Die CDU-Spitzen im Landkreis Osterholz sagen, sie haben lange mit sich gerungen, ob sie den Brief schreiben, wie sie ihn formulieren und wann sie ihn veröffentlichen. Und dann fuhr ihnen Parteichef Friedrich Merz mit haltlosen Behauptungen zum Zahnersatz in die Parade. Sekunde und Albrecht versichern, sie wollten keinen Rechtsruck befördern, sondern richtig verstanden werden. Und der Ansatz ist ja ehrenwert: Wenn die Benennung von Problemen ein Tabu ist, dann haben wir ein Problem. Das hat NRW-Sozialminister Karl-Josef Laumann (CDU) in seiner Erwiderung zu Merz ganz ohne Ressentiment klargestellt. Die Frage ist nur: Ist das Problem im offenen Brief der Kreis-CDU zutreffend benannt oder nur vage skizziert?
Sicher gibt es Missmut und diffuse Ängste, die der Begriff der Migrationskrise noch befeuert. Und auf jeden Fall brauchen die Kommunen mehr Hilfe. Viel zu wenig aber ist von den Eingliederungserfolgen die Rede und von Fluchtursachen; von den Chancen in Zeiten des Arbeitskräftemangels und von unnötigen Integrationshürden deutscher Gesetze. Lieber wird, als ob eine Invasion drohe, auch dort nach schnellen Lösungen gerufen, wo sich ein kurzer Prozess verbietet. Die Genfer Konvention erlaubt es nun mal, einen Asylantrag zu stellen, zu dessen individueller Prüfung der aufnehmende Staat verpflichtet bleibt – unabhängig von schärferen Grenzkontrollen oder gefängnisähnlichen Rückkehrzentren, die der CDU-Brief nicht näher konkretisiert.
Zur Wahrheit gehört auch: Von den derzeit gut 279.000 Menschen, die in Deutschland als ausreisepflichtig gelten, haben 81 Prozent eine vollkommen rechtmäßige Duldung – und zwar vor allem, weil die Herkunftsstaaten sie ablehnen oder bedrohen. Allenfalls fünf Prozent der Geflohenen kommen aus sicheren Heimatländern. Ob es vertretbar und hilfreich ist, die Liste dieser Länder um Tunesien, Algerien und Marokko zu erweitern, ist eine seit Monaten offene Frage. Sicher ist nur: Es braucht bilaterale Deals oder multilaterale Abkommen.
Nationale Alleingänge sind ohne Verrat an eigenen Werten wie Rechtsstaatlichkeit oder ohne Appell an niedere Instinkte kaum möglich: Die Reduktion von Geldleistungen auf das Nötigste (ein Taschengeld von 182 Euro) schafft zum Beispiel neue Bürokratie, ohne die alten Probleme zu lösen. Und eine Senkung der Gesamtleistung (derzeit 410 Euro) unter das Existenzminimum ist nun mal vom Bundesverfassungsgericht untersagt.
Seit Jahren ringt die EU um eine Asylreform, aber Demokratie ist ein langsamer, mühsamer Prozess. Dublin ist gescheitert, eine Alternative (noch) nicht in Sicht. Die Südeuropäer winken durch, die Osteuropäer blocken ab. In dieser Situation ist der Brief der Union sicher ein nützliches Ventil für allgemeines Misstrauen, Verlustängste und Unbehagen, aber ob er in der Sache weiterhilft, muss bezweifelt werden. Und ob es die CDU nun beabsichtigt hat oder nicht: Bei so viel Systemskepsis dürften sich die Populisten von der AfD bestätigt fühlen.