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Klinikmord-Prozess Freispruch für Ex-Vorgesetzte von Högel

Nach 29 Verhandlungstagen steht fest: Der Prozess gegen die sieben ehemaligen Vorgesetzten des Patientenmörders Niels Högel endet mit Freispruch. Sämtliche Verfahrensbeteiligte hatten genau das gefordert.
13.10.2022, 15:29 Uhr
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Freispruch für Ex-Vorgesetzte von Högel
Von Katia Backhaus

Eine leicht brüchige Stimme, fast ungelenk, ein knapper Satz: "Ich schließe mich meinen Anwälten an." Das sind die einzigen Worte, die von den sieben Angeklagten im Klinikmord-Prozess zu hören waren. Am letzten Verhandlungstag des seit Februar laufenden Verfahrens durchbrachen sie für diesen einen Satz kurz das Schweigen, mit dem sie die Befragungen der Zeuginnen und Zeugen, das Verlesen von Dokumenten und die Ausführungen von Richter, Staatsanwältin und Verteidigung verfolgt hatten.

29 Tage lang hatten sie keinerlei Einblick in das gegeben, was in ihnen während dieses Prozesses vorgegangen sein muss. Immerhin wurden sie, sieben ehemalige Beschäftigte der Kliniken Oldenburg und Delmenhorst, beschuldigt, in acht Fällen die Gehilfen eines Mörders gewesen zu sein.

Der am Donnerstag von Richter Sebastian Bührmann verkündete Freispruch für alle Angeklagten überraschte wohl niemanden im Saal. Ein Stück weit das Urteil vorweggenommen hatten die beiden Einschätzungen der Kammer im laufenden Verfahren, in der sie erklärt hatte, keine ausreichenden Belege für eine Verurteilung zu sehen. Zudem stellte die Tatsache, dass nicht nur das Verhalten der Angeklagten vor Gericht überprüft werden, sondern auch erneut bewiesen werden musste, dass der Ex-Pfleger Niels Högel die der Anklage zugrunde liegenden acht Morde überhaupt begangen hatte, hohe Anforderungen an die Beteiligten. Zumal es um Fälle aus den Jahren 2001 und 2005 ging – eine zeitliche Distanz, die vor allem bei den Zeugenbefragungen spürbar war.

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Was hat dieser Prozess gezeigt, obwohl er wenig bis keine neuen Erkenntnisse im Komplex Niels Högel erbracht hat? Ein Prozess, auf dem große Erwartungen ruhten, weil die Frage einer Mitschuld der Vorgesetzten für die Morde eines Pflegers so vor Gericht noch nicht gestellt worden ist.

Eine – wenn auch nicht überraschende – Erkenntnis ist, dass viel zu viel Zeit vergangen ist und vertan wurde. Bereits bei den Ermittlungen gegen Högel war das der Fall, erst neun Jahre nach seiner ersten Verhaftung nahm eine Sonderkommission ihre Arbeit auf, die dann auch gegen weitere Klinikbeschäftigte ermittelte. 2015 gab die Oldenburger Staatsanwaltschaft zu, es habe Pannen und Verzögerungen gegeben, die nicht hätten passieren dürfen. Das führte unter anderem dazu, dass weniger schwerwiegende und leichter zu belegende strafrechtliche Vorwürfe wie etwa Fahrlässigkeit verjährt sind. 

Der Prozess hat verdeutlicht, wie wichtig es ist, Missstände klar zu benennen. Verbreitetes Misstrauen, Gerede, Gerüchte – all das war vorhanden, in der Belegschaft, aber auch auf der Leitungsebene der beiden Krankenhäuser, in denen Högel arbeitete. Es führte schließlich sogar dazu, dass er in Oldenburg mehr oder weniger hinausgeworfen wurde. Doch begründet wurde das nur mit einem Vertrauensbruch und dem Hinweis, er könne mit Fehlern nicht richtig umgehen. Eben das, führte Richter Bührmann zum Urteil aus, könne man wahrscheinlich treffender den jetzt Freigesprochenen vorwerfen. Dennoch betonte er, dass sich keiner der Angeklagten eines vorsätzlichen Fehlverhaltens schuldig gemacht habe. Daran gebe es keinen Zweifel.

Dieses Verfahren lässt uns traurig zurück.
Richter Sebastian Bührmann

Fehler aber wurden gemacht, unter anderem in den Situationen, in denen es eben doch konkretere Hinweise gab. Dass etwa die Ergebnisse der Strichliste des Klinikums Oldenburg, die Reanimationen und beteiligtes Pflegepersonal zusammenführte, nicht weiter verfolgt wurden, war nach Darstellung eines der Angeklagten zufolge die Entscheidung des damaligen Geschäftsführers. Auch ein Verdacht einer Delmenhorster Mitarbeiterin nach dem Fund von Medikamentenampullen wurde abgebügelt: Sie solle ihre Kompetenzen nicht überschreiten. "Es ist so wichtig, dass aus diesen Fehlern gelernt wird", sagte Richter Bührmann. "Dieses Verfahren lässt uns traurig zurück. Es bleibt uns nichts anderes, als nach vorne zu schauen."

Die Frage, die diesen Prozess immer auch begleitet hat, ist die danach, was er für die Betroffenen und die Öffentlichkeit bedeutet. Ihm sei wichtig, dass nichts an seiner Mandantin hängen bleibe, sagte einer der Verteidiger im letzten Plädoyer. Keine Verantwortung, keine Schuld, auch keine moralische. Eine große Belastung sei nicht nur der Prozess, sondern auch die Jahre zuvor gewesen, in denen die Angeklagten mit den schweren Anschuldigungen hätten leben müssen. Das hoben mehrere Verteidiger in ihren Plädoyers hervor. Hinzu komme, dass sie mit der Unbegreiflichkeit, dass einer ihrer Kollegen neben ihnen gemordet hat, umgehen müssen.

Ein schweres Gewicht war das erneute Verfahren auch für die Angehörigen, die nach so vielen Jahren noch immer nicht zur Ruhe kommen können. Acht Fälle wurden im Verfahren erneut von Null an untersucht. In einem Fall hat das Gericht keinen Mord nachweisen können, bei einem zweiten, dem mutmaßlich letzten Opfer Högels, ist er zumindest von der Verteidigung bezweifelt worden.

Immerhin eine Last hat das Urteil ihnen allen abgenommen. Sie können das Licht der Öffentlichkeit, das auf sie gefallen ist, jetzt wieder verlassen – und, wenn sie wollen, stumm bleiben.

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