In den Jahren um 1900 kämpfte die Frauenrechtlerin Lida Gustava Heymann gegen die Kasernierung von Prostituierten in menschenunwürdigen Bordellen, sie wehrte sich gegen die Diskriminierung der Freudenmädchen, agierte gegen die amtliche Registrierung der „sündigen Damen“. Doch trotz des Engagements von Frauen wie Heymann wurde die Sittenwidrigkeit der Prostitution erst 100 Jahre später, nämlich 2002, durch die rot-grüne Bundesregierung abgeschafft.
Seit dem 1. Juli 2017 ist nun das Prostituiertenschutzgesetz in Kraft. Es soll die vielen Fehler des rot-grünen Prostitutionsgesetzes von 2002 ausmerzen, vor allem aber den Menschenhandel mit Sexarbeiterinnen unterbinden. Das klingt auf den ersten Blick sinnvoll. Doch eine Lida Gustava Heymann wäre mit diesem Gesetz wohl kaum zufrieden.
Nach einem Blick auf ein Jahr Praxis zeigt sich: Die Bestimmungen werden eben dieser nicht gerecht. Das Gesetz zeichnet sich durch viel Theorie, jede Menge bürokratisches Kleinklein und wenig Bezüge zum Alltag der Betroffenen aus. Vor allem aber hat es eines bewirkt: Die Frauen, die durch das Gesetz angeblich geschützt werden sollen, sind extrem verunsichert.
Mit Inkrafttreten des Gesetzes sind Prostituierte nun verpflichtet, sich amtlich registrieren zu lassen und bekommen dann einen „Hurenpass“ (Szene-Jargon). Sexarbeiterinnen, die nur gelegentlich diesem Gewerbe nachgehen, haben Angst, dass ihre Anonymität nicht gewahrt bleibt und ihr Job auffliegt. Viele von ihnen kommen aus Osteuropa. Sie befürchten auch, dass ihre Daten an die Behörden ihrer Herkunftsländer weitergegeben werden.
Und in Bulgarien und Rumänien ist Prostitution verboten. Entsprechend zurückhaltend begegnen viele Prostituierte der Anmeldepflicht. In ganz Baden-Württemberg etwa haben sich in den ersten vier Monaten des Jahres – am 31. Dezember 2017 endete eine halbjährige Übergangsfrist – lediglich 174 Frauen registrieren lassen. In Hannover ist nicht einmal jede dritte Prostituierte dieser Pflicht nachgekommen.
Zu wenig qualifiziertes Personal in den Behörden
Verbunden mit der Registrierung ist nun auch eine regelmäßige Gesundheitsberatung vorgeschrieben. Vor allem in diesen Gesprächen soll ganz genau hingeschaut werden, ob womöglich ein Fall von Menschenhandel vorliegt. Die Idee ist gut gemeint, geht aber an der Lebenswirklichkeit im Milieu völlig vorbei. Frauen, die häufig kaum Deutsch sprechen, werden ihr mögliches Leid wohl kaum einem Mitarbeiter des Gesundheitsamtes anvertrauen, den sie zudem kaum kennen.
So kritisieren Experten, dass es zu wenig qualifiziertes Personal in den Behörden gebe. Denn um Verdachtsfälle in Sachen Menschenhandel zu erkennen, müssten Behördenmitarbeiter das Milieu kennen, interkulturell ausgebildet und insbesondere auch auf das Erkennen von Traumatisierungen geschult sein. In den Ämtern erwartet die Betroffenen statt einer qualifizierten Beratung allzu oft eine bürokratische Checkliste.
Überhaupt hapert es mit der Umsetzung des Gesetzes. Das ist zwar von der Bundesregierung vorgelegt worden, doch die Umsetzung liegt bei den Bundesländern. Die wiederum übertragen die Zuständigkeit für die Erfüllung der Aufgaben aus dem Prostituiertenschutzgesetz auf die Kommunen. Doch auch ein Jahr nach Inkrafttreten des Gesetzes herrscht ein ziemliches Durcheinander.
So haben die Länder Thüringen, Sachsen, Rheinland-Pfalz, Hessen und Baden-Württemberg die Umsetzung des Schutzgesetzes noch nicht abgeschlossen. In Berlin konnte sich laut einer aktuellen Meldung des christlichen Hilfsvereins „Neustart“ bislang nicht eine einzige Frau gesundheitlich beraten lassen. Zusätzlich zu dem, was nicht klappt, kommt das, was im Gesetz fehlt.
Angebote für ausstiegswillige Prostituierte etwa. Natürlich, es gibt auch einige sinnvolle Vorschriften: ein Verbot von Flatrate-Angeboten in Bordellen, die Pflicht zur Nutzung von Kondomen (auch wenn die Frage bleibt: Kommt jetzt die Kondom-Polizei?), strengere Regeln für Bordellbetreiber. Doch auch in diesem Punkt schießt das Gesetz weit über das Ziel hinaus.
Denn auch wenn sich drei Prostituierte zusammentun und sich eine Wohnung als Arbeitsstätte teilen, bekommen sie es künftig mit jeder Menge Papierkrieg zu tun. Es geht eben nicht nur um Maßnahmen im Kampf gegen Menschenhandel, wie SPD und Union immer wieder glauben machen wollen. Seltener ist von einem anderen offenkundigen Ziel die Sprache: die Reduzierung der Angebotsseite durch Bürokratie, Kontrolle und Überwachung.