Ein Sommertag in Bremen. Zur Mittagszeit sind viele Tische besetzt auf der Terrasse des Restaurants Canova mit Blick in die Wallanlagen. Und drinnen in der Küche gibt es gut zu tun – Teig kneten, Geschirr putzen. Vor Marius Ries liegt ein Knäuel Wildkräuter: Kapuzinerkresse, Bronzefenchel und Sauerampfer für ein Menü am Abend. Simon Hamoui gastiert derzeit als Praktikant aus Frankreich in der Küche. Ries und Hamoui kosten ein paar der Blätter und riechen daran. Kräuterkunde auf Französisch und Deutsch.
Geschäftsführer Ries hat das Restaurant im April mit seiner Frau komplett übernommen. Zuvor führte der Bremer das Lokal viele Jahre gemeinsam mit seiner Mutter. "Es war tatsächlich ein richtiger Neustart", sagt Ries. Und dabei sollte neben der Kulinarik eine Sache in den Mittelpunkt gerückt werden – und zwar die Mitarbeiter. Seit dem Neuanfang gibt es hier die Viertagewoche.
Auf der Homepage heißt es dazu, dass man damit "dem verstaubten Image der Gastronomie als Arbeitgeber neuen Glanz verleihen" und sich zeitgemäß auf die Bedürfnisse und Lebenssituationen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einstellen wolle. Die Einführung der Viertagewoche in der Branche sei "fast schon revolutionär".
An den vier Tagen sind die Mitarbeiter nach dem neuen Modell neun Stunden im Einsatz – die Wochenarbeitszeit ist leicht gekürzt. Abends ist hier an drei Tagen etwas früher Schluss. Das Canova hat sonst jedoch immer geöffnet: Montag, Dienstag, Mittwoch, Donnerstag, Freitag, Sonnabend, Sonntag.
Ries sitzt an einem der Tische am Fenster. Vor ihm ein doppelter Espresso. Warum fehlen heute Menschen in den Restaurants und Cafés? Ries zögert ein wenig, wie er es am besten formuliert, aber aus seiner Sicht ist das Problem auch hausgemacht. "Die Gastronomen sind selber schuld. Es wird wenig und schlecht ausgebildet." Dabei sei der Beruf eigentlich schön.
Shows vermitteln häufig falsches Bild
Was im Beruf auf einen wartet? Ries versucht das dem Nachwuchs gleich mit auf den Weg zu geben. "Viele junge Leute sehen Fernsehshows", sagt der Restaurantchef. Die Shows hätten einen großen Einfluss, aber vermittelten häufig ein falsches Bild. "Von meinem Alltag sind wahrscheinlich 30 bis 40 Prozent Putzen", stellt Ries fest. "Und das muss hier jeder – inklusive mir – den ganzen Tag über ableisten." Insofern sei es schon auch ein anstrengender Job auch mit Zeitdruck.
Und manchmal gebe es auch "fragliche Gäste". Gerade neulich habe er ältere Damen wegen ihres Verhaltens rausschmeißen müssen. Der Wunsch sei vom Personal gekommen. "Das ist mir noch nie passiert", sagt Ries mit seiner sehr ruhigen Art. Im vergangenen Jahr sei die Lage nach dem Lockdown besonders anstrengend gewesen. "Da musstest du hier jeden Tag Brände löschen. Alle hatten ganz krasse Befindlichkeiten", erinnert sich der Chef an die Gäste.
Kurz ist Ries abgelenkt. Elektriker stehen im Lokal. "Richtig cool, dass ihr da seid!", sagt er freudig-erleichtert. Hinter der langen Theke gibt eine Scheibe verschwommen Einblick in die Küche. Dort ist eine Sicherung durchgebrannt. Das Herz des Restaurants muss schnell notoperiert werden.
Ries ist vom Viertagemodell überzeugt. "Es ist einfach so, dass ich es für das Richtige halte," erklärt der Restaurantinhaber den Schritt. Den Haushalt gemeinsam mit dem Partner schmeißen, etwas mit den Kindern unternehmen, Zeit für sich und als Paar haben – dafür brauche es drei freie Tage. Die Mitarbeiter sollen dabei trotzdem gut verdienen: "Wir haben die Gehälter von allen eher angehoben."
Die Speisen im Canova kosten etwas mehr. "Wir verdienen das", sagt Ries mit Blick auf das Angebot und den Service. Ihn irritieren Diskussionen über die Preise. Keiner hinterfrage die Kosten einer Zahnreinigung von 120 Euro. Das werde einfach bezahlt. In Restaurants sei das anders. "Das ist seltsam." Bei vielen Gästen aber gebe es auch eine Akzeptanz für die Preise.
"Habt ihr alles, was ihr braucht?" Am Tisch kommt Restaurantleiterin Tania Buchberger vorbei. Ries erklärt kurz, dass es im Gespräch um die Viertagewoche geht. "Das ist cool", reagiert Buchberger, wenngleich das Modell zu ihrem eigenen Alltag nicht so gut passt. Für die Mitarbeiter sei das aber eine gute Sache und für Bewerber ein Anreiz. "Einen Tag mehr frei – wer hat das schon?" Das Modell nutzten eigentlich fast alle. Die Kollegen seien noch mehr bereit, im Notfall schnell auszuhelfen, sagt Buchberger: "Es ist ganz spannend zu beobachten, wie die Motivation sich entwickelt."
Viertagewoche und das Geld – das mache es aber nicht allein aus. Die Hauptmotivation der Mitarbeiter sollten bestenfalls das Team und die Aufgabe sein. "Wir brauchen hier auch einen Drive", sagt Ries. "Man muss für den Kram schon brennen." Ihm selbst ist der Spaß an der Sache anzumerken.
Für das Ehepaar Ries ist die Viertagewoche als Restaurantinhaber noch nicht drin. "Im Moment ist da nicht dran zu denken. Aber das ist auch vollkommen in Ordnung", sagt Marius Ries. Vielleicht in Zukunft.