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Redaktions-Zweikampf KONTRA! Der falsche Ansatz

KONTRA: Sportredakteur Tobias Dohr über mögliche Risiken der beschlossenen Spielreform im Kinderfußball
24.02.2022, 09:25 Uhr
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KONTRA! Der falsche Ansatz
Von Tobias Dohr

In unserer neuen Rubrik "Redaktions-Zweikampf" nehmen zwei Sportredakteure ganz bewusst gegensätzliche Standpunkte ein. Ziel ist es, ein aktuelles Thema aus zwei unterschiedlichen Blickrichtungen zu betrachten – um damit zu verdeutlichen, wie kontrovers gewisse Themen angegangen werden können und wie wichtig es ist, beide Seiten einer Medaille zu betrachten. In der aktuellen Ausgabe widmen sich die Sportredakteure Thorin Mentrup und Tobias Dohr der beschlossenen Spielreform im Kinderfußball:

Entflohene Ritter fangen, Piratenschätze in Sicherheit bringen oder durch den Supermarkt dribbeln – Fußball kann und muss so viel mehr sein als nur Laufen und Passen. Gerade im frühesten Alter ist Kreativität gefragt im Umgang mit den jüngsten Fußballerinnen und Fußballern. Spaß vermitteln ist die Hauptaufgabe eines Übungsleiters, der in den ersten Jahren eher ein Animateur als ein Fußballtheoretiker sein sollte. Dennoch weiß ich aus eigener Erfahrung, dass es am Ende auch einem sechsjährigen Kicker vor allem um eins geht: Toreschießen und den großen Idolen nacheifern.

Seit knapp sechs Jahren trainiere ich nun schon eine Jugendmannschaft. Es gab in den ersten Monaten exakt zwei Positionen, die mit Abstand am begehrtesten waren: Stürmer und Torwart. Alle wollten am liebsten das: Tore schießen und Tore verhindern – es ist und bleibt die Essenz des Fußballs. Mit der neuen Reform wird den Kindern das ein Stück weit genommen. Egal, wie viel Spaß wir im Training mit kreativen und alternativen Spielformen hatten – am Ende ging es um was anderes. „Wann spielen wir auf große Tore?“ oder „Kann ich heute mal ins Tor gehen?“ Das waren die Fragen, die in jedem Training gestellt wurden – dutzendfach.

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Die Idee von Kleinfeldspielen ist super. Sie ist sogar unabdingbar in einem ganzheitlichen Trainingsansatz, sollte immer wieder Inhalt sein. Die Vorteile liegen auf der Hand. Dieses Spielsystem aber in der G- und F-Jugend anstelle von Meisterrunden als alleinigen Ansatz zu empfehlen, geht am Ziel vorbei. Und es birgt auch noch ganz andere Risiken, die auf den ersten Blick vielleicht nicht so ins Auge fallen.

Wenn bei einem Turnier auf vier Feldern gleichzeitig gespielt wird, benötigt ein Verein eigentlich auch vier Trainer oder Betreuer. Es ist aber oft schwer genug, überhaupt einen adäquat ausgebildeten Coach zu bekommen. Das Resultat wird sein, dass sich Eltern an den einzelnen Feldern aufhalten und betreuend eingreifen. Aus langjähriger Erfahrung weiß man, dass das am Ende höchst kontraproduktiv sein könnte. Zudem wird ein Verein nur selten in der Lage sein, ausreichend Minitore für ein sogenanntes „Festival“ zur Verfügung zu stellen. Hütchen- oder Stangentore werden die Alternative sein. Nichts ersetzt aber das Gefühl, den Ball im Netz zappeln zu sehen – gerade im ganz jungen Alter.

Es darf zudem bezweifelt werden, dass die Trainer die Teams – so wie angedacht – wirklich durchmischen. Es ist doch viel einfacher, die stärkeren Spieler in einem Dreier- oder Viererteam zusammenzustecken und die schwächeren in einem anderen. Doch in der D-Jugend, wenn es dann aufs 9er-Feld geht, müssen alle wieder zusammen in einer Mannschaft spielen. Ob das neue System dafür sorgt, Leistungsunterschiede zu minimieren und Teams ganzheitlich zu entwickeln, darf angezweifelt werden. Individuell starke Spieler sind auf einem Zweier- oder Dreierfeld zudem kaum noch zu stoppen, die Gefahr von vielen Sololäufen ist groß.

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Die allermeisten Kinder suchen den Wettbewerb, wollen den Wettbewerb. Sie möchten sich miteinander und mit einem Gegner messen, möchten Siege feiern. Das prägt den Charakter ebenso wie Niederlagen, die ebenfalls zum Sport dazugehören. Dass durch das neue System die leistungsschwächeren Spieler automatisch besser integriert und entwickelt werden und längerfristig beim Fußball bleiben, ist ein Trugschluss.

Denn wenn es einem Trainer ausschließlich ums Gewinnen geht, dann wird sich nichts ändern. Gar nichts. Es war nicht das alte System, das einzelne Kinder ausgeschlossen hat, es waren und sind Übungsleiter, die in den frühen Jahren zu sehr auf den Erfolg schauen. An der Herangehensweise dieser Trainerinnen und Trainer wird sich vermutlich nicht viel ändern – leider. Sie werden auch weiterhin in erster Linie auf die leistungsstarken Akteure setzen und die schwächeren eher mit durchschleppen als zu fördern.

Viel wichtiger als eine Spielreform wäre deshalb eine bundesweite Initiative für die Fort- und Ausbildung von Trainern im Kinder- und Jugendbereich gewesen. Damit diese den Spaß endlich so vermitteln, wie es in den Anfangsjahren sein soll. Ganz viel vom Rest kommt dann wie von allein.

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In unserer neuen Rubrik "Redaktions-Zweikampf" nehmen zwei Sportredakteure ganz bewusst gegensätzliche Standpunkte ein. Ziel ist es, ein aktuelles Thema aus zwei unterschiedlichen Blickrichtungen zu betrachten – um damit zu verdeutlichen, wie kontrovers gewisse Themen angegangen werden können und wie wichtig es ist, beide Seiten einer Medaille zu betrachten. In der aktuellen Ausgabe widmen sich die Sportredakteure Thorin Mentrup und Tobias Dohr der beschlossenen Spielreform im Kinderfußball.

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