Halteverbots überwacht und bei Verstößen Sanktionen verhängt. Eine gütliche Einigung ist somit ausgeschlossen. Die Vorsitzende kündigte ein Urteil innerhalb der nächsten zwei Wochen an.

Sollte die Kammer zugunsten der Kläger entscheiden, hätte dies Signalwirkung weit über die drei Straßen hinaus, in denen die Kläger leben. Denn in vielen Wohnstraßen der innenstadtnahen Stadtteile ist das aufgesetzte Parken ein Thema. Manche Anwohner nervt es, andere sind froh darüber. Würde die Straßenverkehrsbehörde vom Gericht zum Einschreiten verpflichtet, fielen zahlreiche Parkgelegenheiten weg, die zwar illegal, aber bisher faktisch vorhanden sind. Hubertus Baumeister ist sich der grundsätzlichen Bedeutung des von ihm geführten Rechtsstreits gegen die Stadtgemeinde bewusst. "Es geht um einen Kulturkampf", spitzt er den Sachverhalt zu. Manche Autofahrer seien der Meinung, ihnen werde ein Menschenrecht genommen, wenn sie zur Einhaltung der Straßenverkehrsordnung angehalten werden. Solches Denken müsse überwunden werden. Er und seine Mitstreiter seien gewillt, den Konflikt durch die Instanzen zu tragen. Wenn nötig bis zum Bundesverwaltungsgericht.

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