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Nach Erbeben in Marokko Pariser Hilfsangebot bleibt unbeantwortet

In Marokko ist eine lautstarke Debatte darüber entbrannt, dass Rabat nach dem schweren Erdbeben auf Hilfsangebote aus Paris bislang nicht eingegangen ist.
12.09.2023, 19:13 Uhr
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Von Birgit Holzer

Die französische Außenministerin Catherine Colonna versuchte zu beschwichtigen. Marokko habe nach dem schweren Erdbeben am Freitag die französischen Unterstützungsangebote nicht abgelehnt, sondern schlicht noch nicht darauf geantwortet, sagte sie bei einer Pressekonferenz. Das Land sei „allein in der Lage zu entscheiden, welchen Hilfsbedarf es hat“. Dass Helfer aus Spanien, Großbritannien, den Vereinten Arabischen Emiraten oder Saudi-Arabien die örtlichen Einsatzkräfte in den betroffenen Gebieten längst unterstützen, nicht aber aus Frankreich, hat dort lautstarke Debatten ausgelöst. Lediglich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von privaten französischen Hilfsorganisationen, die nicht auf grünes Licht aus Rabat warten mussten, trafen ab dem Wochenende vor Ort ein.

Laut einer Erhebung des französischen Statistikamtes INSEE aus dem Jahr 2019 leben rund 1,7 Millionen Menschen marokkanischer Herkunft in Frankreich, etwa die Hälfte haben die doppelte Staatsbürgerschaft. Die frühere Kolonialmacht ist der wichtigste Handelspartner Marokkos, wo die Franzosen die größte ausländische Gemeinschaft stellen. Auch aufgrund dieser engen Bande ist das Entsetzen in Frankreich über das verheerende Erdbeben besonders groß. Inzwischen wird die Zahl der Toten auf fast 2900 geschätzt. Die Hoffnung, noch Lebende unter den Trümmern zu finden, geht gegen null.

Lehnt König Mohammed VI., der sich zum Zeitpunkt des Erdbebens in seinem prächtigen Stadtpalais in der Nähe des Pariser Eiffelturms befand und sich regelmäßig in französischen Krankenhäusern behandeln lässt, die Hilfe aus geopolitischen Gründen ab? Auch auf deutsche Angebote antwortete das nordafrikanische Land, in dem der König den Ton angibt, bislang nicht.

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Für die Politologin und Marokko-Kennerin Béatrice Hibou ist die Auswahl der Staaten, deren Unterstützung akzeptiert wird, durchaus politisch motiviert. Allerdings sei viel Koordination nötig, ein plötzlicher Ansturm von Helfern könne die Lage verschlimmern. Marokko arbeite sehr effizient, auch dank des Einsatzes der Armee. „Doch Frankreich offiziell warten zu lassen, ist eine Botschaft der marokkanischen Behörden: Sie vermittelt, dass Paris keinen Vorrang hat.“ Unter Präsident Emmanuel Macron hätten sich die Beziehungen verschlechtert: „Seine Arroganz kommt nicht gut an, erst recht nicht in einem einstmals kolonialisierten Land.“

Für große Verstimmungen sorgte es, dass Paris ab Ende 2022 die Zahl der ausgegebenen Visa für Menschen aus Marokko, Tunesien und Algerien drastisch einschränkte. Erklärt wurde die Entscheidung mit der Verweigerung dieser Länder, Migranten ohne Aufenthaltsrecht in Frankreich zurückzunehmen. „Unternehmern, Studenten oder Marokkanern, die ihre Familien besuchen wollten, wurden Visa verweigert“, so Hibou. „So hat Macron es geschafft, ein Land gegen sich aufzubringen, das bis dahin keine anti-französischen Ressentiments gezeigt hatte.“

Verdacht auf Spionage

Als Frankreichs Präsident zu Beginn dieses Jahres in guter diplomatischer Manier sein Verhältnis zu König Mohammed VI. als „freundschaftlich“ bezeichnete, ließ dieser durch eine offizielle Erklärung wissen, dass die Beziehungen zur französischen Regierung und zum Élysée-Palast „weder freundschaftlich noch gut“ seien. Der Posten des Botschafters von Marokko in Paris ist seit Jahresanfang unbesetzt. Für schwere Verstimmungen sorgte 2021 die sogenannte Pegasus-Affäre. Damals fiel der Verdacht auf die marokkanische Regierung, mithilfe der israelischen Spionage-Software Pegasus Mitglieder der französischen Regierung und sogar eines der Mobiltelefone Macrons abgehört haben zu sollen.

Hinzu kommt der Streit um die Westsahara, welche beide Länder für sich beanspruchen. Anders als die USA, Spanien und Israel unterstützte Macron, der sich seit seinem Amtsantritt Algier stärker angenähert hat, die Position von Rabat nicht. Auch die deutsche Haltung zu dem Streit über den völkerrechtlich ungeklärten Status der Westsahara verärgerte Marokko zeitweise. Es wurde sogar die Botschafterin aus Berlin zurückgerufen.

Dies könnte eine Erklärung dafür sein, dass das nordafrikanische Land auch auf deutsche Hilfsangebote bislang nicht antwortete. Der Sprecher von Bundesaußenministerin Annalena Baerbock schloss am Montag politische Gründe für diesen Fall jedoch aus. Die diplomatischen Beziehungen zu Marokko seien gut, versicherte er.

Der Expertin Béatrice Hibou zufolge sei Unterstützung auch später noch sehr sinnvoll. Bald werde es darum gehen, „ganze Dörfer wieder aufzubauen“. Die französische Außenministerin Colonna kündigte bereits fünf Millionen Euro für die Nichtregierungsorganisationen vor Ort an.

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