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Made in Bremen Wie ein Bremer Start-up die Tiefkühlbranche revolutioniert

Ein Bremer Start-up revolutioniert die Tiefkühlbranche: Mit datengetriebenen Kühlsteuerungen spart Flexality Energie und Kosten. Doch hinter der Geschäftsidee steckt mehr als reine Wirtschaftlichkeit.
21.04.2024, 10:10 Uhr
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Von Luka Spahr

Was wäre, wenn der kleine Drehknopf für die Temperatur im Kühlschrank smart wäre? Wenn er genau in der Minute kühlen würde, wenn der Strompreis auf dem Markt am niedrigsten ist? Wenn er die Außentemperatur berücksichtigen und vielleicht sogar den optimalen Zeitpunkt anzeigen würde, um die Butter aus dem Kühlschrank zu holen? Zugegeben: Das wäre vielleicht etwas übertrieben für die eigenen vier Wände. Wenn es allerdings um riesige Tiefkühllager geht, in denen Unternehmen tonnenweise Lebensmittel vorhalten, dann kann so eine Erfindung schnell mal Zehntausende Euro im Jahr sparen und wäre zudem noch sehr nachhaltig.

Mit Flexality gibt es seit Ende 2022 ein Start-up in Bremen, das genau auf diesen Markt abzielt. Während die vier Gründer auf der einen Seite allerdings versuchen, klassisch nach den Regeln des Marktes zu spielen und ihre Investoren zufriedenzustellen, machen sie auf der anderen Seite doch einiges anders als die Konkurrenz. Geschäftsführer Dyke Wilke ist weder ein eingefleischter Spezialist aus der Tiefkühlbranche noch ein nerdiger Bastler mit Schraubenzieher in der Hand. Stattdessen steht da ein junger 32-jähriger Geschäftsführer im Gemeinschaftsbüro, der versucht, sich weder durch eine nicht funktionierende Bildschirmpräsentation noch durch eine Fotografin mit Zeitstress aus der Ruhe bringen zu lassen. Und während er kurz darauf mit seinem Motto „Think big, start small“ noch wie ein klassischer Gründer klingt, schlägt er anschließend schnell andere Töne an. Dass Flexality neben reinen Umsatzzahlen auch eine andere Mission verfolgt, dürfte unter anderem an der Biografie des Co-Gründers liegen.

Nach dem Studium von Verfahrenstechnik und nachhaltiger Energietechnik in Hannover und Braunschweig begann für Dyke Wilke eine rastlose Zeit. Für ein Konzept, um Tiefkühllager energieeffizienter zu machen, dass er im Rahmen seiner Masterarbeit entwickelt hatte, fand er keine Abnehmer. Also kehrte er der Region erst mal den Rücken und reiste für eine Organisation in den Tschad, um nichts anderes als „die Energiewende in Afrika“ voranzutreiben, wie er heute sagt. Wilke entwickelte Konzepte, analysierte Daten, berechnete Energiebedarfe und verlegte Leitungen für Fotovoltaik-Anlagen.

Zurück in Deutschland wandte er sich jedoch der Unternehmensberatung zu. Erst als Resilienzcoach, um Betriebe krisenfester zu machen, dann als Nachhaltigkeitsberater. Irgendwann habe er jedoch gemerkt, dass er auch für Greenwashing-Kampagnen von Unternehmen eingespannt wurde, erinnert sich Wilke. Er sollte Nachhaltigkeit an Stellen suggerieren, wo in seinen Augen keine war. „Mein Idealismus blieb dabei auf der Strecke.“ Mit Rückblick auf seine Erfahrungen in Afrika habe er zudem festgestellt: „Ich war unbrauchbar, um einen normalen Job zu machen.“

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Erst ein langer Segeltrip und die Begegnung mit Sören Eilenberger brachten schließlich die Wende und den Startschuss für Flexality. Eilenberger war nicht nur schnell von Wilkes Idee überzeugt, wie man Tiefkühllager durch Datenoptimierung kostengünstiger und nachhaltiger machen könnte, er hatte auch langjährige Erfahrungen in der Branche und brachte viel Wissen in die gemeinsame Unternehmung ein.

Ein Jahr später erfolgte die Gründung des gemeinsamen Unternehmens und mit Flexcool hatten die beiden ein Tool geschaffen, das man zwar nicht sehen kann, das aber großen Einfluss auf die Energiekosten eines Tiefkühl-Unternehmens hat. Ein sogenanntes IoT-Gateway, ein kleiner unscheinbarer Kasten am Schaltschrank eines Kühlhauses, fungiert dabei als „Beinchen in die Außenwelt“, erklärt Wilke. Außenwelt bedeutet in dem Fall die Cloud von Flexality. Hier laufen alle Daten zusammen: Stromkostenprognosen, Wetterprognosen und viele andere Faktoren. Ein Algorithmus errechnet dann in Echtzeit die besten Kühlintervalle für das Tiefkühllager: Dann, wenn viel Strom im Netz zur Verfügung steht und der Strompreis günstig ist. Dyke Wilke spricht daher auch häufig von Energiespeichern statt Tiefkühllagern, weil die Produkte in den Hallen praktisch Kälteenergie enthalten wie Batteriezellen Strom.

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Je nach Tag lassen sich mit dem Produkt von Flexality so zwischen fünf und 80 Prozent Energie sparen, wie das Diagramm eines Kunden im Meetingraum übersichtlich zeigt. Das kommt nicht nur bei kleinen Unternehmen an, sondern auch bei den Großen der Branche. Ein Konzern der Lebensmittelbranche nutze bereits die Technologie des Bremer Start-ups, in die kühlintensive Fisch-Branche in Bremerhaven gebe es auch bereits Kontakte, so Wilke.

Klingt erstmal alles ziemlich nachhaltig und somit auch zukunftsträchtig. Doch vielleicht liegt es gerade an Dyke Wilkes beruflicher Vergangenheit, dass er zu dem Wort Nachhaltigkeit eine besondere Beziehung hat. Auf der Website von Flexality findet man Verweise auf die umweltfreundlichen Seiten der Flexality-Produkte seltener als erwartet. Stattdessen haben die Gründer die Kostenersparnisse für die Kunden in den Vordergrund gestellt. Dyke Wilke ist sich sicher, dass dies am Ende das sei, was potenzielle Abnehmer überzeuge. „Idealismus geht nur, wenn’s wirtschaftlich abgeht“, weiß er heute.

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Dass Flexality am Ende des Tages als Feigenblatt für mehr Nachhaltigkeit herhalte, wollen die Inhaber um jeden Preis verhindern. Daher stimmt das inzwischen zehnköpfige Team, das überwiegend remote an verschiedenen Standorten arbeitet, die meisten Entscheidungen und Kundenanfragen auch gemeinsam ab. Auf der einen Seite steht das Unternehmen Flexality mit seinen Produkten und Umsatzzahlen. Auf der anderen Seite die Vision, die Industrie zu transformieren und einen gesellschaftlichen Wandel herbeizuführen, in der Kühlhäuser nicht immer größer werden und jährlich erneuert werden müssen.

Gar nicht so leicht, wenn man wie Flexality im Hintergrund noch Investoren mit ganz eigenen Interessen hat. Auch wenn es mit Social Entrepreneurship und Corporate Social Responsibility bereits Konzepte in diesem Bereich gibt: Ein einheitliches Lehrbuch für den Geschäftsansatz von Flexality gibt es nicht. Auch deswegen sei man gerade auch noch viel am Ausprobieren, gibt Dyke Wilke zu. Wie geht es weiter? Soll das Unternehmen wachsen? Soll es irgendwann gewinnbringend verkauft werden? In einigen dieser Fragen herrscht unter den Gründern schon Einigkeit, bei anderen noch nicht. Eine Roadmap für die kommenden Jahre samt Meilensteinen gibt es aber natürlich trotzdem. Da ist Flexality dann wieder ganz Start-up.

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