Was wäre ein Büro ohne Pflanzen? Auch in diesem Loft in der Überseestadt mit Blick raus auf die Weser sind welche zu finden – sogar ein Basilikum. Hier wächst und gedeiht die Bremer Bonsai GmbH. Nur Bonsai selbst sind gerade, abgesehen von einem Exemplar aus Lego auf dem Empfangstresen, gar nicht zu finden. Verwunderlich.
Und dann wieder doch nicht. Denn die Bremer sind nicht etwa Baumkenner, wie man vielleicht denken könnte, sondern vor allem Menschenkenner: Erforscht wird das Einkaufsverhalten. "Im Grunde begleiten wir Kunden auf ihrer Reise durch die Einkaufswelt – und zwar auf ganz unterschiedliche Art und Weise", sagt Geschäftsführer Jens Krüger. Was passiert beim Einkauf? Warum ist ein Produkt ein Flop? Und wie wird ein Produkt zum Bestseller? Dabei gilt das Prinzip des Bonsais: Hier wird im Kleinen getestet, was im Großen funktionieren muss.
Kommt ein neues Produkt auf den Markt? Verändert ein Artikel seine Verpackung? Bonsai schaut sich an, wie der Kunde darauf reagiert. "Und das eben in echten Supermärkten. Das ist das Besondere daran", sagt Jasmin Pampuch, die ebenfalls zur Geschäftsleitung gehört, zu Tests am Ort des Geschehens. Dadurch seien etwa Volumenprognosen für den Hersteller möglich. Auch in rund 1500 Apotheken probiert Bonsai Produkte und Platzierungen aus.
Das wahre Leben kann man nicht simulieren – so lautet hier der Grundsatz. Der Marktforschungsspezialist schaut deshalb genau hin. Und das nicht nur auf die Regale. Bonsai lässt sich zum Beispiel Fotos von Kühlschränken schicken oder begleitet Menschen bei ihrem Einkauf. Ein Bummel unter Beobachtung.
Früher spielte Bremen als Standort eine größere Rolle bei den Tests. Dabei ging es in den Anfangstagen besonders um den Einfluss von Fernsehwerbung. Getestet wird hier zwar weiterhin auch in den Supermärkten. Doch nun werden vielerorts Erkenntnisse aufgespürt – auch digital. Und das Portfolio von Bonsai ist viel breiter geworden. Das Unternehmen versteht sich als Experimentierplattform für neue Ideen.
Im eigenen Magazin gibt es Einblicke zu Themen wie Marketing oder Produktdesign. Noch tiefer steigt der "Werteindex" ein, laut Krüger die größte deutsche Langzeitstudie von Social Media, Millionen Posts werden dafür ausgewertet. "Wir können dort analysieren: Was bewegt die Menschen gerade?", sagt der Geschäftsführer. Bonsai schaut sich Entwicklungen in der Gesellschaft an. Denn wer die kennt, der kann auch auf Wünsche und Bedürfnisse reagieren – heute etwa mit nachhaltigen Produkten. "Du hast das mal so schön formuliert", sagt Krüger zu seiner Kollegin Pampuch, "wir möchten die Welt auch ein Stückchen besser machen anhand von Produkten des täglichen Lebens."
Corona hat Einfluss auf das Einkaufsverhalten
Orientierung war in Zeiten der Pandemie gefragt wie nie, denn aus Angst vor einer Ansteckung wollten viele die Besuche im Supermarkt so kurz wie möglich halten. Corona habe das Einkaufsverhalten der Menschen massiv verändert. "Die Händler und Hersteller mussten sich anpassen", sagt Pampuch, "Head of Shopper Research" des Unternehmens.
Wenn die Geschäftsleiterin selbst im Supermarkt unterwegs ist, bleibt der Expertenblick aufs Angebot nicht aus. Am Regal ertappe sie sich gerne mal beim Gedanken: "Also die sollten auch mal eine Studie machen!" In anderen Momenten sei einfach nur der Heißhunger auf Schokolade da. "Dann ist mir das relativ egal, wo die platziert ist."

Jasmin Pampuch gehört neben Krüger zur Geschäftsleitung.
Ganz eng hängt die Geschichte von Bonsai mit "My Enso" zusammen. Das liegt an Gründer Norbert Hegmann. Er baute zunächst Bonsai auf und konzentriert sich heute aufs Supermarkt-Start-up. Was die beiden Betriebe auch eint? Die Philosophie, den Kunden in den Mittelpunkt zu stellen. Im Kern gehe es bei allem um den Menschen. Marktforschung als Mittel zum Missbrauch? "Bullshit!", sagt Krüger.
Und wir wird man Menschenkenner? Pampuch und Krüger haben Soziologie studiert. Außerdem sind hier Psychologen, Wirtschaftspsychologen, Mathematiker oder Informatiker beschäftigt. Insgesamt gibt es rund 65 Mitarbeiter an den Standorten in Bremen, Hamburg und Bielefeld – auch zwei Azubis zum Fachangestellten für Markt- und Sozialforschung sowie zwei weitere Geschäftsleiter.
Grundsätzlich zählen die Großen der Lebensmittelindustrie zu den Kunden von Bonsai. Doch die Bremer kümmern sich genauso um Haushaltswaren oder Elektrogeräte. "Im Handel decken wir schon viel ab", sagt Krüger. Im Geschäftsbereich namens "Mystery" geht es zum Beispiel auch darum, ob das Bild eines Unternehmens – quasi das Versprechen der Werbung – auch zur Realität passt. Dazu werden Läden verdeckt besucht. Daneben hilft Bonsai beim Markenaufbau, zum Beispiel Versicherungen und Banken.
Doch warum eigentlich fehlt heute ein echter Bonsai im Bremer Büro? Eine Ausnahme. Gerade sind die letzten Exemplare verschenkt worden. Dabei müsste das Unternehmen eigentlich einen reichhaltigen Vorrat an den filigranen Gewächsen vorhalten. Im Handelsregister und Gesellschaftervertrag steht nämlich tatsächlich auch der Geschäftszweck Verkauf von Bonsai-Bäumen. Das findet sogar das Unternehmen selbst merkwürdig. Wie kam es dazu?
In den Anfangstagen sorgte der harmlose Bonsai für Turbulenzen. Das Amtsgericht Bremen monierte damals, der Firmenname sei irreführend: Man müsse doch davon ausgehen, dass die Gesellschaft die Bäume verkaufe. "Ein mittlerer Schock – denn voller Elan hatten wir bereits Kommunikationsmaterialien drucken lassen", heißt es zur Historie auf der Homepage. Überzeugungsversuche scheiterten. In einem emotionalen Gespräch fiel schließlich ein trotziger, aber letztlich rettender Satz: "Dann – in Gottes Namen – verkaufen wir eben Bonsai-Bäume." Damit war die Sache für das Amtsgericht in Ordnung.
Partner und Kunden bekommen öfter mal einen Bonsai geschenkt. Für neue Mitarbeiter gibt es ebenfalls ein Bäumchen. Und wer möchte, der kann sich hier theoretisch auch einen Zwergbaum bestellen. Ob es dazu Pflegetipps gibt? Die Experten können sicher viel besser erklären, warum man sich überhaupt für den Baum entschieden hat und was das über einen aussagt.