„Israels Panzerbomben löschen Wohnviertel in Gaza aus: Israelischer Premier nimmt Tod vieler Kinder in Kauf.“ Das ist die Schlagzeile der "Berliner Zeitung" vom 24. Juli 2002 – also vor fast neun Jahren. Seitdem flog die israelische Armee unzählige weitere Angriffe auf den Gazastreifen, lieferte sich blutige Duelle mit der dort regierenden Hamas. Und immer hieß es, hohe Hamas-Führer seien getötet worden. Im Juli 2002 war es Salah Schehade, der Führer der Kassam-Brigaden, des militärischen Arms der Hamas.
Heute hört sich das so an: An dem Angriff am Donnerstag seien 160 "Luftfahrzeuge" beteiligt gewesen. Unterstützung hätten sie unter anderem von Panzern erhalten, die von israelischer Seite auf Ziele im Gazastreifen feuerten. Doch kein israelischer Soldat habe das Küstengebiet betreten, sagt ein israelischer Armeesprecher. Noch nicht. Bei der militärischen Auseinandersetzung 2014 hatte die israelische Armee Bodentruppen in Gaza eingesetzt. Über 2000 Tote waren die Folge. Augenzeugen berichten jetzt, dass an der Grenze zum Gazastreifen Panzer und Truppen in Bereitstellung gebracht und Tausende Reservisten mobilisiert wurden. Es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis israelische Militärstiefel erneut in Gaza einmarschieren.
Doch obwohl die israelische Armee über die Jahre hinweg viele Hamas-Führer getötet, deren Büros, Bomben-, Raketenfabriken und auch unterirdische Tunnel vielfach zerstört hat und dabei den Tod vieler Zivilisten in Kauf nahm, wird die radikale Palästinenserorganisation immer stärker. Während sie 2002 noch mit selbst gebauten Bomben, Selbstmordanschlägen und Steine werfenden Jugendlichen gegen die Israelis kämpfte, sind es heute weitreichende Raketen. Zwar werden die meisten durch ein von den Amerikanern entwickeltes und an Israel verkauftes hochtechnologisches Raketenabwehrsystem abgefangen und zerstört, doch einige kommen durch und richten erheblichen Schaden in Israel an.

Der Gazastreifen.
Bislang sind sieben Israelis gestorben, unter ihnen ein fünfjähriger Junge. Die Wucht, mit der die Hamas Raketen Richtung Israel abschießt, ist neu. Über 1000 sollen es bereits gewesen sein, seitdem am Montag die Lage eskalierte und sich der Konflikt der Zusammenstöße in Jerusalem ausweitete. Sieht man die Live-Bilder aus Gaza, so werden die Raketen im Minutentakt abgeschossen. Wie ein Feuerwerk mutet das Ganze an, wenn es nicht so tödlich wäre.
Neu ist auch die ungeheure Reichweite. Während in den vergangenen Jahren die nahe am Gazastreifen liegenden Städte Aschkelon, Beer Sheva, Sderot und vielleicht noch Ashdod im Umkreis von 30 Kilometern getroffen wurden, fliegen die Raketen heute nach Tel Aviv. Auch auf den Flughafen in Eilat am Roten Meer in mehr als 140 Kilometern Entfernung vom Gazastreifen sollen Raketen abgeschossen worden sein, sagt ein Hamas-Sprecher. Bestätigt wurde dies durch das israelische Militär nicht. Nach der Schließung des Flughafens Ben Gurion in Tel Aviv nach den Angriffen verlegte die israelische Regierung die Flugverbindungen in den Süden des Landes. Nun haben zivile Luftfahrtgesellschaften ihre Flüge auch dorthin eingestellt.
Die Hamas wurde 1987 als Zweig der ägyptischen Muslimbruderschaft gegründet und besteht aus den paramilitärischen Kassam-Brigaden, einem Hilfswerk und einer politischen Partei. Erklärtes Ziel der Hamas ist es, den Staat Israel mit militärischen Mitteln zu beseitigen und einen islamischen Staat zu errichten. Seit ihrem Wahlsieg 2006, der von der internationalen Gemeinschaft und auch Israel nicht anerkannt wurde, stellt die Hamas die Regierung im Gazastreifen. Im Westjordanland regiert die Fatah mit Präsident Mahmud Abbas. Die Palästinenser sind seitdem gespalten. Das genau hat Israel bezweckt, als israelische Behörden in den 1980er-Jahren den Aufstieg der Islamisten im Gazastreifen als Gegengewicht zur Fatah förderten, was ihnen jetzt auf die Füße fällt.
In Israel gilt die Hamas inzwischen als Terrororganisation. Israels Doktrin "Teile und Herrsche" funktioniert nicht mehr, denn Hamas-Chef Ismael Hanija hat die Palästinenser zur Einheit gegen den gemeinsamen Feind Israel aufgerufen. „Wir werden um Jerusalem kämpfen“, verteidigte er die massiven Raketenangriffe auf Israel am Montag in einer Ansprache im staatlichen Fernsehsender in Gaza. „Wir werden niemals zulassen, dass Israel unsere Heiligen Stätten übernimmt. Wir Palästinenser stehen zusammen!“ Das kommt an, besonders bei den jungen Leuten, die sich schon lange von ihrer Führungselite verraten und im Stich gelassen fühlen. Als Palästinenserpräsident Abbas am Dienstag vor die Kameras tritt, sucht er minutenlang nach dem Papier seiner Rede.
Die Beschwörung der Einheit der Palästinenser zeigt bereits erste Konsequenzen: In unterschiedlichen Städten, wo jüdische und arabische Israelis bislang friedlich miteinander lebten, kommt es zu Unruhen. Jüdische Geschäfte werden zerstört, Juden angegriffen, Autos in Brand gesetzt und umgekehrt. Von einem Lynchmord in der Stadt Lod ist sogar die Rede. In Bethlehem, Hebron, Nablus und Ramallah im Westjordanland kommt es zu Protesten gegen Israels Verhalten in Jerusalem und Gaza. Israels Präsident Reuven Rivlin spricht von einem drohenden Bürgerkrieg. Rund 20 Prozent der neun Millionen Israelis sind palästinensischen Ursprungs. Israel hat somit zwei Fronten. Und eine Dritte zeichnet sich bereits ab. In der Nacht von Donnerstag auf Freitag wurden drei Raketen aus dem Süden Libanons auf Israel abgefeuert, die allerdings im Mittelmeer landeten und keinen Schaden anrichteten, wie die israelische Armee mitteilte.