Dass er an der Verlegung der Stolpersteine für seine Familienangehörigen nicht teilnehmen konnte, bedauerte Hans Frank sehr. Schwer erkrankt konnte der Holocaust-Überlebende die lange Reise aus Israel nach Bremen nicht mehr antreten. Doch der Anlass wäre es ihm wert gewesen, das Land der Täter, in dem er nicht mehr leben wollte, noch einmal zu besuchen. So schreiben es Wiltrud Ahlers und Barbara Johr im neuen Stolpersteine-Band über Horn-Lehe und Schwachhausen, das an diesem Donnerstag, 21. September, um 19 Uhr in der Zentralbibliothek vorgestellt wird.
Wie Hunderte andere Bremer Juden kämpfte Hans Frank im Getto Minsk ums Überleben. Es war „die Hölle“, berichtete er später. Am 26. Juli 1942 sah der damals 15-Jährige dort seine Mutter Else und seine Brüder Günther und Rolf zum letzten Mal. Vater Richard und der älteste Sohn Günther waren einem Arbeitskommando zugeteilt. Weil aber Günther erkrankte, meldeten die Eltern für diesen Tag Hans zum Arbeitseinsatz. Drei Tage später kehrten Vater und Sohn ins Getto zurück. Ihre schlimmsten Befürchtungen hätten sich bestätigt, schreiben Ahlers und Johr. „Alle Bewohner waren erschossen oder in Gaswagen erstickt worden.“ Heute erinnern Stolpersteine an der Ecke Schwachhauser Heerstraße und Parkstraße, wo die Franks zuletzt wohnten, an die ermordeten drei Familienmitglieder. Insgesamt 125 solcher Pflastersteine mit gravierten Messingplatten sind in den Bürgersteigen Schwachhausens und Horn-Lehes eingelassen, um der Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft zu gedenken.
In Bremen wird das vom Künstler Gunter Demnig initiierte Projekt von der Landeszentrale für politische Bildung und vom Verein Erinnern für die Zukunft verantwortet. Mehr als 660 Erinnerungssteine wurden bis Ende vergangenen Jahres in der Stadt verlegt. Weitere sollen folgen. Rund 1500 Bremerinnen und Bremer sind laut der Stolperstein-Verantwortlichen Opfer des NS-Regimes geworden – hinzu kommen viele weitere Deportierte, Verfolgte oder Inhaftierte.
Biografien von Bamberger und Böse
Barbara Johr, die das Projekt in Bremen zunächst als Mitarbeiterin der Landeszentrale leitete und es noch heute im Ruhestand maßgeblich unterstützt, bringt mit dem Sujet-Verlag und einem ehrenamtlichen Redaktionsteam nun bereits das vierte Buch heraus, das Opfer-Biografien und Aufsätze über Bremer NS-Verbrechen enthält. Die ersten drei Bände beschäftigen sich mit Bremen-Nord, Mitte und Ostertor/Östliche Vorstadt. Drei weitere Bände sollen folgen.
Das Buch über Schwachhausen und Horn-Lehe beinhaltet Biografien von Menschen, zu denen auch Persönlichkeiten wie Hermann Böse, Julius Bamberger oder Johanna Rose Leuwer gehören. Darüber hinaus gibt es Aufsätze über NS-Spuren in den beiden Stadtteilen, über die Nachkriegsgeschichte der Jüdischen Gemeinde Bremen, über den jüdischen Heimatschriftsteller Harry Wolf oder auch über das Haus Reddersen, das als Pflege- und Erziehungsanstalt im Luisental den Tod zahlreicher Schützlinge zu verantworten hat.
Außerdem beschäftigt sich ein Aufsatz von Franz Dwertmann mit den Bremer „Judenhäusern“. Mehr als 40 soll es demnach in der ganzen Stadt gegeben haben. Für die meisten Bewohner waren sie der letzte Aufenthaltsort in Bremen, bevor sie ins Getto Minsk oder Theresienstadt deportiert wurden. Mindestens vier „Judenhäuser“ habe es in Schwachhausen gegeben, schreibt Dwertmann: in der Franz-Liszt-Straße 11a, der Elsasser Straße 114, der Rembrandtstraße 24 und der Parkstraße 1, der späteren Legion-Condor-Straße und heutigen Schwachhauser Heerstraße 18. Hier kamen auch der frühere Viehhändler Richard Frank aus Rahden bei Minden mit seiner Frau Else und den drei Söhnen Günther, Hans und Rolf unter.
Zwar sei der Begriff „Judenhaus“ kein juristischer, aber ein unter Nazis üblicher gewesen, schreibt Dwertmann. Die „Judenhäuser“ entstanden infolge der andauernden systematischen Entrechtung und Demütigung der jüdischen Mitbürger, die woanders verfolgt wurden oder keinen Wohnraum mehr fanden und somit oft zu anderen Juden zogen, obwohl sie dort meist in arg beengten Verhältnissen leben mussten. Das NS-Regime beförderte die Bildung solcher „Judenhäuser“, da sie auf diese Weise die Juden besser von der sonstigen Bevölkerung trennen konnten. Außerdem hatten die Nazis laut Dwertmann mit den „Judenhäusern“ bessere Zugriffs- und Kontrollmöglichkeiten gehabt.
Der Zugriff ereilte die Familie Frank am 18. November 1941. An diesem Tag mussten Else und Richard Frank mit ihren drei Söhnen und mehr als 400 weiteren Bremer Juden vor der Carl-Peters-Schule, der heutigen Oberschule Am Barkhof, antreten, von wo sie ins Getto Minsk deportiert wurden. Zigtausende Juden aus Europa kamen dort und im benachbarten Vernichtungslager Maly Traszjanez ums Leben. Auch hierüber gibt es im neuen Stolpersteine-Band einen Aufsatz, geschrieben von Mitherausgeber Peter Christoffersen. Richard Frank und sein Sohn Hans gehörten zu den wenigen, die Minsk überlebten. Der Vater kehrte als Viehhändler zurück nach Rahden, wo er 1974 starb. Sein Sohn absolvierte in Bremen noch eine Lehre zum Elektriker, bevor er 1949 nach Israel auswanderte.
Über seine Erlebnisse in Minsk zu sprechen, sei Hans Frank nicht leicht gefallen, schreiben Wiltrud Ahlers und Barbara Johr. Bis zu seinem Tod habe ihn der Gedanke gequält, dass er nur deshalb überlebt hatte, weil er anstelle seines Bruders Günther das Ghetto zu einem Arbeitseinsatz verlassen hatte.