„Nie gab es mehr zu tun“, lautete das Motto der FDP im zurückliegenden Bundestagswahlkampf. Seit dem Mittwoch ist nun ein erstes Stück Arbeit getan. In getrennten Sitzungen haben sich Grüne und die FDP darauf geeinigt, mit der SPD in Sondierungsgespräche über eine Ampel-Koalition zu gehen. Zeitversetzt traten die beiden Grünen-Vorsitzenden Baerbock und Habeck sowie FDP-Chef Christian Lindner vor die Presse. Ihre abgestimmte Botschaft: Jamaika ist für uns nicht abgeschrieben; aber fürs erste wollen wir nun mit Olaf Scholz eine Ampel sondieren. Der wiederum meldete sich am frühen Nachmittag zu Wort. „Die Bürgerinnen und Bürger haben uns einen Auftrag gegeben, eine Regierung zustande zu bringen“, sagte Scholz. „Morgen geht‘s dann los.“
Damit ist also der erste Schritt Richtung Ampelkoalition getan. Doch wenn sich die Beteiligten an diesem Donnerstag um elf Uhr in Berlin zusammenfinden, ist allen klar, dass es bei den Inhalten erst richtig anstrengend wird. Dass sich die FDP trotz größerer Schnittmengen mit CDU und CSU auf Sondierungen mit der SPD einlässt, wird einen politischen Preis haben. Grüne und Sozialdemokraten werden den Liberalen entgegenkommen müssen. Fraglich ist aber noch, in welchen Bereichen das passiert. Noch ist viel von „Spielräumen“ die Rede und von „roten Linien“, die man vermeiden will. Tatsächlich aber wird es an einigen Punkten Streit und Kompromisse geben müssen.
Zum einen ist da das Großthema Steuern und Finanzen. Dass die FDP sämtliche Steuererhöhungen ablehnt, war im Wahlkampf ihr Markenkern. SPD und Grüne dagegen wollen kleine und mittlere Einkommen entlasten. Den Spitzensteuersatz wollen sie anheben und die Vermögensteuer wieder einführen – beides lehnt die FDP rundweg ab. Wie die drei Partner hier zusammenkommen wollen, ist sehr fraglich. Der gerade in den Bundestag gewählte Bremer FDP-Abgeordnete Volker Redder stellt schon mal klar, dass Steuererhöhungen für ihn eine „rote Linie“ darstellen.
Ein Knackpunkt ist auch die schwarze Null. Während Grüne SPD die Schuldenbremse „reformieren“ wollen, um – wie die Grünen – jährlich fünfzig Milliarden Euro in den Klimaausbau stecken zu können, wollen die Liberalen an der Schuldenbremse festhalten. Beim Sonderparteitag eine Woche vor der Wahl hat FDP-Chef Christian Lindner einen möglichen Kompromiss bereits umrissen. Eine neue Bundesregierung könnte Punkt für Punkt ihre Ausgabenliste durchgehen und Beihilfen, etwa die Förderprämie für Elektrautos, abschaffen.
In der Klimapolitik sind die Ziele vergleichbar, die Weg dorthin jedoch verschieden. Während die Grünen Deutschlands CO2-Emissionen bis 2030 um 70 Prozent reduzieren möchten, sind das bei der SPD 65 Prozent. Beim Kohleausstieg hält sich die SPD an das beschlossene Jahr 2038, die Grünen wollen schon 2030 raus. Einigen dürften sich die drei Parteien beim CO2-Preis, auch wenn die FDP sich für einen Zertifikatehandel ausspricht. Die Einnahmen wollen FDP und Grüne an die Bürger zurückzugeben. Die Liberalen nennen dies Klimadividende, die Ökopartei Grünes Bürgergeld.
Bremens Grüne Bundestagsabgeordnete Kirsten Kappert-Gonther hofft darauf, dass in einem möglichen Koalitionsvertrag positiv sichtbar wird, „dass Klimaschutz Gesundheitsschutz ist“. Ein Tempolimit von 130 Stundenkilometern, das die Grünen vor der Wahl als nicht verhandelbar bezeichnet hatten, wurde übrigens bereits von Fraktionschef Anton Hofreiter abgeräumt.
Auch in der Arbeits- und Sozialpolitik gehen die Vorstellungen auseinander. SPD und Grüne haben im Wahlkampf einen Mindestlohn von zwölf Euro versprochen. Die FDP als Partei der Mittelstandsunternehmer sieht das naturgemäß anders, scheint sich aber hier nicht verkämpfen zu wollen. Die SPD hatte sich in ihrem Sozialstaatsprogramm von Hartz IV gelöst, die Grünen sind ohnehin dagegen. Der Vorschlag der FDP, Sozialleistungen in einem vereinfachten „Bürgergeld“ zusammenzufassen, könnte hier für Eingung sorgen. Die gesundheitspolitischen Pläne von SPD und Grünen, eine „Bürgerversicherung“ für alle einzuführen – auch für Beamte und Freiberufler – könnten auf der Liste der Vorsätze nach hinten geschoben werden.
Bei der Rente wiederum sind sich Grüne und FDP mit Plänen für eine kapitalgedeckten Altersvorsorge relativ nahe. Wie man das Projekt nennt – Bürgerfonds, Aktienrente oder wie auch immer – ist eine Aufgabe für die Unterhändler. SPD und Grüne wiederum sind sich einig, die gesetzliche Rente auf 48 Prozent festzuschreiben. Einigung dürfte es auch beim „Kinderchancengeld“ der Liberalen un der „Kindergrundsicherung“ von SPD und Grünen geben. Den Ansatz, die Leistungen zu bündeln und zu vereinfachen, verfolgen alle drei.