Warum sich die Mühe machen und das Rad neu erfinden. Genau nach diesem Motto hat Airbus gehandelt. Und dafür hat der europäische Luft- und Raumfahrtkonzern seine Hauptbetätigungsfelder verlassen: Der Konzern bringt einen Zugdrachen auf den Markt, der an herkömmlichen Frachtschiffen installiert wird und laut Airbus-Ingenieuren den Treibstoffverbrauch um bis zu 20 Prozent reduziert. Zugdrachen-Unterstützung für Frachtschiffe? Genau, dieses Konzept ist nicht neu: Das Hamburger Unternehmen Sky Sails von Stephan Wrage ist damit schon 2001 an den Start gegangen. Unter anderem die nicht mehr existierende Bremer Schwergutreederei Beluga ließ mit diesem System 2007 den Frachter „Beluga Sky Sails“ ausrüsten.
Doch der Zugdrachen setzte sich in der Handelsschifffahrt zum damaligen Zeitpunkt nicht durch. Zum einen geriet Beluga in finanzielle Schieflage und musste 2011 Insolvenz anmelden. Das Zugdrachensystem auf dem Frachter, der jetzt unter dem Namen „BBC Skysails“ verkehrt, kam beim neuen Eigner nicht mehr zum Einsatz. Der Verfall des Ölpreises führte dazu, dass eine Millioneninvestition in das Zugdrachen-System für Reeder erst viele Jahre später amortisiert hätte. Zumal die Spriteinsparungen auf der „Beluga Sky Sails“ offenbar geringer waren als die ursprünglich veranschlagten 15 bis 20 Prozent. Hinzu kam die allgemeine Schifffahrtskrise, die die Investitionsfreudigkeit der Reeder stark einschränkte. Auch Sky Sails geriet daher 2012 in wirtschaftliche Schwierigkeiten und musste die Hälfte seiner Mitarbeiter entlassen.
Ganz neu ist die Idee nicht
Dennoch machte das Unternehmen weiter und blieb überzeugt von seiner Idee der automatisierten Zugdrachen. Inzwischen hat die Hamburger Firma wieder 40 Mitarbeiter. Die Sky Sails Group GmbH vertreibt unter anderem Zugdrachen-Windsysteme für große Jachten. Aber auch im Ursprungssegment ist das Unternehmen tätig und bietet diese Technik weiterhin für Frachtschiffe an, wenngleich der Bereich nach wie vor recht überschaubar bleibt. Langjähriger Partner und auch Kapitalgeber von Sky Sails ist die Reederei Wessels aus Haren/Ems, die 2007 als erstes Schifffahrtsunternehmen überhaupt einen Frachter, die „Michael A.“, mit der Technologie nachrüsten ließ. Nach Angaben von Skysails ist ein weiteres System auf einem Schiff der Reederei installiert worden, weitere Zugdrachen seien bestellt.
„Wir haben ein paar vielversprechende Projekte in der Pipeline“, sagt Stephan Wrage auf Nachfrage des WESER-KURIER. Der Markt sei aber insgesamt noch zurückhaltend. „Wir gehen davon aus, dass sich das in den nächsten ein, zwei Jahren ändern wird – zumindest glauben wir an eine leicht steigende Nachfrage.“ Dass der Zugdrachen auf der „BBC Skysails“ nicht eingesetzt werde, habe einen einfachen Grund: „Das war einer unser ersten Prototypen. Und in der Rückschau betrachtet, müsste das Handling-System beim Starten und Landen optimiert werden.“ Das System sei betriebsfähig, benötige jedoch ein Sicherheits-Update. Das hänge natürlich immer von der Investitionsbereitschaft des Reeders ab.
Airbus könnte für neuen Schwung sorgen
Airbus könnte nun für neuen Schwung sorgen und die Nachfrage insgesamt beleben. Und vielleicht kommt ein solches System gerade jetzt zum richtigen Zeitpunkt: Schifffahrt steht zunehmend in der Kritik, weil die meisten Handelsschiffe mit Schweröl fahren, bei dessen Verbrennung viel gesundheitsschädliches Schwefeldioxid und CO2 entstehen. Gefragt sind zunehmend alternative Antriebssysteme – Zugdrachen könnten also eine sinnvolle Ergänzung sein. Über die Konzerntochter Air Seas will der Flugzeugbauer und Raumfahrtspezialist zunächst seine vier Ro-/Ro-Frachtschiffe mit dem Zugdrachen Sea Wing ausrüsten. Das System hatte Air Seas jüngst auf der SMM in Hamburg präsentiert – der Weltleitmesse für Shipbuilding, Machinery und Marine Technology.
Das System soll einfach per Knopfdruck ausgelöst werden. Danach entfalte sich das wie ein Drachen startende Hilfssegel und nehme automatisch stabilisiert seine optimale Stellung ein, nachdem das Steuerungssystem in Echtzeit Wetterdaten und Ozeandaten analysiert habe, so die Airbus-Ingenieure. Wenn die Schlepphilfe nicht mehr benötigt werde, kehre der Zugdrachen eingefaltet in die Ausgangslage zurück und sei wieder einsatzbereit. Der Kite mit einer Fläche von 1000 Quadratmetern hängt an einem 400 Meter langen, ausfahrbaren Kabel – ein riesiger Lenkdrachen.
Das System von auf der „Beluga Sky Sails“ war ähnlich: Das Schiff wurde mit einem bis zu 320 Quadratmeter großen Zugdrachen ausgerüstet, der von einer vollautomatischen Steuergondel navigiert und über ein Zugseil mit dem Schiff verbunden war. Computergesteuert bewegte sich der Zugdrachen in einer Höhe von 100 bis 420 Metern dann in Figuren in Form einer „8“ vor dem Schiff. Zum Start wurde der Zugdrachen mit einem Teleskop-Mast aus einem Lagerbehälter gehoben. In ausreichender Höhe entfaltete sich der Zugdrachen bis auf seine vollständige Größe und konnte so gestartet werden, dieser Vorgang dauerte etwa zehn Minuten.
Airbus verspricht sich Treibstoffersparnis von 20 Prozent
Airbus verspricht sich durch den Einsatz der Zugdrachen auf den Ro-/Ro-Schiffen, die unter anderem für den Transport von Flugzeug-Rumpfteilen zum Einsatz kommen, eine Treibstoffersparnis von 20 Prozent, was eine Verringerung des CO2-Ausstoßes von etwa 8000 Tonnen entspricht. Die gesamte Anlage ist modular aufgebaut und nachrüstbar. Airbus will das Segel künftig über Air Seas kommerziell vermarkten. „Wir sind stolz darauf, dass Airbus unserem Sea-Wing-System vertraut“, teilt Vincent Bernatets, geschäftsführender Vorstand des 2016 in Toulouse gegründeten Unternehmens Air Seas, mit.