Zu den unausgesprochenen Verpflichtungen der männlichen Linie meiner Familie gehört die Pflege und Weitergabe der Überzeugung: Sofaschlaf ist der gesündeste Schlaf. Der wissenschaftliche Nachweis dieser Aussage mag auf tönernen Füßen stehen, doch sie hat sich als argumentative, weil auf die Schnelle kaum zu widerlegende Allzweckwaffe bewährt.
Zum Einsatz kommt sie etwa immer dann, wenn die weibliche Linie der Hausgemeinschaft beklagt, dass der Partner einen eher jämmerlichen Anblick bietet, wenn ihm mal wieder vor dem Fernseher die Augen zugefallen sind. Doch was Wunder! Haben Sie mal gezählt, wie oft Sie an den vergangenen Abenden in den einschlägigen Talkrunden Sigmar Gabriel zu Gesicht bekommen haben? Der Mann ist ja, als wäre er immer noch Außenminister, überall unterwegs. Nur eben nicht mehr in aller Welt, sondern auf allen Sendern.
Aber: Ich habe schon häufig gegen die väterlich-familiäre Sofaschlaf-Weisheit verstoßen. Und was wäre mir alles entgangen, wenn ich abends nicht schlaflos im 0421-Land gewesen wäre! Das begann Ende der 1980er-Jahre, als wir in Bremen schon früher als anderswo Kabelfernsehen bekommen hatten – und ich fortan jeden Montagabend das DDR-Fernsehen einschaltete. Denn dann lief „Der Schwarze Kanal“ und bot schauerliche Propaganda vom Feinsten. Die Mutter aller Fake-News! Und da ließ sich nicht mal ahnen, dass derart skurril verbogene Realitäten einen Menschen später sogar bis ins Weiße Haus bringen würden. Womit dieses Thema abgehakt wäre, weil ich mir vorgenommen habe, den Namen eines ehemaligen und künftigen US-Präsidenten hier und diese Woche nicht zu nennen.
Da erinnere ich mich viel lieber an einen Abend im November 1989, der an diesem Wochenende exakt 35 Jahre her ist. Auch an jenem 9. November hatte ich im Bremer Süden auf den verpflichtenden Sofaschlaf verzichtet und stattdessen vor dem Röhrenfernseher verfolgt, wie sich Günter Schabowski sofort, unverzüglich versprach. Und ich konnte auch viele TV-Stunden später noch nicht fassen, dass die Mauer deshalb tatsächlich fiel. Den finalen Beweis lieferten die beiden Folgewochen, als sich Karawanen von Trabbis aus Rostock auf den Weg in die Partnerstadt Bremen machten und niemand auf die Idee gekommen wäre, sich am Mief der bläulichen Rauchfahnen aus den Auspuffrohren der Zweitakter zu stören.
Tja, und nun im November 2024? Saß ich an einem Mittwoch mitsamt Nachwuchs, der längst ins Bett gehört hätte, vor dem Fernseher und verfolgte gebannt, wie sich eine Bundesregierung selbst zerlegte. „Muss ich echt schon schlafen gehen?“, fragte mein Sohn nach der Eilmeldung über den Lindner-Rauswurf. Nein, musste er ausnahmsweise nicht, sondern durfte auch noch das giftspritzende Scholz-Statement sehen. Denn: Wer will schon Geschichte verschlafen?
Tagebucheintrag: Das bringt mich unweigerlich zum WM-Halbfinale 2014. Das Jahrhundertspiel hatte ich meiner Tochter damals mit Verweis auf den nächsten Kindergartentag blödsinnigerweise verwehrt. Ich wünschte, ich könnte diesen Fehler je wieder gut machen. Kind, nur für Dich: Müller, Klose, Kroos, Kroos, Khedira, Schürrle, Schürrle, Oscar.