Wie umgehen mit der Fußballsaison? Wie entscheiden, in einer Situation, in der es faktisch ausgeschlossen ist, es allen Recht machen zu können? Der niedersächsische Fußballverband hat einen durchaus lobenswerten Weg eingeschlagen und die Basis direkt beteiligt am Entscheidungsprozess. In einer landesweiten Umfrage hat der NFV alle seine Vereine kontaktiert und um deren Meinung gebeten (siehe nebenstehender Text).
Und wenn man ehrlich ist, muss man sagen: Das Ergebnis war wenig überraschend. Von den rund 2600 Vereinen gaben 1649 ihre Stimme ab. Davon votierten 448 für den Vorschlag des NFV-Verbandsvorstandes, die Saison ab dem Zeitraum 15. August bis 1. September fortzusetzen. 1119 Klubs sprachen sich dagegen aus. Nach demokratischer Herangehensweise muss man also festhalten: Eine absolute Mehrheit von fast 68 Prozent will die Saison lieber sofort und komplett beenden.
Das Problem an dem so lobenswerten Weg des Verbandes: Er hat seinen Vorschlag im Vorfeld überaus schlecht kommuniziert. Schlimmer noch: Bereits bevor die offizielle Verkündung Anfang vergangener Woche über die NFV-Kanäle verbreitet wurde, hatten verschiedene Zeitungen und Online-Medien darüber berichtet. Kurz nachdem die entscheidende Videokonferenz der Funktionäre stattgefunden hatte. So wurde ein Wochenende lang wild spekuliert und diskutiert, ehe der Verband sich schließlich offiziell zu Wort meldete. Die an sich gute Idee von der Saisonunterbrechung war somit längst von kritischen Wortmeldungen überrollt worden. Und solch ein Effekt lässt sich im Zeitalter der „sozialen Medien“ dann auch nicht mehr korrigieren.
Dabei hätte die Idee der Saisonunterbrechung sehr viele positive Nebeneffekte gehabt. Man muss in diesem Zusammenhang auch gar nicht mehr damit argumentieren, dass es sportlich die sauberste Lösung ist, eine Saison wirklich faktisch auch zu Ende zu bringen. Das versteht wohl jeder. Nein, der größte Nutzen hätte tatsächlich darin gelegen, was viele Kritiker als eine der größten Schwachstellen ausgemacht hatten.
Wenn ab Mitte August nämlich tatsächlich wieder gespielt werden dürfte, vielleicht sogar dauerhaft, dann hätte man die jetzige Spielzeit (2019/2020) bis Dezember 2020 zu Ende bringen können. Auch bei dem einen oder anderen witterungsbedingten Ausfall wäre das möglich gewesen. Wenn aber – und damit ist nach heutigem Stand ja viel eher zu rechnen – die Corona-Zahlen wieder steigen werden (Stichwort: zweite und dritte Welle), dann hätte man ohne großen Zeitdruck die Saison wieder unterbrechen können. Faktisch hätte man Zeit bis 30. Juni 2021 gehabt, um die jetzige Spielzeit in Ruhe zu beenden.
Jetzt mögen die Kritiker sagen: Aber was ist mit Spielerwechseln im Sommer? Was ist mit den Trainern, die den Verein verlassen? Ehrlich gesagt: Diese Thematik wäre doch bei einer einheitlichen Behandlung der Saisonunterbrechung gar nicht existent. Denn jeder Spieler und jeder Trainer sagt doch für eine komplette Saison zu! Und sollte seinen Verein auch erst mit Ende dieser Saison verlassen. Wenn die Spielzeit aber nach einer kollektiven Unterbrechung irgendwann auch einheitlich zu Ende gespielt wird, ist ein Vereinswechsel doch auch erst nach der Saison ein Thema. Niemand hätte also einen Nachteil. Und am Ende ist es dann doch völlig egal, ob man bis Juni oder bis Dezember bei einem Verein bleibt, um die Saison zu Ende zu spielen. Die Wechselfristen würden angepasst werden und die Spieler und Trainer würden dann eben Ende Dezember (oder Januar, oder Februar) wechseln.
Weiterer Kritikpunkt: Spieler wechseln nach den Sommerferien den Wohnort, somit verändert sich die Zusammensetzung des Kaders. Auch hier sollte man die Kirche im Dorf lassen: Heutzutage wechseln die Spieler nämlich permanent die Vereine. Im Sommer, im Winter, sogar schon nach der Vorbereitung, weil sie glauben, dass sie keinen Stammplatz kriegen. Das Wintersemester beginnt im Oktober, das Sommersemester im April. Zu diesen Zeiten verlassen seit jeher die Studenten ihre Teams. Ein einheitliches Kaderbild über eine ganze Spielzeit gibt es heutzutage so oder so nicht mehr. Ein wirklich entscheidendes Kriterium ist dieses Argument also auch nicht. Und das wäre es demnach auch nicht, wenn man die aktuelle Saison über den Sommer hinaus weiterspielen lassen würde.
Der größte Pluspunkt einer Saisonunterbrechung, der allerdings in der jüngsten Diskussion beinahe komplett untergegangen ist, wäre aber ein anderer. Es ist ein Argument, das im Prinzip alle umtreibt: Was, wenn auch im August immer noch kein Fußball gespielt werden darf? Oder – Stichwort zweite Welle – erneut kein Fußball gespielt werden darf? Man hat in der aktuellen Diskussion ein wenig das Gefühl, als ob die meisten Aktiven denken: Wir brechen jetzt einfach ab und dann sind die Sorgen bis August schon irgendwie verschwunden. Das Problem ist: Das werden sie nicht.
Vielmehr wird es kaum möglich sein, eine vernünftige Vorbereitung ab Anfang Juli zu spielen. Das bedeutet, der Saisonstart ist dann schon wieder vorbelastet. Viele werden dann meckern, wenn man zwar nicht trainieren darf, aber im August in die neue Saison starten soll. Und wie geht es dann weiter? Man stelle sich vor, die Saison wird nach wenigen Spieltagen erneut unterbrochen, oder noch schlimmer: Sie wird gar nicht erst gestartet. Dann befindet man sich ganz schnell in einer Zeitschleife. Denn dann kommt der Oktober und der November, die wetterbedingten Ausfälle, die kalte Jahreszeit – und ruckzuck steht man genau da, wo man jetzt steht. Mitten in einer angebrochenen Saison und ohne echte Chance, diese regulär zu Ende zu spielen.
Aus diesem Grund wäre es ideal gewesen, die Saison zu unterbrechen und später fortzusetzen. Wäre das bis Ende Dezember gelungen, hätte man einfach im März oder April die neue Spielzeit gestartet, wohl wissend, dass es ganz bestimmt noch die eine oder andere Corona-Auszeit geben wird. Man hätte also praktisch drei Halbserien für die nächste Serie Zeit gehabt: Frühjahr 2021 und dann die Saison 2021/2022, um die kommende Spielzeit zu spielen.
Und wenn dieses Jahr tatsächlich gar kein Fußball mehr gespielt werden darf, dann hätte man ganz einfach im kommenden Frühjahr die jetzige Saison wieder aufgreifen und zu Ende spielen können. So oder so: Die ganze Situation wäre einzig und allein durch eine Saisonunterbrechung dauerhaft entzerrt worden. Jetzt aber ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass man im Oktober schon wieder ein großes Problem vor sich herschiebt – und vielleicht über den nächsten Saisonabbruch diskutieren muss.
Erschreckende Quote
Wie auch immer: Die Chance ist vertan. Der Verband wird es sich kaum leisten können, gegen zwei Drittel seiner Vereine zu entscheiden. Das Problem dabei war ja von vornherein: Zwei Drittel aller Vereine stehen derzeit jenseits von Gut und Böse. Für die allermeisten Klubs hat ein Saisonabbruch erst einmal überhaupt keine Folgen. Die Kurzsichtigkeit eines jetzigen Abbruchs wurde vom Verband hingegen leider nicht entsprechend kommuniziert. Deshalb überrascht das jetzige Stimmungsbild in keinster Weise.
Übrigens muss in diesem Zusammenhang noch ein anderer Gedanke erlaubt sein: Wieso um alles in der Welt beteiligen sich bei einer solch wichtigen Entscheidung eigentlich bloß 1649 von rund 2600 Vereinen? Es ist die vielleicht wichtigste Entscheidung der vergangenen 70 Jahre im Amateurfußball – und fast 36 Prozent aller Vereine melden sich überhaupt nicht? Man kann nur hoffen, dass diese Vereine sich jetzt auch in den kommenden Wochen mit jeglicher Meinungsäußerung zurückhalten werden. Nämlich dann, wenn der Verband dann tatsächlich eine konkrete Entscheidung verkündet – die dann sicherlich wieder einigen nicht schmecken wird.
Am Ende ist es vor allem aber auch ein Problem der Zuständigkeiten. Da jeder Landesverband eine eigene Entscheidung fällen darf, ist das Chaos ohnehin kaum zu verhindern. Der DFB hätte hier zwingend einen einheitlichen Weg vorgeben und anstreben müssen. Dann, aber auch nur dann, wäre eine Saisonunterbrechung definitiv die fairste und beste Lösung für alle gewesen.
„Sortieren und intensiv erörtern“
Niedersachsens Fußballvereine haben sich mehrheitlich für einen Abbruch der derzeit wegen der Corona-Pandemie unterbrochenen Spielzeit ausgesprochen. Dies ergab eine Umfrage, die von Sonnabend (18. April) bis Mittwoch (22. April) in allen 33 NFV-Kreisen vorgenommen wurde. Von den rund 2600 Vereinen gaben 1649 ihre Stimme ab. Davon votierten 448 für den Vorschlag des NFV-Verbandsvorstandes, die Saison – soweit es die staatlichen Verfügungen zulassen – ab dem Zeitraum 15. August bis 1. September fortzusetzen. 1119 Klubs sprachen sich dagegen aus, 83 Klubs enthielten sich.
„Ich danke allen Vorstandskollegen und Vereinen für das in dem engen Zeitfenster erhobene Meinungsbild. Es gehört zur gegenseitigen Wertschätzung, unterschiedliche Interessen und Standpunkte auszutauschen und zu respektieren“, erklärte NFV-Präsident Günter Distelrath. Die Erfahrungen, Eindrücke und Aussagen, die die Kreisvorsitzenden im direkten Austausch mit ihren Vereinen gesammelt haben, sowie die direkt in der Barsinghäuser NFV-Verwaltung eingegangenen Meinungen waren Gegenstand der telefonischen Verbandsvorstandssitzung.
Dabei zeigte sich, dass bei den Vereinen ein sehr heterogenes Meinungsbild mit einer Vielzahl von Vorschlägen und Szenarien vorherrscht. „Diese werden wir jetzt sortieren, intensiv erörtern und zu einer überschaubaren Anzahl von konkreten Vorschlägen zusammenfassen“, erklärte Distelrath. Dabei würde sich der Verband weiterhin an den behördlichen Entscheidungen orientieren. „Wir müssen sehen, welche Anordnungen für Niedersachsen wirksam werden. Diese berücksichtigen wir natürlich bei unseren Überlegungen“, sagte der NFV-Präsident. Der NFV-Verbandsvorstand wird sich am heutigen Dienstag zu einem erneuten Austausch treffen, um über die weitere Vorgehensweise zu beraten.