Monets Garten als 360-Grad-Erlebnisreise in Berlin, die Kunst Frida Kahlos projiziert an Wände in einer Halle in Zürich. In Bremen können Besucher noch bis Ende Februar durch van Goghs Kunst wandern. Immersive Kunst nennt sich dieser Trend, der weltweit schon länger für Aufmerksamkeit sorgt und mittlerweile auch Deutschland erobert. Animierte Kunst, in die man dank neuester Videoprojektions-Technologien quasi eintauchen und jeden Pinselstrich genau unter die Lupe nehmen kann. Manchmal reicht auch schon der große Name, um Kunst zum Event zu machen: Ab April kann man in Bremen Werke von Banksy bewundern, die in Wirklichkeit gar nicht von Banksy sind. Replikate touren durchs Land, um große Kunst in großer Menge möglichst vielen Menschen zugänglich zu machen.
Ist das die Zukunft? Werden Ausstellungen mit Originalen verdrängt durch eine Flut an multimedialen Spektakeln? Das geht gar nicht, sagen Kritiker. Wo bleibt denn da die Aura, die ein Original-Werk versprüht? Wie soll Kunst etwas Besonderes bleiben, wenn sie beliebig reproduzierbar, sprich: austauschbar ist? Außerdem, so die kritischen Stimmen, seien die Nachbildungen oft einfach nur schlecht.
Natürlich hat es einen Beigeschmack, wenn in einer Van-Gogh-Ausstellung kein echter van Gogh hängt. Doch wenn man die zugegebenermaßen nicht unbegründeten Kritikpunkte mal einen Moment ausblendet, können solche tourenden Events durchaus Chancen mit sich bringen.
Kunst wird zum Erlebnis
Seit Jahren wird gefordert, dass Kunst sich für neue Zielgruppen öffnen, nahbarer und niedrigschwelliger werden muss. Und genau das kann durch derartige Spektakel gelingen. Wer mit großen Namen wirbt und diese fernab des Museumsbetriebes präsentiert, der wird andere Menschen an der Kasse antreffen als in den großen Kunstmuseen des Landes. Eine Umfrage bei der Van Gogh-Experience unter mehr als 5000 Besuchern im Januar diesen Jahres ergab, dass 37 Prozent der Besucher jünger als 29 Jahre alt waren. Genau die Zielgruppe, die viele Museen gerne häufiger begrüßen würden. Zum Vergleich: In den Staatlichen Museen zu Berlin lag der Altersdurchschnitt 2018 bei 47 Jahren, lediglich 15 bis 20 Prozent der Besucher, schätzt Pressereferent Markus Farr, waren unter 30.
Kunst wird schon lange nicht mehr nur im Museum betrachtet, und auch Kinofilme wie "Loving Vincent" (2017) haben aufgezeigt, wie gut sich Klassiker der Kunstgeschichte einer breiten Masse näherbringen lassen, wenn sie sich plötzlich bewegen. Das führt dazu, dass auch die Museen selbst, egal ob man nach London, New York oder Berlin blickt, verstärkt auf moderne Angebote wie immersive Räume setzen.
Die Macher der oben genannten Erlebniswelten sprechen gerne von „Blockbuster-Ausstellung“, alles ein bisschen lauter, bunter und schillernder; natürlich starbesetzt und so konzipiert, dass es möglichst vielen Leuten gefällt. Kunst wird zum Erlebnis. Man geht nicht ins Museum, man guckt Banksy.
Derartige Shows werden Museen und Originale nie ersetzen können. Sie können aber ein wichtiges Bindeglied darstellen. Für einige Besucher sind sie vielleicht der erste Berührungspunkt mit Ausstellungsformaten. Das baut Hürden ab, kann als Türöffner dienen, sich auch andere Kunstschauen anzusehen. Wer kochen lernt, startet ja in der Regel auch mit "leichter Kost", bevor er sich an die auf den ersten Blick komplizierteren Rezepte wagt.
Und es gibt weitere Aspekte, die immersiven Kunsterlebnissen und Nachbildungen durchaus ihre Berechtigung geben: Im Falle von Restitutionen - die Benin-Bronzen sind hier ein aktuelles Beispiel - kann es eine Chance sein, wenn Repliken mehr Anerkennung in der Kunstwelt erfahren. Besser eine Animation oder eine gute Kopie als leere Wände und Glasvitrinen.
Puristen mögen die Nase rümpfen, aber es ist nichts Verwerfliches daran, Repliken wie einen Zirkus durchs Land ziehen zu lassen, wenn es so gelingt, mehr Menschen für Kunst zu begeistern. Vielleicht muss man sich ein stückweit von dem Gedanken verabschieden, dass nur Originale einen kulturellen Wert haben.