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Metallmobilisierung in Bremen "Von Führerbüsten ist Abstand zu nehmen"

Nicht sämtliche Denkmäler haben den Zweiten Weltkrieg überstanden. Das lag aber nicht am Bombenkrieg: Vor 85 Jahren, im Frühling 1940, begann die Metallmobilisierung zu Rüstungszwecken.
08.06.2025, 16:29 Uhr
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Von Frank Hethey

So manch ein Passant dürfte sich die Augen gerieben haben, als es am 20. April 1940 dem Teichmann-Brunnen auf dem Domshof an den Kragen ging. Unter Zuhilfenahme eines Holzgerüsts wurde der bronzene Brunnen Stück für Stück abgetragen. Die Nixe war schon verschwunden, der Handelsgott Merkur aus seiner luftigen Höhe geholt, als ein Fotograf den Vorgang dokumentierte. Das NS-Parteiblatt, die Bremer Zeitung, bemerkte dazu im zeittypischen Pathos, "in diesem Schicksalskampf" des deutschen Volkes müssten "von jedem und damit auch von der Stadt wirkliche Opfer gebracht" werden. "Man muß sich dabei auch von Dingen trennen können, die einem vertraut waren und die man vielleicht einige Zeit vermissen wird." Die Bevölkerung werde den Entschluss des Senats "voll verstehen und billigen".

Was sich vor 85 Jahren ereignete, war eine direkte Folge des Zweiten Weltkriegs. Ein halbes Jahr nach Kriegsbeginn drohten Deutschland die Metallrohstoffe auszugehen. Für die Rüstungsproduktion eine fatale Perspektive. Besonders finster sah es bei Kupfer und Zinn aus, den beiden Hauptbestandteilen von Bronze. Anders als bei Eisen war das "Dritte Reich" bei Kupfer und Zinn weitgehend auf Importe aus Übersee angewiesen. Die versiegten allerdings in Zeiten der britischen Seeblockade, Deutschland musste andere Mittel und Wege finden, um an die begehrten Metalle zu kommen. Was wäre da naheliegender gewesen, als bereits vorhandene Metallreserven abzuschöpfen? Die Zeit drängte, Generalfeldmarschall Hermann Göring rief im März 1940 zu einer "Metallspende des Deutschen Volkes zum Geburtstag des Führers" auf.

Nicht nur Privatleute, auch Betriebe, Vereine, Kirchengemeinden und der öffentliche Sektor sollten freiwillig ihrer "vaterländischen Pflicht" nachkommen. Gespendet werden konnte jegliches Metall, das als entbehrlich galt. Seien es Fahnenspitzen, Klingelschilder, Grabfiguren, Gartenzäune, Trinkbecher oder Kerzenleuchter. Die Resonanz war besser als erwartet. Nach Angabe der Bremer Zeitung steuerten auch bremische Behörden allerlei nicht näher definiertes Sammelgut bei. Kurz vor Ablauf der Abgabefrist am 20. April, dem Geburtstag Hitlers, legte sich die Stadt noch einmal ganz besonders ins Zeug, sogar öffentliche Denkmäler waren plötzlich nicht mehr unantastbar. Am 15. April verschwand zwar nicht das Kaiser-Wilhelm-Denkmal an sich, wohl aber der barocke Figurenkranz zu Füßen des mächtigen Reiterstandbilds auf dem Liebfrauenkirchhof. Weniger Fortune hatte dann ein paar Tage später der Teichmann-Brunnen.

Freilich hat es den Anschein, als sei der Stadt die "Opfergabe für Deutschlands Stärke" (Bremer Zeitung) keineswegs so schwer gefallen wie behauptet. Offenbar nutzte die Stadt die günstige Gelegenheit, um ein ohnedies ungeliebtes Objekt kurzerhand zu entsorgen. Fast von Anfang an war der Standort des Brunnens umstritten gewesen, noch 1936 hatte man eine Verlegung in den Hollersee erwogen. Die Bremer hätten sich scheinbar "ohne großes Bedauern" von dem Brunnen getrennt, konstatiert denn auch Beate Mielsch in ihrem Standardwerk zu den Bremer Denkmälern. Dazu ermuntert wurde der Regierende Bürgermeister Heinrich Böhmcker womöglich durch eine Äußerung von Göring. In seiner Funktion als Rohstoffkommissar hatte er ziemlich unverblümt erklärt, die Metallspende sei ein passender Anlass, Kitsch und Schund loszuwerden. Und drohend hinzugefügt: "Das gleiche gilt für Denkmäler, die keinen Anspruch auf Kunstwert erheben können oder Persönlichkeiten darstellen, die nichts für das deutsche Volk getan haben."

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Die geradezu übereifrige Denkmalsdemontage in Bremen und einigen anderen Kommunen blieb nicht ohne Folgen. Im Mai 1940 verfügte Hitler, sämtliche deutschen Denkmäler für die Metallmobilisierung zu erfassen. Ein Ausschuss sollte schon mal eine Auswahl treffen. Dass die "Denkmalaktion" damals doch nicht durchgeführt wurde, lag nach Angabe des Wirtschaftshistorikers Jonas Scherner an den unerwartet guten Ergebnissen der Metallspende und den militärischen Erfolgen im Westen – statt Denkmäler und Kirchenglocken im eigenen Land einzuschmelzen und dadurch Unmutsbekundungen zu riskieren, besann man sich auf die Ausbeutung der besetzten Gebiete. Erst als im Winter 1941 die bisher so erfolgreiche Blitzkriegsstrategie im Russlandkrieg scheiterte, kam die Metallmobilisierung und damit auch die "Denkmalaktion" wieder auf die Tagesordnung.

Zuerst traf es im Mai 1942 den Wilhadi-Brunnen vor dem Dom. Ein schwarzer Tag für die Bremer Denkmalskultur war dann der 6. Juni 1942, als auf einen Schlag und diesmal ohne ein einziges Wort in der Bremer Presse das Kriegerdenkmal in den Wallanlagen, das schon seiner Figuren beraubte Kaiser-Wilhelm-Denkmal und der Turmbläserbrunnen am Dom entfernt wurden. Am selben Tag verschwanden auch die Figuren und die obere Schale des Marcus-Brunnens im Bürgerpark sowie die Franzius-Büste aus dem Denkmal am Ende der Wachtstraße. Den Schlusspunkt dieses furiosen Bildersturms bildete die Demontage des Gustav-Adolf-Denkmals auf der Domsheide am 12. Juni 1942. Vermutlich mussten im gleichen Zeitraum auch die beiden Ritterfiguren am Eingang zum Ratskeller dran glauben.

Mindestens genauso bemerkenswert ist allerdings, dass keineswegs sämtliche Bronze-Denkmäler in den Schmelzofen wanderten. Verschont blieb nicht nur das Bismarck-Denkmal, das zum Schutz vor Bombenangriffen sogar direkt am Dom eingemauert wurde. Ebenfalls ausgespart wurden der Rosselenker, die Jünglingsstatue als Freikorps-Denkmal im Schoppensteel und der wuchtige Wisent im Rhododendronpark. Auch die Statue zum Gedenken an den Dichter und anti-napoleonischen Freiheitskämpfer Theodor Körner in der Östlichen Vorstadt entging dem Metallhunger der Rüstungsindustrie. Nicht zu vergessen das Reiterstandbild zur Erinnerung an Kaiser Friedrich III. in Schwachhausen.

Woran lag es also, dass einige Denkmäler dem Schmelzofen entgingen, andere aber nicht? Bei Bismarck scheint die Erklärung auf der Hand zu liegen. Den "Eisernen Kanzler" vom Sockel zu holen, wäre das nicht ein Verrat an seinem politischen Vermächtnis gewesen, der Reichsgründung von 1871? Das klingt zunächst einmal plausibel. Gleichwohl garantierte der große Name nicht per se einen nachsichtigen Umgang mit den ihm gewidmeten Denkmälern. In Frankfurt/Main und Duisburg wurden die Bismarck-Denkmäler nicht verschont.

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Aus einem Bericht des Museumsdirektors und Denkmalpflegers Ernst Grohne vom November 1943 geht hervor, dass drei Denkmäler von vornherein nicht als Metallspende enden sollten: die Reiterstandbilder Bismarcks und Friedrich III. sowie der Rosselenker. Doch wer hatte die Auswahl getroffen? Sicher ist: Zwei Jahre nach der „Metallspende“ kam wieder Bewegung in die Angelegenheit. Bereits Anfang Mai 1942 war der Bremer Verwaltung ein Erlass des Reichsinnenministeriums ins Haus geflattert. Der Kernsatz: "Zur Verfügung zu stellen sind sämtliche Denkmäler aus Kupfer und Bronze auf öffentlichen Straßen und Plätzen, die sich im Eigentum der Gemeinden befinden." Zum Abliefern wurde den Behörden eine Frist vom 10. Mai bis zum 30. Juni 1942 eingeräumt.

Ausgenommen waren nur Denkmäler von besonderer künstlerischer oder geschichtlicher Bedeutung. Darüber zu befinden, war allerdings nicht Sache lokaler Instanzen. Vielmehr wählten Experten in Berlin die zu erhaltenden Denkmäler aus. Als Grundlage dafür diente eine Denkmalsliste vom Juni 1940. Damals hatten die Gemeinden sämtliche Denkmäler in ihrem Bezirk melden müssen. Dabei hatte der zuständige Denkmalpfleger kurz vorbringen dürfen, "ob und welche Gründe bei strengster Prüfung unbedingt für die Erhaltung sprechen".

Warum blieben aber mehr als die drei festgelegten Denkmäler verschont? Den Wisent hatte die Stadt erst im Spätsommer 1940 käuflich erworben, laut Vertrag stotterte sie die Kaufsumme noch jahrelang ab. Zwar hätte die Plastik nachgemeldet werden müssen, doch vielleicht verzichtete die Stadt darauf. Dass auch die Jünglingsstatue – heute Teil des Lidice-Mahnmals in den Wallanlagen – dem Einschmelzen entging, dürfte einem diskreten Alleingang von Grohne und NS-Bildungssenator Richard von Hoff zuzuschreiben sein. Gemeinsam erstellten sie 1943 eine Liste mit schutzwürdigen Objekten, die Jünglingsstatue stand an oberster Stelle. Das Körner-Denkmal wurde verschont, weil es auf privatem Grund stand.

Im Widerspruch dazu stehen die Angaben des damaligen Oberbaudirektors Gerd Offenberg. In seinen Erinnerungen teilt er mit, während des Krieges habe er einer Kommission angehört, "die zu bestimmen hatte, welche Denkmäler damals eingeschmolzen werden sollten". Er habe gegen die Demontage des Gustav-Adolf-Denkmals gestimmt. Künstlerisch sei das Standbild zwar nicht wertvoll gewesen, aber es habe eine "sehr amüsante Vergangenheit" gehabt – gemeint war der Ankauf des eigentlich für Schweden bestimmten Denkmals von den Helgoländern, die es als Strandgut geborgen hatten. "Aber mein Einspruch hatte keinen Erfolg. Man wollte damals Bronze für Waffen und keine Erinnerung an geschichtliche Anekdoten."

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Eine Kommission also. Allerdings ließ sich im Bremer Staatsarchiv kein Hinweis auf ihre Existenz aufspüren. So bleibt vorerst ungeklärt, ob außer Grohne und von Hoff noch andere Bremer ein Wörtchen mitzureden hatten. Sicher ist jedenfalls, dass bestimmte Objekte auf keinen Fall verwertet werden sollten. "Von einer Erfassung von Führerbüsten und Büsten anderer lebender führender Persönlichkeiten ist Abstand zu nehmen", hieß es im August 1942 in einem Runderlass aus Berlin.

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