Herr Bockhop, nach Ihrer Wiederwahl zum Landrat des Landkreises Diepholz im Jahr 2019 hatten Sie gesagt, dass Sie dem Landkreis die gesamte Wahlperiode erhalten bleiben würden – und gar nicht wüssten, warum Sie etwas anderes machen sollten. Was hat sich geändert?
Cord Bockhop: Die Frage, ob ich nicht noch mal etwas anderes machen wolle, verfolgt mich ja seit 2001, als ich Bürgermeister wurde. Sie war immer gepaart mit dem Zusatz „Sie wollen doch hier nicht Politik auf kleiner Ebene machen, Sie wollen doch sicher nach Hannover oder Berlin“. Ich habe aber nie den Ehrgeiz verspürt, in die „große“ Politik gehen zu wollen. Auch nicht 2019. Denn ich habe mich nie parteipolitisch engagiert. Und Berlin hätte mich überhaupt nicht gereizt. Aber unverhofft kommt oft, und wer kann denn im Jahr 2019 damit rechnen, dass 2024, fünf Jahre später, ein Angebot kommt, jetzt noch mal etwas ganz anderes zu machen. Das kam für mich sehr plötzlich und unerwartet.
Wie geht es für Sie jetzt weiter?
Der Sparkassenverband hat insbesondere drei Aufgaben: erstens die Interessenvertretung des Verbandes gegenüber der Landes- und Bundespolitik sowie anderen Verbänden. Zweitens gilt es auch die verschiedenen Beteiligungen, wie an der Nord-LB, zu managen. Erfahrungen im Beteiligungsmanagement waren deshalb bei der Stellenausschreibung besonders gefragt. Dritter Punkt ist wohl die Hauptaufgabe, denn der Sparkassenverband ist ein ganz großer Dienstleister und Partner für die einzelnen Sparkassen. Die Anforderungen an die Banken, die Regulatorik, werden immer größer und aufwändiger. Auch wenn ich jetzt an die Transformation denke: Strom, Leitungen, viele Windräder; das kann nicht jede Sparkasse alleine. Je kleiner eine Sparkasse ist, desto schwerer hat sie es, bestimmte Aufgaben, für die vielleicht nur eine einzelne Person ausgebildet ist, zu erfüllen. Diese Aufgaben sollten gebündelt und beispielsweise als Dienstleistung an die einzelnen Sparkassen gegeben werden. Der Verband fördert auch Kultur durch die Arbeit der Sparkassenstiftung zusammen mit der VGH-Stiftung. Ich leite also zukünftig keine Sparkasse, sondern eine Organisation mit diesen Aufgaben für Sparkassen. Privat bleiben wir in Heiligenrode wohnen, aber es führt kein Weg um eine Wohnung in Hannover herum. Man könnte ganz viel durch die Gegend fahren, aber ich möchte den CO2-Abdruck nicht unnötig vergrößern und die Zeit sinnvoller verwenden.
Um noch einmal Bilanz zu ziehen: Was war das Besondere für Sie im zurückliegenden Jahr 2023?
Das Besondere war in meinen Augen, dass wir wieder in der Normalität angekommen sind. Corona hatte uns sehr aus der Bahn geworfen; man musste doch alles immer neu denken. Im abgelaufenen Jahr konnten wir vieles wieder in normale Bahnen lenken, aber an vielen Stellen hat sich auch einiges verändert. Wir haben hausintern sehr viel investiert, um die Digitalisierung voranzubringen. Datenmanagement und Ausstattung der Arbeitsplätze mit Laptops sind sehr weit vorangeschritten, das soll alles im Sommer abgeschlossen sein. Bei den anderen Themen, die ins Stocken geraten waren, ist es ähnlich: Wie beim Breitband, das ist alles wieder in einen normalen Lauf gekommen. Die Türen gegenüber den Bürgern sind wieder aufgegangen. Vorher musste man ja sehr auf den Selbstschutz achten. Normale Lebensfreude und Freude an der Begegnung sind wieder eingekehrt.
Und was war die größte Herausforderung?
Im vergangenen Jahr war es aus meiner Sicht tatsächlich die Masse an Aktivitäten in Sachen Schule. Digitalpakt – hier bauen, da bauen, dort aufstocken, Förderschule angehen; da sind wir noch nicht fertig, und das Land hat die Vorgaben für die Ganztagsschule immer noch nicht gemacht. Jedes Jahr investieren wir zweistellige Millionenbeträge in den Bereich Schule. Wenn wir etwas fertig haben, geht es manchmal schon gleich wieder weiter. In Twistringen haben wir gerade die Oberschule gebaut, jetzt bauen wir die Mensa. Das bringt uns schon an die Grenze des Leistbaren. Als Träger der Jugendhilfe ist der Landkreis jetzt plötzlich auch für die Grundschule zuständig, weil das Land den Ganztag beschließt. Und bisher musste sich der Landkreis auch nicht mit Inklusion in den Grundschulen befassen. Das kommt jetzt alles in Abstimmung mit den Gemeinden. Aber: Wir könnten noch doppelt so viel bauen, und es ist trotzdem nicht genug. Weil sich der Bedarf im schulischen Bereich so rasant ändert. Wir beschäftigen uns so viel mit Beton, aber die Pisa-Ergebnisse sind trotzdem katastrophal. Geld allein lernt nicht und lehrt auch nicht. Wir brauchen mehr Unterrichtsstunden – das ist allerdings nicht unsere Baustelle.
Welche Projekte konnten Sie abschließen, welche laufen noch? Und können Sie die bis zu Ihrem Ausscheiden im kommenden Sommer zu Ende bringen?
Ich werde nichts mehr vorantreiben müssen, was unbedingt bis dahin fertig werden muss. Denn alles läuft. Die Kollegen im Amt haben mir zu verstehen gegeben, ich hätte ja in den letzten Monaten schon ziemlich Dampf gemacht, und aktuell wäre alles im Zeitplan. Wir werden ja auch nur eine ziemlich kurze Vakanz haben. Ich gehe von Juli bis zu einer Wahl im September aus, das ist meine Einschätzung. Dann könnte schon im Oktober ein neuer Landrat oder eine neue Landrätin da sein. Drei Monate Vakanz, das müsste hinzukriegen sein.
Das neue Zentralklinikum in Borwede werden Sie aber nicht bis Juni fertig haben.
Aber es läuft. Ich gehe davon aus, dass wir vielleicht einen ersten Spatenstich vor dem 1. Juli hinkriegen. Das wäre mir eine große Freude, auch wenn es nur symbolisch ist. Die derzeitigen sichtbaren Erdarbeiten dort sind nur archäologisch bedingt. Mein Steckenpferd sind eben Terminpläne. Ich frage dabei nicht, was wir morgen machen, sondern: Wann muss es fertig sein? Und dann rechne ich zurück. Diese Zeitpläne habe ich in meinen Wiedervorlagen liegen und gucke regelmäßig, wie weit sind wir. Das hat mir schon scherzhafte Vergleiche mit einem Treiber eingebracht. Der Kreistag hat mir allerdings vertrauensvoll dieses Treiben ermöglicht. Denn Geschwindigkeit spart Geld, Geschwindigkeit bringt Geld. Langsamkeit und lange Prozesse kosten Geld und Nerven.
Gibt es neue Entwicklungen zu den drei bisherigen Krankenhausstandorten?
In Sulingen werden wir etwas aufbauen mit dem Statamed-Projekt, das schon läuft und das wir stabilisieren werden. Ob wir es aber langfristig an genau dem Standort des Krankenhauses machen werden, das muss sich entwickeln. Wir werden auch im Bereich des Krankenhauses Diepholz etwas machen, dort ist aber die Versorgungssituation schon etwas anders als in Sulingen. Und wir haben einen Fuß in der Tür in Hannover in Bezug auf die Psychiatrie in Bassum: Vergrößerung und auch Ausweitung sind angesprochen. Denn der Bedarf ist da, und wir haben in Bassum nicht nur Patientenzimmer, sondern auch Operationssäle. Psychiatrisch Erkrankte könnten dort vielleicht eines Tages operiert werden. Das werden wir ab 2028 weiter entwickeln. Ob wir dazu das gesamte Gebäude brauchen, steht auch noch nicht fest.
Wann und wie wird der Breitbandausbau fertig? Was wird aus der „zweiten Säule“, denjenigen Haushalten, die heute zwar schon 30 oder 50 MB haben, aber sicherlich irgendwann mehr brauchen?
Mit dem Ausbau der weißen Flecken ist GVG/Nordisch-Net Ende Januar fertig. Auch die Tiefbauarbeiten beim letzten Baulos in und um Twistringen sind abgeschlossen. Jetzt muss es abgenommen werden. Die schwarzen Flecken lohnen sich für GVG ebenfalls, weil sie das Netz vom Landkreis pachten und daran andocken. Dass sie dort investieren, dafür sind wir sehr dankbar. Bleiben die grauen Flecken und die 800 Einzellagen: Denen nähern wir uns ab 2024. Bei den grauen Flecken müssen wir die Folgen der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts respektieren, aber die Einzellagen gehen wir an. Da müssen wir jeden Einzelfall anschauen und gucken, ob wir einen Mast setzen oder wie wir es angehen. Jeder bekommt einmal das Angebot, sich an Breitband anschließen zu lassen. Auch für den Mobilfunkbereich kommen weitere Sendemasten.
Wie steht es um den ÖPNV und was wurde aus der Aktion „50.000 Euro je Kommune zur Anbindung an die Landesbuslinien“? Bisher gibt es eine zusätzliche Linie von Gödestorf nach Syke.
Ja, das geht weiter, soweit die Gemeinden das wollen. Da sind wir verlässlich. Syke und Bruchhausen-Vilsen nutzen das mehr als beispielsweise Siedenburg. Die Gemeinden müssen ja auch einen Eigenanteil beitragen. Neben dem Angebot braucht es aber auch eine Akzeptanz: Man muss einen Busunternehmer finden und der braucht neben dem Bus auch einen Fahrer. Den zu finden, wird zunehmend schwieriger. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass wir die Schienentrassen behalten. Denn vielleicht wird dort irgendwann das erste autonome Fahrzeug von Bassum nach Sulingen fahren. Das wäre besser, als wenn es vielleicht auf der B 51 fährt. Solche Dinge werden kommen; wir werden für das Pendeln von A nach B irgendwann kein Personal mehr finden.
Beim Thema Umwelt- und Klimaschutz hat sich der Landkreis besonders für seine Moore stark gemacht. Sie hatten 2020 den Wunsch geäußert, dass diese dann auch wieder von Schafen beweidet werden könnten. Wie passt das jetzt mit der aktuellen Situation zusammen, da es auch immer mehr Wolfssichtungen und -nachweise im Landkreis gibt?
Wir müssen mit dem Wolf leben, aber nicht mit jedem Wolf. Das Thema Wolf ist gerade auch für die Beweidung der Moore eine echte Belastung. Nicht nur für die Schafe, auch für die Schäfer. Jedem, der für den Wolf kämpft, möchte ich sagen: Das ist kein Spaß, angefressene, noch lebende Schafe zu sehen, die zitternd dastehen mit Löchern. Das sind auch Tiere. Und wenn wir Moore haben wollen, die nicht mit großen Maschinen beackert werden, sondern von Schafen beweidet werden sollen, dann muss das Land sich überlegen, wie man das entsprechend entschädigt und wie man die Schafe schützt. Beweidung wäre schön, wichtiger ist mir noch, dass wir das Moor weiterentwickeln und auch über großflächige Wiedervernässung sprechen. Aber in Zusammenarbeit mit den Menschen, die dort wohnen. Die Lebenswirklichkeit im ländlichen Raum darf nicht durch Umfragen in städtischen Fußgängerzonen bestimmt werden. Sondern von den Menschen, die hier leben.
Wie steht es um Neubaugebiete, aber auch um das Bauen im Bestand? Gibt es praktikable Möglichkeiten, aufgegebene landwirtschaftliche Gebäude zu sanieren und umzunutzen als Wohnraum?
Wir brauchen mehr Wohnraum. Wir müssen Neubau haben, aber wir müssen auch den Bestand erhalten, das wird bisher viel zu wenig gesehen. Da haben wir im Moment viel zu hohe Auflagen, aber die Wirklichkeit wird uns einholen. Wir müssen Kompromisse ermöglichen, denn nicht in jedem Altbau wird eine Wärmepumpe funktionieren. Wenn man dann auch noch neue Fenster und ein neues Dach braucht, lässt man das alte Gebäude eher leer stehen. So verlieren wir Wohnraum. Dort, wo man Fundament und Mauern hat und kann in Eigenleistung beispielsweise den Dachgeschossausbau machen, muss das möglich gemacht werden. Unsere Baugenehmigungsbehörde heißt zurecht so, aber wir müssen uns auch an Recht und Gesetz halten.
Was wünschen Sie sich für das neue Jahr?
Eintracht. Einträchtiges Miteinander; das wünsche ich mir nicht nur für mich, sondern dass es sich auch die anderen Menschen wünschen.
Das Interview führte Sabine Lüers-Grulke.