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Früherer Friedhof in Oslebshausen Das sagt eine Volksbund-Expertin zum Streit über die Reitbrake

Mehr oder weniger unversöhnlich stehen sich die Kontrahenten im Streit um den früheren Friedhof an der Reitbrake gegenüber. Nun ordnet eine Expertin vom Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge den Fall ein.
06.02.2022, 15:00 Uhr
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Das sagt eine Volksbund-Expertin zum Streit über die Reitbrake
Von Frank Hethey

Frau Winkel, in Bremen tobt ein Streit um den Umgang mit dem früheren Friedhof für sowjetische Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter an der Reitbrake...

Heike Winkel: ... das ist uns nicht entgangen. Wir verfolgen die Auseinandersetzung sehr aufmerksam.

Die Bürgerinitiative Oslebshausen und das Bremer Friedensforum haben zwei Rechtsgutachten erstellen lassen. Danach würde bei einer Bebauung des Areals das dauernde Ruherecht der Toten gestört. Auch dann, wenn sie schon vollständig verwest sind.

Gebeine unter allen Umständen dort zu belassen, wo sie sind – diese absolut maximalistische Auslegung des Völkerrechts in Bezug auf Kriegsgräber ist mir unbekannt und erscheint mir unüblich. Im Völkerrecht und den daraus abgeleiteten Gesetzen geht es doch im Kern um das Eine: Die Menschenwürde bleibt auch nach dem Tod bestehen. Dies gilt auch in der Arbeit des Volksbundes, der Kriegstote sucht, birgt und umbettet.

Aber an der Reitbrake hat ja mehr als nur ein Toter gelegen. Es handelt sich nicht um eilig verscharrte Kriegstote, sondern um einen regulären Friedhof. Muss da nicht ein anderer Maßstab gelten?

Solche Friedhöfe waren in der Nachkriegszeit sehr häufig anzutreffen. Gerade deswegen ist die Umbettung gängige Praxis. Viele kleine Friedhöfe wurden zusammengelegt, auch um Gedenkorte für Menschen zu schaffen, die dort gemeinsam trauern und an die Toten denken wollten. Es gibt überall in Deutschland eine Unmenge an Friedhöfen und Grablagen, viele sind bekannt, andere noch nicht. Es ist wichtig, sie zu ermitteln und aufzubereiten. Aber man kann nicht an jedem Fundort einer Grablage eine Kriegsgräberstätte einrichten. Das konkrete Vorgehen ist in jedem Einzelfall sorgfältig abzuwägen.

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Nun sind aber immerhin neun vollständige Skelette aufgetaucht. Damit hatte man nicht gerechnet – das ändert nichts? Exhumierung und Umbettung bleiben das übliche, auch unanfechtbare Verfahren?

Ich würde nicht von einem „unanfechtbaren Verfahren“ sprechen. Wie gesagt, jeder Einzelfall ist abzuwägen. Aber Exhumierung und Umbettung sind gängige Praxis, auch in der Arbeit des Volksbundes, der gerade in Osteuropa immer noch große Grablagen findet. Mit unserer Arbeit erfüllen wir das deutsch-russische Kriegsgräberabkommen. Und auch in Deutschland wird dies durch eine Umbettung definitiv nicht verletzt. Zur Definition: Wo ein Kriegstoter liegt, spricht man von einem Kriegsgrab.

Nicht von einer Kriegsgräberstätte? So formulieren es Bürgerinitiative und Friedensforum.

Nein, eine Kriegsgräberstätte baut man oder man richtet sie wieder her, um dort einen Ort für die Kriegstoten zu schaffen. Häufig können Kriegsgräber nicht dort bleiben, wo sie gefunden werden. Manchmal widerspräche das regelrecht der Maxime einer würdigen Behandlung der Toten.

Und das sieht man in Russland auch so?

Davon gehe ich aus. Andernfalls hätte man ja bereits Einspruch erhoben. Russland, die Ukraine und andere Nachfolgestaaten der UdSSR erwarten eine würdige Behandlung der sowjetischen Opfer des NS-Regimes. Ihre Stimmen sollten deshalb großes Gewicht haben. Dies gebietet der Geist des Kriegsgräberabkommens.  

Bürgerinitiative und Friedensforum sehen sich als Anwalt der Opfernationen, wegen der Reitbrake wurde sogar schon vor einer bilateralen Verstimmung gewarnt. Der Senat verweist dagegen auf die enge Kooperation mit Russland und der Ukraine. Wie beurteilen Sie das bisherige Prozedere? 

Nach meiner Kenntnis sind die Grabungen bislang idealtypisch verlaufen. Die Landesarchäologie hat beste Arbeitsbedingungen, seitens des Senats gibt es uneingeschränkte Unterstützung, die diplomatischen Vertretungen Russlands und der Ukraine sind einbezogen. Der Volksbund wurde zur Beratung hinzugezogen. Die Grabungen verlaufen maximal transparent, niemand beeinflusst die Arbeit. Zwischenzeitlich wurde offensichtlich die Unabhängigkeit der Landesarchäologie angezweifelt, dafür gibt es meines Erachtens keinen Anlass.

 

Auf dem früheren Friedhofsareal ist eine Bahnwerkstatt geplant. Bürgermeister Bovenschulte betont, es gebe keinen Zusammenhang mit seiner Ankündigung, sterbliche Überreste auf die zentrale Gedenkstätte in Osterholz umzubetten. Trotzdem ist der Nebeneffekt kaum zu leugnen – er macht damit den Weg frei für die Bahnwerkstatt.

Ich empfehle, das Ende der Grabungsarbeiten abzuwarten. Außerdem sollte man in der aktuellen konfrontativen Situation alles tun, um zu einer Deeskalation zu kommen und die beteiligten Akteurinnen und Akteure einzubeziehen. Es konnten nun bereits die Identitäten von zahlreichen bisher unbekannten Toten festgestellt werden. Das ist ein großer Erfolg. Wenn die Landesarchäologie die Arbeiten abgeschlossen hat, kann man auf der Grundlage der Ergebnisse überlegen, was weiter zu tun ist.

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Bovenschulte favorisiert einen Gedenkort an den Vernichtungskrieg auf dem Osterholzer Friedhof. Bürgerinitiative und Friedensforum fordern die Schaffung einer Gedenkstätte für die Kriegsgefangenen und Zwangsarbeiter direkt vor Ort, auch mit Hinweis auf die früher in der Nähe befindlichen Lager.  

Auf dem Osterholzer Friedhof haben ja bereits viele Tote ihre letzte Ruhestätte, die nach dem Krieg vom Lagerfriedhof umgebettet wurden. Dieser Ort wird sicher zentral bleiben. Gleichzeitig halte ich es für wichtig, auch am Ort der Vernichtung selbst Zeichen der Erinnerung zu setzen oder sie zu erneuern. Zwei Dinge sind bei Gedenklösungen aus meiner Sicht wichtig: Sie sollen die Topografie der Vernichtung sichtbar machen. Und sie sollen uns als Gesellschaft damit herausfordern. Deswegen spielt die Frage, wen man an einem abgelegenen Ort erreicht und wie, eine wichtige Rolle. Fachleute hätten sicher viele interessante Ideen dazu, wie man den historischen Ort mit der Gegenwart zusammenbringen und seine Geschichte erfahrbar machen kann. Vielleicht ja auch unter Einbeziehung digitaler und hybrider Formate.  

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Was raten Sie den Beteiligten?

Die Gestaltung eines würdigen Andenkens an die sowjetischen Toten muss oberste Priorität haben. Eine Politisierung dieser Angelegenheit sollte so weit wie möglich vermieden werden. Die Bürgerinitiative und das Friedensforum haben dem Thema öffentliche Aufmerksamkeit verschafft, was sehr verdienstvoll ist, Senat und Bürgermeister erkennen die humanitäre und historische Dimension der Angelegenheit uneingeschränkt an und sind bereit zu handeln. Die Grablage wird aufwändig archäologisch bearbeitet. Das sind doch Erfolge und auch gemeinsame Interessen. Ich hoffe, dass ein Konsens gefunden wird – auch um der Würde der Toten gerecht zu werden.  

Das Gespräch führte Frank Hethey.

Zur Person

Heike Winkel (50) ist seit 2017 Koordinatorin des deutsch-russischen Regierungsprojekts „Sowjetische und deutsche Kriegsgefangene und Internierte“ beim Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge. 

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