Der hohe Norden drückt aufs Tempo. Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) will die Küstenautobahn A 20 so schnell wie möglich von Bad Segeberg bis zur Elbe bei Glückstadt weiterbauen lassen. Noch in dieser Woche starten er und sein Wirtschaftsminister Claus Ruhe Madsen (parteilos) laut Staatskanzlei in Kiel bei Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) einen Vorstoß zur Priorisierung des Projekts.
Damit verärgert der Regierungschef nicht nur seinen grünen Koalitionspartner, sondern macht auch Druck auf das Nachbarland Niedersachsen. Hier ist der rund 120 Kilometer lange Abschnitt der A 20 von Westerstede bis zur Elbe bei Drochtersen in der rot-grünen Landesregierung ebenfalls höchst umstritten.
Niedersachsens Verkehrsminister hält neue Autobahnen wie A20 für unverzichtbar
Während Niedersachsens SPD, allen voran ihr Verkehrsminister Olaf Lies, neue Autobahnen wie die A 20 oder die A 39 zwischen Wolfsburg und Lüneburg für die wirtschaftliche Entwicklung Niedersachsens als unverzichtbar hält, lehnen die Grünen solche neuen Betonpisten als klimaschädlich und viel zu teuer ab.

Der geplante Verlauf der Küstenautobahn A 20.
In seinem Koalitionsvertrag hat das junge Bündnis aus Genossen und Öko-Partei aber den großen Zankapfel geschickt umschifft. Die Partner verweisen einfach auf die „Verantwortung des Bundes“. Bei den ausstehenden gesetzlich vorgeschriebenen Bedarfsplanüberprüfungen werde man neben der wirtschaftlichen und verkehrlichen Entwicklung auch die Anforderungen des Klimaschutzes berücksichtigen, heißt es in dem Bündnis-Papier. Sollte nun aber Bundesminister Wissing der Forderung aus Schleswig-Holstein nachkommen und die Küstenautobahn in der politischen Vordringlichkeit hochstufen, könnte es schnell mit diesem rot-grünen Burgfrieden vorbei sein.
Anders als die Grünen in Niedersachsen haben sich deren Parteifreunde nördlich der Elbe für eine Regierungsbeteiligung ein recht deutliches Ja zum 73 Kilometer langen Autobahnbogen weit um Hamburg herum abringen lassen.
„Für die Entwicklung Schleswig-Holsteins bekennen wir uns dazu, dass die A 20, wie im aktuellen Bundesverkehrswegeplan vorgesehen, auf der geplanten Trasse gebaut wird“, heißt es unmissverständlich auf Seite 196 des im Juni zwischen CDU und Grünen geschlossenen Koalitionsvertrags. Und weiter: „Wenn Planungen für die Trasse rechtskräftig sind, werden sie umgesetzt. Wenn für einen Streckenabschnitt Baurecht vorliegt, wird dieser realisiert.“
Verkehrsminister Madsen verweist auf die weit fortgeschrittenen Planungen und die Erwartungen der von Staus geplagten Autofahrer: „Ein bisschen weniger diskutieren, lieber schneller umsetzen.“
Grüne-Jugend aus Schleswig-Holstein und Niedersachsen gegen A20
Doch davon wollen die Landtagsgrünen in Kiel nicht mehr viel wissen. Man habe die A 20 immer als eines der „teuersten und klimaschädlichsten Projekte im Bundesverkehrswegeplan“ abgelehnt, widerspricht Fraktionschef Lasse Petersdotter offen seinem Ministerpräsidenten. Ins gleiche Horn stößt Johanna Schierloh, Vorsitzende der Grünen Jugend in Schleswig-Holstein. „Über 90.000 Tonnen Kohlendioxid würden durch diese Autobahn jährlich freigesetzt. Das ist angesichts der eskalierenden Klimakrise fatal und politisch nicht zu verantworten“, sagt Schierloh im Gespräch mit dem WESER-KURIER.
Sie fordert einen sofortigen Planungsstopp: „Ein Weiterbau der A 20 ist aus der Zeit gefallen und widerspricht den selbst gesetzten Klimazielen der Bundes- und Landesregierungen.“ Ministerpräsident Günther dürfe seine Augen vor diesem klimapolitischen Desaster nicht länger verschließen. „Die CDU-Politik der Lippenbekenntnisse beim Klimaschutz muss endlich aufhören.“

Nein zur A 20: die Grüne-Jugend-Chefs von Schleswig-Holstein und Niedersachsen, Johanna Schierloh und Felix Hötker.
Schützenhilfe bekommt Schierloh von ihrem niedersächsischen Amtskollegen Felix Hötker. „Es ist realitätsfern, inmitten der Klimakrise bis zu sieben Milliarden Euro für eine Autobahn auszugeben. Dieses Geld fehlt beim Ausbau von Bus, Bahn und Schiene.“ Dabei richtet sich Hötker explizit auch an den hiesigen Koalitionspartner: „Es braucht zwingend ein Umdenken bei der niedersächsischen SPD.“ Die Landesregierung müsse die Berücksichtigung von Klimaschutz bei allen neuen Überprüfungen von Bundesfernstraßen konsequent einfordern, fordert Hötker. „Wir lassen nicht zu, dass unsere Zukunft auf Jahrzehnte zuasphaltiert wird.“ Daher werde die Grüne Jugend auch weiterhin die vielfältigen Proteste gegen den Ausbau der A 20 unterstützen.
Die FDP in Schleswig-Holstein, bis Mai in einem Jamaika-Bündnis mit CDU und Grünen verbunden, legt derweil den Finger in die Kieler Koalitionswunde. In einem Antrag für die Landtagssitzung am Mittwoch fordert die Oppositionsfraktion von Schwarz-Grün „ein klares Bekenntnis zum Weiterbau“ der Küstenautobahn. „Wir geben dem Ministerpräsidenten die Gelegenheit, eine eigene Parlamentsmehrheit für den Weiterbau der A 20 zu dokumentieren“, meint Fraktionschef Christopher Vogt süffisant. „Wer soll Daniel Günther und seinen Verkehrsminister in Berlin eigentlich ernst nehmen, wenn sie in der eigenen Koalition keinen Rückhalt für das wichtigste Verkehrsprojekt in Schleswig-Holstein organisieren können?“