Achtzig Gramm Grünkernschrot wünscht die Kundin, nicht mehr, nicht weniger. Christine Rogmann schaufelt die Körner aus dem großen Glas in die Getreidemühle, die sodann ans Werk geht. Für den Weitertransport gibt es kein Papierbeutelchen und kein Plastiktütchen. Abgefüllt wird in mitgebrachten Behältern. Nixumzu heißt der Stand, mit dem Rogmann seit eineinhalb Jahren auf Bremer Wochenmärkten unterwegs ist. In der Stadt ist sie die erste und bislang einzige mobile Unverpackt-Händlerin. Verpackungsmüll sparen ist ein guter Grund, bei ihr einzukaufen. Doch es gibt noch mehr davon.
Der Kundin, die sich eben das Schrot hat abfüllen lassen, steht der Appetit nach Grünkernbratlingen – aber eben nicht mehrmals in der Woche. „Für mein Rezept brauche ich 75 Gramm", sagt sie. „Aber solch kleine Mengen kann man eben selten kaufen". Das Problem: Die einmal angebrochenen Verpackungen stapelten sich oft im Vorratsschrank, bis sie irgendwann nicht mehr brauchbar seien. „Haltbarkeit abgelaufen und ab in den Müll – das ist so schade“, sagt die Findorfferin. „Darum finde ich diesen Stand so toll.“

Viele ältere Menschen fühlten sich an frühere Zeiten erinnert, in der man Lebensmittel genau so einkaufte, sagt Rogmann, aufs Gramm abgewogen und nicht doppelt und dreifach eingepackt. Auf Markenlogos kann ihre Kundschaft laut der Händlerin verzichten. Und wer mehr und Genaueres über die Waren wissen möchte, kann fragen.
Mit einem Vorurteil möchte Rogmann zu gerne aufräumen, weil es die Leute abschreckt: Dass sich Bioware in den vergangenen Monaten überproportional verteuert habe. „Das stimmt einfach nicht. Fragen Sie mal am Biostand gegenüber, die sagen dasselbe“, sagt sie. In ihrem eigenen Sortiment gleiche sich die Bilanz unterm Strich aus. „Manches ist teurer als im Supermarkt, anderes wiederum günstiger“, sagt die 53-Jährige und verweist auf ihr Gewürzsortiment. Der Vergleich bestätigt: Oregano, Thymian, Paprika, Pfeffer und weitere Gewürze – tatsächlich deutlich günstiger als Bio-Eigenmarken im konventionellen Handel.
Die Geschichte der Unverpackt-Bewegung ist noch jung. Als weltweit erster Vertreter seiner Art gilt der Zero-Waste-Store Unpackaged, der seit 2007 im Londoner Szeneviertel Islington zu finden ist. 2014 wurde das erste deutsche Geschäft dieser Art in Kiel eröffnet, vier Jahre später der Unverpackt-Berufsverband gegründet. Die deutschen Unverpackt-Läden gab es zunächst vor allem in Großstädten und Ballungszentren. Mittlerweile wird ihre Zahl vom Bundesministerium für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit auf mehr als 300 geschätzt.
Auf Bremer Stadtgebiet gibt es bislang vier stationäre Geschäfte. Der erste war vor sieben Jahren Selfair im Steintor, es folgten L'Epicerie Bio und Füllkorn in der Neustadt, vor drei Jahren eröffnete die Findorffer Füllerei. Das Prinzip: Die Händler beziehen ihre Waren in großen Einheiten oder Gebinden, die überwiegend in Mehrwegbehältern geliefert werden, oder von Herstellern, die von sich aus auf Umverpackungen verzichten.
Die Motivation hinter den Geschäftsideen: Laut Zahlen des Umweltbundesamts (UBA) hat sich die Menge des Verpackungsmülls zwischen 1995 und 2022 verdoppelt. Deutsche Privatverbraucher werfen jährlich durchschnittlich 107 Kilogramm an Verpackungen aus Kunststoffen, Glas, Papier oder Leichtmetallen weg. Mit 38 Kilo Plastikabfall pro Kopf und Jahr liegt Deutschland weit über dem EU-Durchschnitt.
Als Gründe sieht das UBA die Zunahme an Single- und Pärchenhaushalten, die kleinere Füllgrößen und Einheiten konsumieren. Auch der nach wie vor steigende Trend zu sogenannten Convenience-Produkten, also Fertiggerichten, zu Fast Food und zum Versandhandel erhöht den Verpackungseinsatz. In Bremen werden pro Jahr zehn Millionen gelbe Säcke eingesammelt. Der Rest landet irgendwo – auch in der freien Natur. So wird Plastikmüll beispielsweise an den Stränden von Nord- und Ostsee laut Bundesregierung zum zunehmenden Problem und gefährdet Tausende Meerestierarten.

In dem kleinen Wagen gibt es Getreide, Mehle, Teigwaren und Hülsenfrüchte, fast zwei Dutzend Sorten Nüsse und Sämereien, Trockenfrüchte verschiedenster Couleur, Backzutaten, Süßes, Kaffee, Essig und Öl.
„Ich hatte schon lange darüber nachgedacht, einen Unverpacktladen zu eröffnen“, sagt Christine Rogmann. Den Ausschlag habe die Pandemie gegeben. „Mein Mann arbeitet in der Veranstaltungsbranche, plötzlich brachen alle Engagements weg“, sagt sie. Zur Überbrückung habe er auf dem Wochenmarkt ausgeholfen, was ihm so gut gefallen habe, dass er gesagt habe: "Lass uns doch einen Marktstand eröffnen.“ „Ich habe mich erst einmal monatelang schlau machen müssen“, sagt die gelernte Hotelfachfrau.
Starthilfe in Form von Tipps und Kontakten zu Bezugsquellen gab es vom Unverpackt-Verband und von erfahrenen Kollegen wie Romina Jordemann aus Syke, die mit ihrem Wagen Gretchens Unverpackt das Umland beliefert. Über das Verbandsnetzwerk fand sich der Marktwagen aus dem Ruhrgebiet. Finanziert wurde das Projekt über eine Förderung des Starthaus Bremen, Eigenkapital und private Investoren.
Im September 2021 war Premiere auf dem Borgfelder Wochenmarkt. „Ich musste die Handgriffe erst einmal üben. Aber die Borgfelder waren sofort sehr aufgeschlossen und sind bis heute meine treuesten Kunden“, sagt Rogmann. Mittlerweile steht Nixumzu an fünf Wochentagen auf sieben verschiedenen Bremer Wochenmärkten mit einem Sortiment, das zweieinhalb eng bedruckte Broschürenseiten füllt. In dem kleinen Wagen gibt es Getreide, Mehle, Teigwaren und Hülsenfrüchte, fast zwei Dutzend Sorten Nüsse und Sämereien, Trockenfrüchte verschiedenster Couleur, Backzutaten, Süßes, Kaffee, Essig und Öl.
Dazu kommt eine Haushaltsabteilung mit vielem, was man im Alltag zum Waschen und Putzen benötigt: Dafür kooperiert Rogmann nach eigenen Angaben am liebsten mit gleichgesinnten Produzentinnen und Produzenten aus Bremen und der Region. Das Prinzip Sortimentserweiterung funktioniert nach einem klaren Konzept, sagt Rogmann: „Wenn dreimal danach gefragt wird, besorge ich es.“ Man müsse ja nicht gleich seinen gesamten Einkauf umstellen“, sagt sie. „Aber wenn alle ein bisschen tun, hilft es auch schon viel.“