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Initiative "Die Stadtretter" Im Interview: Stefan Müller-Schleipen über die Zukunft der Innenstadt

Stefan Müller-Schleipen von der Initiative Die Stadtretter erklärt, wie sich die Bremer Innenstadt in Zukunft entwickeln könnte und warum es sich lohnen kann, die Bürger dabei mehr zu beteiligen.
06.12.2023, 05:00 Uhr
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Im Interview: Stefan Müller-Schleipen über die Zukunft der Innenstadt
Von Florian Schwiegershausen

Herr Müller-Schleipen, inwiefern ist die Bremer Innenstadt noch zu retten?

Stefan Müller-Schleipen: Wir werden und wollen die Bremer Innenstadt nicht so retten können wie sie 2019 mal war. Bremen hat prinzipiell die gleichen Probleme wie viele andere Städte: Es gibt einen hohen Filialisierungsgrad ohne ein eigenes Zielbild zu haben. Die Stadtretter-Initiative möchte gemeinsam mit allen Beteiligten unsere Innenstädte fit für die Zukunft machen. Uns stellen sich daher die Fragen: Welche neuen Funktionalitäten braucht eine Innenstadt in zehn oder 20 Jahren, damit die Menschen dort mit Freude hingehen?

Und haben Sie dazu auch eine Antwort?

Die Leute werden zumindest nicht mehr hauptsächlich wegen des Einkaufens in die Innenstädte gehen. Das liegt nicht allein am Onlinehandel, sondern an der Digitalisierung insgesamt. Ich gehöre zu einer Generation, die noch in eine Bankfiliale gehen musste, um Geld überweisen. Wir mussten auch für die neueste Platte von Michael Jackson oder für ein Konzertticket im Laden anstehen, oder um im Reisebüro eine Reise zu buchen. Das können wir heute alles vom Sofa aus mit dem Smartphone, weshalb all die Besuche in der Innenstadt wegfallen, bei denen man noch einen Kaffee getrunken oder spontan noch eine Hose gekauft hat.

Wie steht die Bremer City im Vergleich zu anderen Innenstädten da?

Nicht schlechter und nicht besser als vergleichbare Städte. Alle haben die gleichen Herausforderungen. Auch wenn man aus anderen Städten hört, sie wären nicht betroffen, muss man sich nur die Leerstände oder die zurückgehende Qualität des Einzelhandels anschauen. In Bremen ist es wohl etwas schwieriger, an die jeweiligen Eigentümer der leer stehenden Immobilien heranzukommen. Denn es wird extrem schwierig, wenn ein großes Kaufhaus schließt, aber die Projektgesellschaft oder der Fonds als Eigentümer weit weg im Ausland sitzt. Ohne die Eigentümer passiert sehr wenig. Das sehen Sie beispielsweise in Hannover in der Georgstraße, wo das Karstadt-Gebäude seit Jahren leer steht und immer unansehnlicher wird. Das zieht die ganze Georgstraße herunter.

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Was ist da zu tun?

Da müssen alle, auch in Bremen, schauen, wie sie leerfallende Immobilien schnell wieder in die Nutzung bekommen. Es muss nicht gleich die finale Nutzung sein. Wenn wir aber solche frequenzbringenden Immobilien verlieren, sorgt der Frequenzverlust dafür, dass auch die umliegenden Händler weniger verdienen. Dann generiert Leerstand zusätzlichen Leerstand – und diese Abwärtsspirale ist noch nicht durchbrochen. Und dabei steht die Bürokrise erst noch bevor.

Inwiefern?

Die Unternehmen reden von Bürobesuchsquoten an Montagen und Freitagen von nur 15 Prozent der Belegschaft. Dienstag, Mittwoch und Donnerstag liegt sie bei 30 bis 50 Prozent. Sie werden also massiv Büroflächen abbauen. Das führt zu einem sogenannten Manhattan-Effekt, denn an so einem Büroarbeitsplatz als Frequenzbringer hängen verschiedene Dienstleister wie Gastronomie, Blumenhändler, Schneider oder eine Reinigung dran. Wenn diese Arbeitsplätze wegfallen, gehen die Geschäfte im schlimmsten Falle mit den Bach runter. Auch die Banken werden weiter ihre Filialen abbauen, wir sprechen hier von bis zu 30 Prozent. Und auch die Kirchen werden in großer Zahl Immobilien auf den Markt bringen. Unsere Innenstädte sind momentan von vielen Seiten unter Druck. Da geht es also darum, was man schnell umsetzen und von anderen adaptieren kann.

Die Betonung liegt bei Ihnen auf „schnell“.

Ein Beispiel: Der Kaufhof in Herne wurde 2009 geschlossen, und die Wiedereröffnung war 2022. 13 Jahre Leerstand und Umbau können wir uns nicht mehr leisten. Aber der Bauantrag und die Nutzungsänderung dauern momentan drei bis fünf Jahre. In der derzeitigen Krise ist es zudem sehr schwierig, jemanden zu finden, der bauen und finanzieren will. Da müssen wir schneller werden. Gleichzeitig sollte man davon wegkommen, von der Nutzung her festzulegen, dass ein Gebäude ein Bürohaus ist, anstatt es flexibler anzugehen, sodass man das Gebäude nach fünf Jahren auch als Wohnraum nutzen kann. Zumindest da ist der Bund dran, 2024 mehr Flexibilität reinzubringen.

Was kann sich die Bremer Innenstadt von anderen Städten abschauen?

Eine Stadt braucht ein Zielbild. Ist Bremen die Stadt der Stadtmusikanten oder will man eine nachhaltige Einkaufsstadt sein? Wenn das Zielbild klar ist, kann man darauf hinarbeiten. Dabei gibt es genug engagierte Menschen, die zu ihrer Stadt stehen wie zu einem Fußballverein. Die Bremer stehen zu ihrer Stadt und würden auch den lokalen Handel unterstützen, wenn sie eine Chance haben, sich einzubringen. Die lokale Politik muss diesen Bürgern aber auch die Chance geben, sich einzubringen, statt alles hinter verschlossenen Türen zu beschließen. Und wir müssen weniger auf die Experten hören, die schon 30 Jahre und länger im Geschäft sind. Denn die haben uns zum Teil die Probleme eingebrockt.

Eine andere Schwerpunktsetzung als bisher also.

Wir müssen versuchen, die schweigende Mehrheit, die sich gern beteiligen möchte, vielleicht sogar Mäzene, die sich finanziell einbringen wollen, zu begeistern, dabei mitzumachen. Dafür gibt es verschiedene Digitalformate oder Bürgerbeteiligungen. Doch einige Kommunalpolitiker scheuen die Bürgerbeteiligung, weil sie das als aufwendig erachten. Aber sie müssen die jüngere Generation befragen, sonst wird das nicht funktionieren.

Da darf die Kommunalpolitik aber auch nicht meinen, alles besser zu können.

Ich sehe da eher zwei Probleme in Deutschland: Es gibt eine Angst vor Veränderung, denn es könnte sich ja zum Schlechten wenden. Und es gibt in den Kommunen eine Angst, Verantwortung zu übernehmen. Die Politiker wollen ja wiedergewählt werden und scheuen den Shitstorm-Effekt. Man muss Dinge auch einfach mal ausprobieren. Kopenhagen, Barcelona und Paris stehen momentan immer als Vorbilder da – nicht nur wegen ihrer Fahrradmobilität. Die sind nur Vorbilder, weil die eine mutige Kommunalverwaltung haben und sagen: „Wir machen das jetzt einfach.“

Das Gespräch führte Florian Schwiegershausen.

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Zur Person

Stefan Müller-Schleipen (56)

ist Mitbegründer der Initiative Die Stadtretter. Nach eigenen Angaben haben sich mehr als 1300 Kommunen, Unternehmen, Verbände und Institute in dem Netzwerk zusammengeschlossen. Müller-Schleipen ist gelernter Pilot und hat unter anderem bei der Lufthansa in verschiedenen Digitalisierungsprojekten mitgearbeitet. Zudem verfügt über langjährige Erfahrung in den Bereichen Personalführung und Kommunikation.

Zur Sache

Der Immobilien-Dialog Bremen

ist am Dienstagabend mit einem Auftaktbesuch im sogenannten Mobilitätshaus im Büropark Oberneuland gestartet. Unter dem Motto "Neue Führung, neue Stadt?! Chancen für gemeinsame Lösungswege" treffen an diesem Mittwoch Vertreter aus Politik und Wirtschaft zusammen, um über die Chancen und drängenden To-Dos der Hansestadt zu diskutieren. Schwerpunkte sind unter anderem die "Klimapläne für Bremen und ihre Umsetzbarkeit" oder "In Bremen Leben – Stadt und Gesellschaft". Am Nachmittag diskutieren eine Vertreterin von Die Stadtretter, Innenstadt-Projektbüro-Leiter Carl Zillich, Brepark-Chefin Katja Krause und Viktoria Theoharova von Huddy Studio in einem Panel über das Thema "Innenstadtentwicklung – mehr als ,nur' Warenhaus-Fokus".

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