Lügde, Bergisch-Gladbach, jetzt Münster – viele Jahre zurück liegen die Fälle systematischen Kindesmissbrauchs in der Odenwaldschule oder am Berliner Canisius-Kolleg. Jedes Mal ist die Republik schockiert, jedes Mal reagieren manche Politiker mit einem Reflex: Der Ruf nach härteren Strafen wird laut.
Doch bei Lichte betrachtet sind nicht die Strafen das eigentliche Problem. Ob Höchststrafen für bestimmte Missbrauchsfälle angehoben werden oder ob aus dem Vergehen juristisch ein Verbrechen wird (gefühlt ist es das ohnehin) – damit ist keinem einzigen Kind geholfen, denn die Täter lassen sich durch Strafen erfahrungsgemäß nicht abschrecken. Das langjährige Wegschließen von Sexualstraftätern und auch eine Sicherungsverwahrung sind bereits jetzt möglich. Richtig ist aber: Manche Urteile fallen zu lasch aus, wenn die Täter mit einer Bewährungs- oder Geldstrafe davonkommen.
Andere Politiker fordern hingegen „den Sumpf auszutrocknen“. Soll heißen: Kinderpornografie bekämpfen, Licht in das Darknet bringen, einschlägige Chatrooms im Internet genau unter die Lupe nehmen. Die Polizei soll es richten. Das ist ein legitimer, aber auch frommer Wunsch. Der Fall in Münster hat wieder einmal gezeigt, wie gewieft die Täter mit moderner Technik umgehen können. Oft sind sie den Ermittlern einen Schritt voraus.
Trotz Münster sollte man nicht vergessen: Missbrauch im umfassenden Sinn meint nicht nur die körperliche Gewalt gegen Kinder und Jugendliche, Missbrauch ist auch das Grapschen an den Hintern oder die aufdringliche „Anmache“. Minderschwere Belästigungen stehen nicht selten am Anfang einer Leidenstour: Es folgen zunehmend Belästigungen, die in brutale sexuelle Gewalt übergehen können.
Angebote vor Ort sind wichtig
Deshalb sind Aufklärung und Prävention für Kinder und Jugendliche ein wichtiger Ansatz. Da ist schon einiges passiert, aber nicht genug. Es gibt zahlreiche Initiativen, es gibt Hilfs- und Beratungsstellen. Doch sie leiden häufig unter chronischem Geldmangel. Dabei sind gerade die Angebote vor Ort wichtig. Denn zum Missbrauch kommt es oft im nahen Umfeld des Opfers – es ist der Onkel, der Trainer oder auch der Klassenkamerad. Noch viel Luft nach oben gibt es in den Bemühungen, die Prävention altersgerecht zu vermitteln. Kitas und Schulen müssen Kinder und Jugendliche aktiv einbeziehen. Mit kleinen Theaterstücken, Rollenspielen oder pfiffigen Videos (es gibt nur wenige) könnte der Nachwuchs lernen, sich im Falle eines Falles klarer abzugrenzen. Im Sinne von „fass mich nicht an“.
Bundesjustizministerin Christine Lambrecht plant nun einen runden Tisch. Der sollte sich aber nicht – und danach sieht es aus – auf Maßnahmen bei Justiz und Polizei fokussieren. Auch die weicheren Ansätze sind allemal eine Betrachtung wert, um Kindesmissbrauch einzudämmen.