Was sich bereits seit Monaten andeutete, ist nun noch konkreter geworden: Der Einschätzung des Oldenburger Landgerichts zufolge wird wohl keiner der sieben Beschuldigten im Klinikmord-Prozess im Sinne der Anklage verurteilt werden. Diese Einschätzung ist ein deutlicher Hinweis auf das Urteil.
Richter Sebastian Bührmann, der sämtliche Prozesse gegen den ehemaligen Krankenpfleger Niels Högel geführt hat, erläuterte am Dienstagmorgen zudem, dass bei einem mutmaßlichen Opfer nicht belegt werden konnte, dass es durch die Hand Niels Högels starb. Insgesamt sind es acht Todesfälle, die das Gericht für das aktuelle Verfahren in den Blick genommen hat. Von den drei untersuchten Fällen am Klinikum Oldenburg im Zeitraum 17. bis 26. November 2001 konnte nur bei zweien mittels Gutachten nachgewiesen werden, dass Niels Högel sie tötete. Bei dem dritten Toten sind die in seinem Körper nachgewiesenen Spuren eines Medikaments nicht zwangsläufig auf eine Manipulation zurückzuführen: Der Mann hatte es zuvor schon in einem anderen Krankenhaus verabreicht bekommen.
Für die Delmenhorster Angeklagten war die Erklärung am Dienstagmorgen von größerer Bedeutung, da die Oldenburger Beschuldigten bereits nach einer ersten Einschätzung des Gerichts im Juli aufatmen konnten. Damals hatte Richter Bührmann verkündet, ein vorsätzliches Handeln der vier Angeklagten könne nicht "mit einer für eine Verurteilung ausreichenden Gewissheit" belegt werden. Da der Vorsatz zwingend zum Vorwurf der Beihilfe zur Tötung durch Unterlassen gehört, kann dieser damit mehr oder minder als erledigt gelten. Sämtliche anderen, möglichen Vorwürfe – wie etwa Fahrlässigkeit – sind verjährt.
Mit Blick auf die drei Beschuldigten, die zeitgleich mit Högel am Klinikum Delmenhorst tätig waren, wiederholte Bührmann nun diese Formulierung. Die Beweisaufnahme habe zwar "ein allgemeines, im Laufe der Zeit ansteigendes Misstrauen" gegenüber dem Pfleger zutage treten lassen, "welches sich nach dem Sterbefall M., also ab dem Nachmittag des 22. Juni 2005 zudem noch verdichtet hatte". Doch daraus lasse sich nicht ableiten, dass die Angeklagten den Tod weiterer Menschen billigend in Kauf genommen hätten.
Eine besondere Rolle kommt der damals stellvertretenden Stationsleitung zu. Ihr legt die Anklage alle fünf Delmenhorster Todesfälle zu Last, weil eine Pflegekraft ihr Anfang Mai 2005 berichtet hatte, dass nach dem Tod eines Patienten leere Gilurythmal-Ampullen gefunden worden waren. Der Verbrauch dieses Medikaments war während Högels Dienstzeit stark angestiegen und diente ihm in vielen Fällen als Mordwaffe. Doch selbst wenn diese Information das "ohnehin bereits vorhandene Misstrauen schon zu diesem Zeitpunkt deutlich verstärkt habe", sehe er kein vorsätzliches Handeln der Beschuldigten, erläuterte Bührmann. Im Prozessverlauf sei zudem deutlich geworden, dass ihr Vorgesetzter ihr gesagt habe, dass sie sich mit Verdächtigungen gegenüber Högel zurückhalten und ihre Kompetenzen nicht überschreiten solle.
Das öffentliche Verfahren in den Oldenburger Weser-Ems-Hallen wird am Mittwoch, 12. Oktober, 9 Uhr, mit den Plädoyers fortgesetzt. Das Urteil könnte am 25. Oktober verkündet werden.