Der Lkw der Zukunft fährt ohne Diesel im Tank – darin sind sich die Fachleute einig. Denn auch der Güterverkehr muss CO2-frei werden, wenn es mit der Rettung des Weltklimas klappen soll. Aber wie bringt man einen 40 Tonner ohne Dieselkraftstoff auf Touren? Darüber gehen die Meinungen auseinander, die Hersteller setzen auf unterschiedliche Technologien. Beim Lkw-Bauer Faun in Osterholz-Scharmbeck ist man weiterhin vom Wasserstoff als sauberem Dieselersatz überzeugt.
Vor einem halben Jahr präsentierte die Faun-Gruppe ihren jüngsten Familienzuwachs: Unter dem Namen Enginius will man künftig Lkw für den regionalen Lieferverkehr mit wasserstoffbetriebenen Brennstoffzellen ausrüsten – zunächst in einer gemieteten Gewerbehalle am Bremer Weserpark, ab Mitte des Jahrzehnts dann in einem neuen Werk, für das noch ein Standort in der Region gesucht wird. Bis zu 900 Arbeitsplätze sollen dort entstehen. Voraussetzung: Das Interesse an den Wasserstoff-Lkw ist groß genug. Nach den ersten Präsentationen und Messeauftritten ist Faun-Chef Patrick Hermanspann davon überzeugt, auf die richtigen Pferdestärken gesetzt zu haben: "Es gab mehr Interesse und Zuspruch als erwartet", sagt er. "Unsere Erwartungen wurden übertroffen."
Dabei landet die Brennstoffzelle im Experten-Ranking der künftigen Lkw-Antriebe vielfach nur auf Platz 2. Denn sie hat einen großen Nachteil: Die nötige Antriebskraft entsteht bei ihr auf Umwegen, auf denen ein Teil der Energie verloren geht. Für die Herstellung von Wasserstoff muss Wasser zunächst in seine Bestandteile – Wasserstoff und Sauerstoff – zerlegt werden. Dafür braucht man eine Menge Strom. Dieser muss zudem aus erneuerbaren Quellen stammen, damit der Wasserstoff wirklich "grün" ist. In einer Brennstoffzelle wird der Wasserstoff dann wieder in Strom umgewandelt, um damit einen Elektromotor anzutreiben.
Einige Fachleute halten den Umweg Strom-Wasserstoff-Strom für unnötig. Sie wollen die elektrische Energie lieber direkt für den Antrieb nutzen – wie bei einem Pkw. "Die Zukunft des Lkw-Verkehrs ist batterieelektrisch", sagt etwa Christian Levin, Chef von Traton, der Lkw-Tochter des Volkswagenkonzerns, zu der die Marken MAN und Scania gehören. Und das, obwohl die Batterie für einen Lkw riesengroß und tonnenschwer ist. Auf der Nutzfahrzeug-Messe IAA Transportation Ende September in Hannover präsentierte MAN seinen "eTruck", der es mit Batterieantrieb auf eine Reichweite von 800 Kilometern am Tag bringen soll. Der Betrieb eines Brennstoffzellen-Lasters sei dreimal so teuer, heißt es bei MAN. Einen Wasserstoff-Lkw hat der Hersteller gar nicht erst im Angebot, während die Konkurrenten Daimler und Volvo einstweilen zweigleisig fahren: mit Batterie und Brennstoffzelle.
60 Müllfahrzeuge mit Wasserstoff-Antrieb
Faun-Chef Hermanspann jedoch lässt sich von der verbreiteten Skepsis nicht irritieren: Bis Ende des Jahres will er 60 mit Wasserstoff angetriebene Müllfahrzeuge ausliefern; im nächsten Jahr soll die Stückzahl dreistellig werden. Und auch der Verkauf der Lkw-Modelle für den regionalen Lieferverkehr laufe gut: Bekannt sind zwar erst zwei Aufträge über je ein Fahrzeug von der Spedition Dachser und der Bäckereigenossenschaft Bäko, "aber da ist noch mehr und da kommt nach der Messe auch noch mehr", versichert Hermanspann. Dass der Konkurrent Clean Logistics aus Hamburg auf der IAA einen Rahmenvertrag über die Lieferung von 5000 Wasserstoff-Lkw für den Regenerative-Energien-Anbieter GP Joule bekanntgab, beunruhigt den Faun-Chef nicht: "Das schafft Aufmerksamkeit und ist gut für die ganze Branche", versichert er.
Hermanspanns fester Glaube an die Brennstoffzelle beruht auf der Überzeugung, dass Deutschland seinen künftigen Bedarf an erneuerbaren Energien nicht alleine decken kann. "Die Windenergie trägt im Moment nur fünf Prozent zum gesamten Energiebedarf in Deutschland bei", rechnet er vor. "Und das mit jetzt schon 28.000 Windenergieanlagen." Wenn also künftig der gesamte Pkw- und Lkw-Verkehr elektrifiziert werden soll, müsste sich die Zahl der Windräder noch einmal vervielfachen. Dabei stößt der Bau neuer Windräder schon jetzt vielerorts auf Widerstand bei den Anwohnern.
Hermanspanns Schlussfolgerung: "Deutschland wird ein Importland von Energie bleiben. Und damit stellt sich dann die Frage: Wie kommt die Energie ins Land? Und wie lässt sie sich speichern?" Seine Antwort: in Form von Wasserstoff. In Wüstenländern mit Solarenergie günstig erzeugt, lässt er sich wie heute bereits Öl und Gas mit Tankern transportieren und an Hafenterminals in Pipelines einspeisen oder in Tanks einlagern. "Mit Strom geht das nicht", stellt Hermanspann fest.
Deshalb glaubt man bei Faun und Enginius weiter an den Erfolg der Wasserstoff-Lkw. An den Plänen für ein neues Werk hält Hermanspann fest. "Wir haben mehrere Standorte in Nordwestdeutschland ins Auge gefasst", sagt er. "Einen Favoriten gibt es noch nicht."