Anfangs hebt sich ein Eisbär aus dem Wasser auf die Eisfläche, wälzt sich im Schnee, rutscht auf dem Bauch. Doch so paradiesisch beschaulich wird der Blick auf das angeblich ewige Eis in der Dokumentation "Expedition Arktis 2 – Tauchfahrt am Nordpol" nicht wieder. Denn was das Team des Alfred-Wegener-Instituts – an Bord der "Polarstern" sind 54 Forscherinnen und Forscher sowie 43 Besatzungsmitglieder – auf seiner zweimonatigen Sommerreise, auf 4050 Kilometern von Bremerhaven zum Nordpol, erlebt, gibt Anlass zu großer Sorge.
1980 noch erstreckte sich das Eis über eine doppelt so große Fläche wie heute. Unter dem Eis herrscht weniger Leben, die Algen unter der Eisfläche, die Kohlenstoff binden und auf dem Meeresboden ablagern, sind mancherorts fast tot. Der Anteil an mehrjährigem Eis liegt längst bei Null, weil im Sommer alles wegschmilzt. Die Meeresströmung – die Transpolardrift, dank der der norwegische Forscher Fridtjof Nansen vor 130 Jahren in drei Jahren auf der im Eis eingeschlossenen "Fram" die Arktis durchqueren konnte – hat sich verändert, ist unvorhersehbarer geworden. "Der Herzschlag des Polarmeeres ist aus dem Tritt gekommen", heißt es in dem von Maria Furtwängler gesprochenen Kommentar.
Dass die durch den Klimawandel ausgelösten Veränderungen Auswirkungen auf das weltweite Ökosystem haben – diese Erkenntnis machen die Regisseure Philipp Grieß und Manuel Ernst ihren Zuschauern über 75 Minuten immer intensiver bewusst. Anfangs geht es vor allem um das technische Drumherum der Forschungsfahrt. Man lernt nach und nach ein Dutzend Beteiligte kennen.
Defekter Roboterarm
Das ist Expeditionsleiterin Antje Boetius, die so präzise organisieren kann und sich in 30 Jahren ihre Begeisterungsfähigkeit bewahrt hat, wenn der Tauchroboter aus 4000 Metern Tiefe Bilder von Schwämmen, Seeanemonen, Krebsen und Fischen überträgt: "Wo nehmen diese Lebewesen Energie her, wenn es in der Arktis so wenig zu futtern gibt?" Kapitän Stefan Schwarze, den das kaputte Bugstrahlruder – "das wichtigste Manöverelement" – ebenso wenig aus der Ruhe bringt wie das Erreichen des Nordpols. Fotografin Esther Horvath, die das tiefe Sonnenlicht liebt und auf dem Eis singt. Ingenieur Ulrich Hoge, der den defekten Roboterarm per 3D-Drucker repariert. Biologe Morten Iversen, der Sedimentfallen ins Meer hängt. Grafikdesigner Autun Purser, der warnt: "Die Veränderung kommt, und sie wird groß." Biologin Christina Bienhold, die den Mageninhalt einer Seegurke untersucht.
Es sind Menschen, die in ihrer knappen Freizeit in der Sauna sitzen, Wasserball spielen, auf dem Trimmrad fahren oder in der Band "The Arcwatchers" spielen. Und gerade weil sie vor der Kamera von Nils Vogt wirken wie ganz normale Leute, kommt ihre Warnung so authentisch rüber. Wenn man sogar schon am Nordpol Müll auf dem Meeresgrund findet, sollte sich dringend etwas ändern. "Gestern hat es hier geregnet und getaut", sagt Kapitän Schwarze. "Und das muss die Welt wissen."