Die Fusion zwischen der Hamburger Reederei Hapag und dem Norddeutschen Lloyd (NDL) aus Bremen vor 50 Jahren war rückblickend aus unternehmerischer Sicht sicherlich die richtige Entscheidung. Die Reederei ist in den fünf Jahrzehnten durch wirtschaftliche Höhen und Tiefen gegangen. Sie hat diverse Eigentümerwechsel hinter sich, hat es aber geschafft, sich im international hart umkämpften Markt durchzusetzen und gehört zu den großen Linien-Containerreedereien der Welt. Nur eines wird mit Hapag-Lloyd immer weniger in Verbindung gebracht: dass die Reederei ihren Ursprung auch in Bremen hatte. Dieser Fakt gerät zunehmend in Vergessenheit, für viele ist Hapag-Lloyd ein Hamburger Unternehmen.
Dabei war der Norddeutsche Lloyd mal eine Institution in Bremen und Bremerhaven und hatte wie Hapag (Hamburg-Amerikanische Packetfahrt-Actien-Gesellschaft) seinen Ursprung im 19. Jahrhundert. Beide Reedereien lieferten sich von Beginn an einen Wettbewerb auf Augenhöhe, um mehr Ladung und vor allem in den Anfangsjahrzehnten um mehr Passagiere – vornehmlich Auswanderer, die für ein neues Leben die Schiffspassagen über den Atlantik nach Nordamerika nutzten. Trotz aller Rivalität zwischen den beiden Reedereien pflegte man auch schon vor der Fusion immer mal wieder partnerschaftliche Beziehungen.
So gab es bereits 1862 das erste Gemeinschaftsprojekt: Die Gesellschaften ließen ihre Dampfer nicht mehr in Konkurrenz gegeneinander fahren, sondern stimmten ihre Abfahrtstage ab. Ein Jahr später pachteten sie zusammen ein Areal in Hoboken am Hudson gegenüber von Manhattan. Die beiden Reedereien bauten dort nebeneinander Piers und Passagiereinrichtungen – für Millionen Emigranten das Tor zur Neuen Welt.
Dass es mehr als 100 Jahre später am 1. September 1970 zur Fusion kommt, das hätte sich damals sicherlich niemand vorstellen können – es gab Hapag und den NDL. An dieser Haltung änderte sich auch Jahrzehnte später nichts. So sollen sich nach dem Bekanntwerden erster Sondierungsgespräche auch amüsante Begebenheiten abgespielt haben: Besatzungsmitglieder, die schon mal den Schornstein eines Lloyd-Schiffes in Hapag-Farben umstrichen, oder kreative Lloyd-Beschäftigte, die beim Einlaufen in die Elbe eine riesige Lloyd-Flagge auf einem Hapag-Schiff hissten. Doch die unterschiedlichen Lager konnten die Fusion nicht verhindern. Schon in den Jahren zuvor hatte sich abgezeichnet, dass sich die Schifffahrt verändern wird – dem Container gehörte die Zukunft. Es mussten neue Schiffe her. Beiden Unternehmen war klar: Investitionen dieser Größenordnungen kann eine Reederei alleine nicht stemmen.
Vertrauen erschüttert
Das große Erwachen auf Bremer Seite kam Anfang der 1980er-Jahre: Das Vertrauen in Hapag-Lloyd sei erschüttert, äußerte sich damals der Bremer Senat. Im WESER-KURIER war die Rede von einer „Anti-Bremen-Entscheidung“ des Aufsichtsrates. „Lieber lassen wir uns den Roland klauen, als dass wir auf den Michel schauen“, reimten protestierende Arbeitnehmervertreter. Als der Aufsichtsrat am 17. Juni 1982 im Parkhotel tagte, wehte die Lloyd-Flagge mit Trauerflor auf halbmast über dem Hapag-Lloyd-Gebäude am Gustav-Deetjen-Tunnel. Auch ein dreizehnseitiger Brief von Bürgermeister Hans Koschnick und Handelskammer-Vize Carl Erling konnte die Abkehr von Bremen nicht verhindern. Dass der Hapag-Lloyd-Vorstand am 21. Juni eine großformatige Anzeige im WESER-KURIER mit einem Bekenntnis zu den Grundlagen der Fusion und damit zum Standort Bremen schaltete, war am Ende nichts wert. Von gleichberechtigten Partnern konnte längst nicht mehr die Rede sein. Hapag-Lloyd verabschiedete sich Stück für Stück aus Bremen, bis 2005 schließlich auch der nur noch formal bestehende zweite Firmensitz gelöscht wurde.
Die Geschichte von Hapag-Lloyd hätte aus Sicht von Michael Müller-Larrey auch wesentlich positiver für Bremen ausgehen können. „Beide Betriebe hatten dasselbe Geschäft mit identischen Zielen, mal war die Hapag größer, weltweit gesehen, mal der Lloyd“, so Müller-Larrey, der beim NDL Reedereikaufmann und Schiffsmakler gelernt hatte und nach der Fusion bei Hapag-Lloyd arbeitete. Hapag habe sich wesentlich besser und früher auf die Fusion vorbereitet, die Lloyd-Vertreter seien bei den Verhandlungen überfordert gewesen. „Eine Fusion mit einzigem Dienstsitz in Bremen wäre aus meiner Sicht die bessere Lösung gewesen, das wäre auch wesentlich kostengünstiger und für Hamburg leichter zu verkraften gewesen.“
Denn Bremen und Bremerhaven und der Lloyd seien wesentlich enger verbunden gewesen als die Hapag mit Hamburg, so Müller-Larrey, der jedes Jahr in Bremen das Ehemaligen-Treffen der NDL-Mitarbeiter und Freunde veranstaltet. Die Hapag sei in Hamburg ein großes Unternehmen von vielen gewesen. „Der Lloyd und Bremen waren eins. Es gab Zeiten in Bremerhaven, wo wohl um die 80 Prozent aller dort lebenden Menschen direkt oder indirekt vom Lloyd abhängig waren.“
Was erinnert heute an den Lloyd, dessen Name sich Gründer Hermann Henrich Meier von der aus einem Londoner Kaffeehaus entstandenen Versicherung abgeguckt hatte, die damals für die Handelsschifffahrt schlechthin stand? Auf jeden Fall die nach dem Gründer benannte H.-H.-Meier-Allee und genauso die Crüsemannallee in Schwachhausen, die an den zweiten Gründer Eduard Crüsemann erinnert. Und wer durch die Lloyd-Passage in der Bremer Innenstadt geht, ist nah am NDL: Der ursprüngliche Reederei-Hauptsitz war nämlich an der Stelle, an der heute das Gebäude von Galeria Kaufhof steht.
Dass Hapag-Lloyd Anfang 2019 vier von fünf Nordamerika-Linien von Bremerhaven nach Hamburg abzog, mag der einstigen Partnerregion vielleicht wie ein Affront vorgekommen sein. Aber auch das war eine unternehmerische Entscheidung. Die Terminals in Altenwerder, an denen Hapag-Lloyd beteiligt ist, waren nicht ausgelastet. Für den Schifffahrtsstandort Deutschland war die Fusion richtig: Ohne den Zusammenschluss würde es heute weder Hapag noch den NDL geben.
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