Seit Jahrzehnten wird darüber diskutiert, was wohl wäre, wenn es einen Wesertunnel zwischen See- und Oslebshausen gäbe. Jetzt soll er tatsächlich kommen. Im Spätherbst wollen die Planer damit beginnen, die Großbaustelle vorzubereiten. Läuft alles glatt, könnten die Arbeiten laut Prognose in sechs Jahren abgeschlossen sein. Es gibt noch andere Vorhersagen. Etwa darüber, wie sich das Millionenprojekt auf den Bremer Norden auswirken wird, sowohl verkehrstechnisch als auch wirtschaftlich. Wovon Behörden, Betriebe und Verbände ausgehen. Ein Überblick.
Der Straßenverkehr: Auf manchen Straßenkarten von Bremen sind so viele Zahlen eingezeichnet, dass man auch nicht auf den zweiten oder dritten Blick sagen kann, wie viele. Die Ziffern spiegeln wider, wo viel Verkehr ist und wo weniger. Es gibt Karten für Jahre, die zurückliegen, und für Jahre, die noch kommen. Gutachter haben sie erstellt, damit Planer einschätzen können, wie sich der Verkehr entwickelt – und wie er sich auf dieser oder jener Strecke verändert, wenn woanders eine neue Straße gebaut wird. Oder ein neuer Tunnel.
Die Behörde weiß deshalb nach den Hochrechnungen, wo im Bremer Norden mehr Autos und Lastwagen fahren werden, wenn das 280-Millionen-Projekt realisiert ist. Die Planer gehen von täglich 42 700 Fahrzeugen auf der A 270 im Jahr 2025 aus – mit dem Tunnel sollen es 100 mehr sein. Auch für die Heerstraße in Burg-Grambke rechnen sie in sechs Jahren mit einem Anstieg wegen des Tunnels: 19 300 statt 18 900 Wagen und Laster. Die größte Zunahme wird für den Nordbremer Abschnitt der A 27 erwartet – plus 5000 Fahrzeuge am Tag.
Alles in allem kommt Gunnar Polzien, Chef der Verkehrsabteilung, „auf leichte Veränderungen“ der Verkehrszahlen für den Norden, wenn der Wesertunnel, inklusive Ringschluss der A 281, kommt. Andere Gebiete der Stadt würden die Auswirkungen der beiden Vorhaben deutlicher zu spüren bekommen als Burglesum, Vegesack und Blumenthal. Dazu zählt Polzien die Innenstadt, aber vor allem den Bremer Westen und Süden, die das Bauprojekt entweder direkt betrifft oder die unmittelbare Nachbarn von ihm sind.
Der Fährbetrieb: Andreas Bettray hat schon lange wissen wollen, wie sich die Pendlerzahlen auf der Weser nach den Prognosen der Gutachter entwickeln, wenn der Tunnel fertig ist. Jetzt erst recht: Der Fährchef hat den Auftrag vom Aufsichtsrat zu prüfen, ob sich ein weiteres Schiff wirtschaftlich rechnet. Weil der Verkehr laut Bettrays Rechnung seit Jahren kontinuierlich zunimmt und die Fähren immer öfter an ihre Kapazitätsgrenze stoßen, sollen zwischen Blumenthal und Motzen eventuell zwei Schiffe fahren – wie an den übrigen beiden Fährstellen.
Nach Angaben der Verkehrsbehörde wird im Jahr 2025 die Zahl der Autos und Lastwagen, die mit dem Schiff über die Weser setzen, abnehmen. Allerdings weder dramatisch noch auf allen Strecken der Fährgesellschaft. Das Ressort erwartet durch den Tunnel ein Minus von mehreren Hundert Fahrzeugen pro Tag an den Fährstellen Vegesack-Lemwerder und Blumenthal-Motzen. Auf der Route von Farge nach Berne und umgekehrt soll es dagegen laut Vorhersage der Gutachter bei den täglich 2200 Fahrzeugen bleiben.
Was die Prognose für Bettrays Prüfung bedeutet, ist offen. Nach eigenem Bekunden hat der Fährchef zwar Zahlen zu den Pendlern angefragt, aber noch keine Antwort bekommen. Während einer Sondersitzung des Aufsichtsrats im September will er das Ergebnis seiner Analyse vorstellen. Bettray rechnet nicht irgendeinen Schiffsneubau durch, sondern einen bestimmten: einen Nachbau der „Farge“, dem jüngsten Neuzugang der Flotte. Die Fähre hat einen Hybridantrieb – halb Diesel-, halb Elektro – und kostete 5,4 Millionen Euro.
Die Gewerbegebiete: Martin Prange hat das schon oft erklärt: Der Wesertunnel samt Ringschluss der A 281 ist nicht bloß ein Projekt, sondern ein Schlüsselprojekt. Der Senatsbeauftragte für den Bremer Norden sagt, was auch genau so im sogenannten Integrierten Struktur- und Entwicklungskonzept für Burglesum, Vegesack und Blumenthal steht. Prange ist davon überzeugt, dass beide Bauvorhaben die Bedeutung Nordbremer Gewerbegebiete deutlich steigern werden. Er stützt sich dabei auf Prognose und Aussagen der Wirtschaftsbehörde.
Auf Aussagen von Tim Cordßen zum Beispiel. Er ist Sprecher von Wirtschaftssenator Martin Günthner (SPD) und sagt, dass durch den Tunnel- und den Autobahnbau der Bremer Industriepark sowie das Güterverkehrszentrum quasi enger zusammenrücken – und davon auch Unternehmen profitieren, die in anderen Stadtteilen angesiedelt sind. „Waren vom und zum Güterverkehrszentrum können künftig schneller geliefert werden, weil sich die Transportstrecken durch den Ringschluss und den Wesertunnel vielfach verkürzen.“
Das meint nicht nur er, das meinen auch viele Firmenchefs. Bernhard Wies weiß das. Das Vorstandsmitglied des Wirtschafts- und Strukturrates Bremen-Nord hat mit ihnen gesprochen. Er hofft, dass sich die Erwartungen der Betriebe erfüllen – „endlich“. Das Wort hört man oft von Verbänden und Führungskräften. Auch Janina Marahrens-Hashagen sagt es. Die Geschäftsfrau und Vorsitzende des Nordbremer Unternehmerforums will, dass die Vorarbeiten für den Tunnelbau nun wirklich beginnen: „Bloß keine weiteren Verzögerungen mehr. Die gab es schon zur Genüge.“