US-Justizminister Merrick Garland findet sich seit seinem Amtsantritt vor siebzehn Monaten zwischen allen Stühlen wieder. Seine Kritiker auf dem linken Flügel der Demokraten klagen darüber, dass die Ermittlungen gegen Donald Trump an verschiedenen Fronten nicht schnell genug vorangehen. Die Anhänger des Ex-Präsidenten halten ihm dagegen vor, die Justiz zu einer Waffe gegen politische Gegner zu missbrauchen.
Die Vorwürfe gehen von beiden Seiten an dem Selbstverständnis des in Harvard ausgebildeten Ausnahme-Juristen vorbei. Dass der blitzgescheite Garland langsam und methodisch vorgeht, gilt in seinem Berufsstand als Tugend. Erst recht, wenn es um Strafsachen geht, bei denen die Unschuldsvermutung maximale Zurückhaltung auferlegt. Staatsanwälte müssen dafür den Nachteil in Kauf nehmen, vor der Erhebung einer formellen Anklage ihr Vorgehen nicht öffentlich erklären zu können.
Garland bestand in seiner Karriere stets darauf, Verfahrenswege einzuhalten. Ihn als linken Aktivisten darzustellen, wie es die Trump-Republikaner seit der Durchsuchung dessen Privathauses in Mar-a-Lago tun, ist bestenfalls eine Karikatur. Die Forderung nach seiner Amtsenthebung kann Garland an sich abperlen lassen.
Der Justizminister versteht sich als kompromissloser Verteidiger des demokratischen Rechtsstaates. Das hat er über mehr als zwei Jahrzehnte als Bundesrichter in Hunderten Entscheidungen bewiesen. Doch nicht diese Fälle, sondern die historisch einmalige Durchsuchung des Wohnsitzes eines ehemaligen US-Präsidenten werden nach Ansicht von Experten das Erbe Garlands definieren.
Im amerikanischen Rechtssystem unterstehen ihm als Minister nicht nur die mehr als 116.000 Mitarbeiter der Justiz-Behörden. Er agiert auch als Generalbundesanwalt, der Ermittlungen überwacht und Anklagen vorbringt. In dieser Rolle muss Garland den Durchsuchungsbefehl von Mar-a-Lago gebilligt haben. Das macht ihn zur Zielscheibe Trumps, der die Razzia mit Watergate vergleicht, von einer politisch motivierten Hexenjagd spricht und sich als deren Opfer sieht. Seine Anhänger fantasieren über vom FBI selber platziertes Belastungsmaterial, bringen Hillary Clintons E-Mails ins Gespräch und greifen den bedächtigen Minister direkt an.
Merrick Garland schweigt zu alldem. Wie in der Vergangenheit, als er auf Nachfragen von Reportern zum Stand von Ermittlungen stoisch wiederholte, dass er den Fakten folgt und er jeden Rechtsbrecher zur Verantwortung zieht, egal, wer diese Person auch sein mag.
Bei den Ermittlungen gegen den früheren Präsidenten sieht er sich derzeit einem politischen Feuersturm ausgesetzt. Der Druck auf den diskreten Minister wächst, sich zu erklären. Doch Garland bleibt seinem bisherigen Kurs treu. In Verteidigung der Unschuldsvermutung lässt er Trump unwidersprochen Beschuldigungen vortragen, während sich die Räder der Justiz langsam weiterdrehen.
Der Zeitpunkt wird kommen, an dem Garland die wichtigste Entscheidung seiner Laufbahn treffen muss: Klagt er Trump als ersten Ex-Präsidenten in der amerikanischen Geschichte an oder nicht? Wenn es dazu kommt, schlägt seine Stunde.