Was macht die graue Kiste da? Der Vorgang im Innern ist verborgen, der Laborplatz verlassen. Ganz allein rauscht die Hochtechnologie recht unspektakulär vor sich hin. Die Leistung dieses Geräts, das ein bisschen wie ein überdimensionierter Drucker ausschaut, ist jedoch beeindruckend: Das Modell namens "Neoma" kann etwa bei geologischer Forschung unterstützen – zum Beispiel Mondgestein oder Asteroiden untersuchen.
Thermo Fisher Scientific baut solches Werkzeug für Forscherinnen und Forscher auf der ganzen Welt. Die hier entwickelten Massenspektrometer, worum es sich bei der geheimnisvollen Box handelt, sind wahre Alleskönner. Es lassen sich mit der Massenspektrometrie Krankheiten wie Krebs oder Alzheimer erforschen, die Zusammensetzung von Lebensmitteln entschlüsseln, die Entstehung der Erde entdecken, Dopingfälle im Sport enthüllen.
Die Geräte werden in der Wissenschaft und Industrie sowie dem Gesundheitswesen eingesetzt. "Die Anwendungsbereiche sind breit gefächert. Das nimmt noch zu, weil die Technologie sich weiterentwickelt", sagt Geschäftsführer Rainer Bröring bei einem Rundgang. Zum Einsatz kommt die Massenspektrometrie beispielsweise auch bei der Qualitätskontrolle von Batterien für die Elektromobilität. Lebensmitteluntersuchungsämter nutzen die Geräte ebenfalls und bekommen Antworten: Ist ein Blütenhonig wirklich rein? Ist der Whisky tatsächlich schottisch? Auch bei der Expedition des Forschungsschiffs „Polarstern“ in der Arktis ist die Technologie genutzt worden. "In jedem meeresbiologischen Institut der Welt finden Sie die Geräte", sagt Bröring.
Einigen Bremern dürfte das Unternehmen mit Sitz in der Nähe des Flughafens dennoch unbekannt sein – genauso wie die Arbeitsweise der Massenspektrometer. Mehr als 500 Menschen gehören dabei hier zur Belegschaft von Thermo Fisher. Allein in den vergangenen beiden Jahren sind weitere 150 Mitarbeiter eingestellt worden.
Die Genauigkeit der Massenspektrometer ist immens. Thomas Möhring, ebenfalls Geschäftsführer des Hauses, bringt es in ein Bild: Ein aufgelöster Zuckerwürfel im Bodensee könne mithilfe der Technologie nachgewiesen werden. Und das soll es noch nicht gewesen sein. Die Ansprüche der Forschung stiegen immer weiter. Warum es wichtig ist, noch genauer als genau zu sein? Möhring macht das an einem Beispiel deutlich: "Je früher Sie Moleküle entdecken, die auf eine bestimmte Krankheit hinweisen, desto größer sind die Chancen, die Krankheit zu stoppen." Auch bei der Entwicklung des Impfstoffs gegen Corona half die Technologie.
Und wie funktioniert es nun? Im Kern geht es um die Frage: Was enthält eine Probe? Und wie viel davon ist jeweils drin? Die Massenspektrometer muss man sich dabei stark vereinfacht wie eine Art Waage vorstellen, und zwar für zuvor geladene Teilchen. Das Besondere dabei: Die Messung der Ionen ist erst durch deren Bewegung möglich – die Moleküle müssen also fliegen. Bevor das alles passiert, wird ein Vakuum erzeugt. Dieser Prozess bringt den Kasten zum Rauschen.
Thermo Fisher baut, in diesem Bild geblieben, unterschiedliche Waagenarten. In einem Kundenlabor lassen sich hier in Bremen die Massenspektrometer für verschiedene Anwendungsbereiche ausprobieren – wie in einem Showroom. "Die Kunden wollen wissen, ob die Geräte für ihre Proben funktionieren", sagt Thomas Möhring. Das sei wie eine Testfahrt vorm Autokauf. "Wir versuchen, die Forscher davon zu überzeugen, dass unsere Geräte ihnen ermöglichen, ihre Wissenschaft voranzutreiben."
Weitere Demolabore gibt es neben Bremen etwa auch in Frankreich, Japan oder China. Schließlich sind die Kunden verstreut über die Kontinente. Insgesamt arbeiten weltweit mehr als 100.000 Menschen für den Konzern Thermo Fisher mit seinen verschiedenen Marken und dem Hauptsitz in den USA in Massachusetts. Bremen ist eine der größten Niederlassungen in Deutschland mit einem Umsatz von 500 Millionen Euro. Der Standort ging 1947 aus den Atlas Werken Bremen hervor.
Für eine Revolution sorgte hier vor Jahren Alexander Makarov mit seiner Innovation des Orbitrap. Die brachte eine viel größere Präzision in die Analyse. Makarov ist bis heute in Bremen tätig als Director of Global Research for Life Sciences Mass Spectometry. Sein Wirken zeigt eindrücklich ein langer Flur im Gebäude. An der Wand reihen sich dort Patente des Bremer Unternehmens aneinander – viele von Makarov.
Am Bremer Standort wird entwickelt, montiert, geprüft. Das Wachstum in der Hansestadt soll sich auch nach dem gerade gefeierten 75. Geburtstag weiter fortsetzen. Zusätzlich zum eigenen Gebäude sind bereits weitere Büroflächen angemietet worden. "Wir bilden auch selber aus: Lageristen, Mechatroniker, Techniker", sagt Bröring. Viele Ingenieure arbeiten hier. In der Produktentwicklung gibt es derzeit um die 60 promovierte Wissenschaftler.
Thomas Möhring zufolge gilt der Weltkonzern oft als "Hidden Champion", weil Thermo Fisher trotz der Größe unter dem Radar agiert. Seit fast 20 Jahren arbeitet der Chemiker und Umweltwissenschaftler für das Unternehmen. Zu seiner Aufgabe gehört es auch, Schlüsselkunden zu betreuen – und so den Riesen ein wenig zu wecken. "Wir schauen uns an, wer in unserem Marktsegment ein Influencer ist. Wen müssen wir also von unseren Produkten überzeugen?", sagt Möhring. Wissenschaftliche Publikationen in "Nature" und "Science" seien daneben zwar immer noch wichtig. Doch heute zählten zum Beispiel auch die Twitteraccounts von Forschern.
Die hier entwickelte Technologie ist zwar kompliziert – schwer zu vermitteln. Die über die Massenspektrometrie gewonnenen Erkenntnisse aber berühren viele Lebensbereiche. Und die Bremer arbeiten weiter daran, dass vielleicht noch ein paar Patente mehr auf den Fluren angebracht werden können.